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Mutterliebe (fm:Sonstige, 4363 Wörter)

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Veröffentlicht: Dec 26 2009 Gesehen / Gelesen: 31966 / 23567 [74%] Bewertung Geschichte: 7.45 (67 Stimmen)
Die Liebe zu einer jungen Frau steht ohne Wissen des Freundes unter einem bösen Zeichen

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Mutterliebe

Noch vor zwei Jahren habe ich mich furchtbar lustig gemacht, wenn meine damalige Verlobte Sandra sich mit feuchten Augen einen dieser schmalzigen Filme anschaute, deren Inhalt darauf reduziert werden kann, dass die Partnerwahl zuweilen mit Wirrnissen verbunden ist, aber die Liebe letztlich siegt. Besonders beliebt sind Szenen, in denen urplötzlich die unvergessene Jugendliebe die Ehe auf die Probe stellt oder wenn kurz vor dem Abspann die Braut mit wehendem Festgewand der Hochzeitsgesellschaft entflieht, um den Gatten ihrer Bestimmung und natürlich ihres Herzens zu ehelichen. Das waren in meinen Augen schauderhafte, gefühlsgetränkte Machwerke, die ungeachtet der schauspielerischen Fertigkeiten nur dazu dienten, die Empfindungen des Betrachters für einen Moment in anteilnehmende Wallung zu versetzen. Schon allein die Anzahl der immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen erzählten Storys musste einen rational denkenden Menschen wie mich zum Protest geradezu herausfordern. Solche Volten mögen vorkommen, aber passieren tun sie eigentlich nur im Film.

Das denke ich im Grunde genommen auch heute noch. Aber das wirkliche Leben hat mir eine Lektion erteilt, die mich an der Absolutheit meiner rationalen Denkweise hin und wieder zweifeln lässt. Natürlich gibt es solche banalen, durchsichtigen Handlungsabläufe im realen Leben nicht. Was ich erlebt habe, ist deshalb solchen Drehbüchern allenfalls entfernt ähnlich. Aber das mir Widerfahrene hat doch im Grunde so viel gemein mit dem filmischen Geschehen, dass ich solche Darstellungen künftig nicht mehr als bloße Phantastereien abtun kann.

Sandra habe ich damals auf der Universität kennen gelernt. Es war keine Studienveranstaltung in meinem Fach Geografie, sondern eine dieser vielen außeruniversitären Veranstaltungen, die zwar in Räumlichkeiten der Hochschule abgehalten werden, mit dem Studienstoff allerdings nichts zu tun haben. Gefeiert wurde das kurdische Newroz-Fest Ende März. Damit begehen die Kurden vorwiegend aus der Türkei und dem Iran an meiner Universität ihr traditionelles Neujahrsfest mit Tanz, Gesang und allerlei kulinarischen Köstlichkeiten. Dabei blieb es nicht. Das Ganze fand unter starker Beteiligung vieler anderer politischer Gruppierungen statt. Es standen deshalb nicht nur aktuelle Fragen der Kurdenpolitik im Blickfeld, sondern eigentlich wurden alle politischen Auseinandersetzungen in allen Ländern und allen Volksgruppen thematisiert und mit den lukullischen Genüssen der jeweiligen Heimatregion verwoben.

Hinter einem der Informationsstände, dem von amnesty international, erblickte ich dann das erste Mal Sandra. Sie stand dort eindringlich in ein Gespräch mit Kommilitonen verwickelt. Ihre Haltung war aufrecht, so dass ich zunächst nicht bemerkte, wie klein sie eigentlich war. Ihre straffe Körperhaltung und die Bestimmtheit ihrer Gestik mit den Händen ließen dem Außenstehenden deutlich erkennen, dass es ihr ernsthaft um die Sache ging. Als ich näher kam, erzählte sie gerade einer Kommilitonin etwas über Folterungen im Sudan und die schwierigen Arbeitsbedingungen dort für Mitarbeiter von ai. Ich würde lügen, wenn ich erklärte, dieser Ausführungen wegen stehen geblieben zu sein. Es war mehr die Person, die mein Interesse weckte. Diese Entschlossenheit ohne falschen Eifer, dieser Einsatz ohne Vorbehalt und heuchlerische Rücksichtnahme machte Sandra für mich sofort attraktiv. Dabei war ihr Äußeres eher unauffällig. Von anderen Studentinnen hob sie sich vor allem dadurch ab, dass sie vollkommen ungeschminkt war. Auch auf besonderen modischen Auftritt legte sie augenscheinlich keinen gesteigerten Wert. Sandra zeigte ein rundliches Gesicht mit dunkelblonden mittellangen, leicht strähnigen Haaren. Bei jedem neuen ihrer Argumente fielen ihr einige Haarsträhnen über das Gesicht, so dass sie unermüdlich damit beschäftigt war, die Haarpracht vom Gesichtsfeld nach hinten weg zu streichen. Die äußere Form ihrer Jeans sowie des ausgeleierten Pullovers ließen erahnen, dass Sandra eher mollig war.

Aber dies bemerkte ich erst, als ich mich von ihr ins Gespräch hatte ziehen lassen. Sie muss gut eine viertel Stunde mit mehr oder weniger große Emphase auf mich eingeredet haben. Ich habe nur Bruchstücke ihrer Rede wahrgenommen, so sehr war ich vertieft in die Beobachtung ihrer Gestik und ihrer Körpersprache. Ihre Stimme hatte nichts Durchdringendes oder Herrisches an sich. Sie war sachlich korrekt, aber mit einem gefühlvollen Timbre versehen. Dies war es wohl auch, weshalb ich mich kaum von ihr lösen konnte. Sandra zog mich ganz in ihren Bann.

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