Die Phänomenologie des Geistes (fm:Sonstige, 581 Wörter) | ||
Autor: testsiegerin | ||
Veröffentlicht: Nov 17 2012 | Gesehen / Gelesen: 11644 / 27 [0%] | Bewertung Geschichte: 8.93 (41 Stimmen) |
Das wichtigste Sexualorgan ist das Gehirn. Das wissen auch Paul und Elisabeth, wenn sie miteinander telefonieren. |
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"Elisabeth Kleist" Schweigen am anderen Ende der Leitung. "Hallo? Verdammt noch mal, wer ist da? Schon wieder irgendein dreckiger Stalker?"
Jetzt konnte sie ihn lächeln hören. "Belästigen sie dich so oft, die Stalker? Na kein Wunder. Schön, deine Stimme zu hören, Elisabeth. Du weißt, ich liebe es, wenn du fluchst."
"Paul."
"Ja?"
"Nichts. Einfach Paul."
"Ja."
Ihr wurde warm. Sehr warm. Sie wusste nicht, wie er aussah. Wollte es auch gar nicht wissen. Sie wusste kaum etwas über sein Leben, seinen Alltag, und er nichts über ihren. Auch das war gut so, denn es wäre Elisabeth peinlich gewesen, wenn er wüsste, wie und wo sie lebte.
Sie waren einander nicht Alltag, sondern Luxus. Aber diese Stimme, die war ihr mittlerweile vertraut. Sehr vertraut. Und meistens sehr versaut.
"Wo waren wir bei unserem letzten Telefonat stehen geblieben?", fragte sie unschuldig, dabei wusste sie es genau. In ihren Fantasien waren sie stehengeblieben, immer und immer wieder, in ihren verschwitzten Begierden, in dreckigen Gedanken, die sie mit niemandem sonst so teilen konnte wie mit ihm. Elisabeth schämte sich manchmal für diese Fantasien. Ein bisschen wenigstens.
"Ich nehme an, wir haben über Weltpolitik diskutiert und die Theorien der Vertreter des deutschen Idealismus erläutert", sagte Paul.
"Ich nehme an, wir haben übers Ficken geredet." Elisabeth errötete und schluckte die letzten Reste ihrer Hemmungen hinunter, "darüber, wie du dich erst sanftzart an mir reibst und mich dann hart von hinten nimmst. Und mir dabei total dreckige Sachen ins Ohr flüsterst."
"Das liebe ich an dir, Elisabeth. Du kommst immer gleich zur Sache. Aber du weißt schon, ich kann mit jemandem so richtig versaut nur reden, mit dem ich auch über die Verbriefungen zweiter Stufe der Subprime-Kredite und über Hegel reden kann."
"Hegel war ein Arschloch. Er wähnte den Staat in Gefahr, wenn Frauen an der Spitze der Regierung stehen, weil diese seiner Ansicht nach nur nach zufälliger Neigung handelten und nicht im Sinne der Allgemeinheit."
"Und? Hatte er nicht Recht? Ist unser Staat denn nicht in Gefahr?" Er liebte es, sie zu provozieren. Er wusste, dass sie sich nach solchen Diskursen wie Wachs in seinen Händen formen ließ.
"Arschloch", zischte sie in den Hörer.
"Wer? Hegel?"
"Du auch."
"Immerhin eignen sich Hegels Meinung nach Frauen besonders zum Klavierspielen. Egal, für mich ist er der Philosoph, der seine Zeit in Gedanken fasst. Spannend an Hegel ist ja, dass das nach ihm niemals mehr so gelingen kann - danach, nach diesem ungeheuren Systementwurf, entlarvt sich alles als pure Ideologie. Insofern ist der Mann für mich zumindest ein notwendiges Arschloch."
"Ich muss dir etwas sagen, Paul."
"Ja?"
"Ich kann gar nicht Klavierspielen."
"Ich weiß. Du beherrscht das Blasen sicher besser. Ich hätte gern, dass du diese Kenntnisse endlich mal bei mir anwendest. Ich stell mir grad vor, wie du vor mir kniest, mich demütigst anschaust und ich dich an den Haaren näher zu mir ziehe."
Sie kicherte. Sie seufzte. Sie stöhnte.
"Wo ist deine Hand denn gerade?", wollte er wissen.
"Da, wo sie hingehört, wenn ich mit dir rede. Unter der Decke. Zwischen meinen Beinen. Da ist es ganz nass."
"Brav. Stell dir einfach vor, es wäre meine."
"Red weiter", raunte sie jetzt. "Von mir aus über die Phänomenologie des Geistes. Hör jetzt bitte einfach nicht auf zu reden."
*
"Schnell", rief die Stationsschwester der geriatrischen Abteilung Sonnenblume, "ein entsetzlicher Schrei aus Zimmer 31. Die alte Kleist. Wahrscheinlich ist sie aus dem Bett gestürzt."
"Ach was", grinste der Pfleger, "die hat bestimmt wieder mit Herrn Paul vom Zimmer 23 telefoniert."
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