Der Pianist und das Mädchen (fm:Romantisch, 8483 Wörter) | ||
Autor: Dingo666 | ||
Veröffentlicht: Jul 30 2021 | Gesehen / Gelesen: 14665 / 10909 [74%] | Bewertung Geschichte: 9.55 (170 Stimmen) |
Eine Zufallsbegegnung wirft zwei junge Leute aus der Bahn: Jean-Luc, den gefeierten Nachwuchsmusiker, und die hübsche Herumtreiberin Aurie. |
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Der Pianist und das Mädchen
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Eine Zufallsbegegnung wirft zwei junge Leute aus der Bahn: Jean-Luc, den gefeierten Nachwuchspianisten, und die hübsche Herumtreiberin Aurie.
Dingo666
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Die letzten zarten Anschläge, die letzten verklingenden Töne. Jean-Luc ließ seine Finger noch für einige Sekunden auf den Tasten liegen. Er lauschte dem abschließenden, verminderten Akkord von Debussy nach, die Augen geschlossen.
Diesen Moment, diese Stille. Das war der Augenblick im ganzen Konzert, den er liebte. Den er herbei sehnte.
Absolute Ruhe. Innen und außen.
Dann setzte das Klatschen ein. Ein Stakkato-Rauschen. Ein Güterzug, der über unebene Schwellen fuhr, umschäumt von einer Brandungswelle. Die Abfolge von Impulsen komprimierter Luft zwischen Handflächen. Strukturen und Moiré-Muster aus ineinanderfließenden Zufallsrhythmen. Inseln der Ordnung im Wirbel des Chaos.
Jean-Luc hörte das frenetische Klatschen seiner Mutter aus der ersten Reihe heraus. Sie blickte sicher auffordernd in die Runde und trieb das Publikum an, mehr zu geben. Ihrem genialen Sohn die gebührende Referenz zu erweisen. Dem jugendlichen Starpianisten, dem aufgehenden Stern am Himmel der klassischen Musik. Ihrem über alles geliebten Kind.
Ihre verzweifelten Bemühungen fielen umso intensiver aus, als heute Abend nicht alle Sitzplätze im Palais belegt waren. Herren in dunklen Anzügen oder Jacketts gemäß der herrschenden Mode. Damen in cremefarbenen Abendkleidern und sommerlich knappen Kostümen. Liebhaber klassischer Klaviersonaten. Gebildete, geistreiche Menschen, die später in kleinen Gruppen zusammenstehen würden, Sektkelche in der Hand. Die sich gewählt über seine Darbietung, über seinen Anschlag, oder über die Dynamik seines Spiels austauschen würden. Oder -- am wahrscheinlichsten -- über ein anderes Thema, das nicht das Geringste mit Musik zu tun hatte. Diese Leute hatten die Konversation zu einer eigenen Kunstform erhoben.
Jean-Luc stand ruckartig auf, wandte sich dem Publikum zu, und verbeugte sich. Das Klatschen wurde lauter, eine Flutwelle, die an ihm hoch spritzte. Für einige Sekunden war die Brandung im Gleichgewicht und ertränkte ihn fast mit ihrem Schaum. Dann flutete sie langsam ins Meer zurück, an ihm hinab und weg. Nach einer weiteren Verbeugung wandte er sich ab und schritt hinter den seitlichen Vorhang. Das Rauschen des Applauses verwandelte sich in letzte, einzelne Rinnsale, die endgültig in den Sand einsickerten und verschwanden.
Stattdessen ein neuer, arhythmischer Grundton, das Murmeln und Brummen der anhebenden Gespräche. Jean-Luc stand einen Augenblick hinter dem Vorhang und trat dann steif zur Seite weg.
Als er die kleine Treppe seitlich an der Bühne erreicht hatte, erklangen die ersten, zarten Töne seiner Musik, und er seufzte auf vor Erleichterung. Atonale und dennoch harmonische Kadenzen schwebten durch seinen Kopf, erzeugt von einem unbekannten Instrument. Irgendwo zwischen Samisen und Flügel, zwischen einer klagenden Flöte und dem makellosen Schmelz einer Violine.
Jean-Luc lächelte, schritt das Treppchen hinab und musterte die Grüppchen, die sich in Windeseile um die weiß bezogenen Bistro-Tische gebildet hatten. Solange seine Musik im Kopf ertönte, fühlte er sich gut. Stabil.
Mehrere der Tische waren leer geblieben. Jean-Luc wusste, dass seine Mutter besorgt war. Und dass er selbst auch besorgt sein sollte. Mit einundzwanzig war er langsam zu alt, um noch als "Wunderkind" durchzugehen. Ein Titel, der seine Konzertankündigungen schmückte, seit er mit elf Jahren zum ersten Mal auf einer grell ausgeleuchteten Bühne
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