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WIEN BEI NACHT - Kapitel 5: Am Kanal (fm:Schlampen, 1825 Wörter) [5/8] alle Teile anzeigen

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Veröffentlicht: Jan 22 2021 Gesehen / Gelesen: 6591 / 4664 [71%] Bewertung Teil: 8.67 (6 Stimmen)
Wo Wiens hippes Unter 30-Segment die Sommernächte im Freien durchfeiert, sieht man unsere beiden Helden als amüsante Exoten. Ein Augenpaar jedoch hat sich auf den Herrn Doktor eingeschossen.

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"Und du und die Sonja? Woher kennt ihr euch?"

"Ach, nur so vom Fortgehen. Gell Sonja? Wir sind Partners in Alk, stimmt's?"

"Ja, das auch. Ich weiß gar nicht, wann wir das erste mal" - man sieht wie Lachblasen in ihr aufsteigen. Jetzt prustet es aus der Sonja raus. Bruhahaha! Es war mir sowieso klar. Er ist ja auch ein fescher Typ, der Florian - Flow, von mir aus, wenn er unbedingt will. Jetzt kichert auch er wie ein fünfjähriger. Sie gackern hysterisch wie die Rebhühner, zischen sich ein Bier, und prosten einander zu.

Neben dem Flow kauert eine dünne Sommersprossige mit blassen Murmeläuglein und einer sehr naturbelassenen blonden Mähne. Sie hat mich von Anfang an im Visier gehabt. Im Augenblick nuckelt sie an einem Joint.

"War dein Anzug teuer, Herr Doktor?", fragt sie distanzlos zu mir herüber. "Ja. Aber morgen muss ich ihn bügeln lassen".

"Bist ja auch ein Bügelfalten-Typ, haha!". Das nehm ich jetzt einfach mal zur Kenntnis.

In der Mitte des Zirkels strahlt die große Wilma Wohlmuth, in sich ruhend wie eine archaische Fruchtbarkeitsgöttin. Ich möchte meinen Blick ein wenig an ihrem Becken weiden, diesem herrlich ausladenden Kinderofen, werde aber von der Froschäugigen mir gegenüber in Beschlag genommen, die hartnäckig meine Konversation sucht. Ich erfahre, dass sie Lisa heißt. Und ein Schamlippenpiercing trägt.

"Sterben deine Patienten oft?", fragt sie jetzt aus heiterem Himmel, die kleine ist reichlich abgedreht. Ich kann nicht sagen, dass sie mein Typ ist vom Aussehen her. Aber auch nicht nicht mein Typ. Grauzone. Ich wende mich wieder dem Rest der Truppe zu.

"Du schaust mir nach Kopfmensch aus", sagt der Flow jetzt zum Roland hinüber. Oh je. Jetzt wird der Roland gleich den alles entscheidenden Satz sagen. Schon passiert. Aber die Reaktion ist unerwartet.

"Ein Lehrer? Echt? Mathe! What the fuck! Find ich ja total gut! Da entscheidest du über Leben und Tod. Sitzt voll am längeren Ast als Mathelehrer, so war das zumindest bei meinem".

Gottseidank schweigt sich der Roland jetzt aus. Er lallt nur etwas Unverbindliches, von wegen der Job hält einen jung. Naja.

Die froschäugige Lisa mir gegenüber hält mir ihren Joint hin, und ich bin so frei. Aus lungenärztlicher Perspektive natürlich ein filterloser Wahnsinn, aber was solls. Ich kenn auch zum Beispiel keinen einzigen Zahnarzt, der selber wirklich jeden Tag Zahnseide verwendet.

"Ich find es traurig, dass jetzt der Sommer wieder vorbei ist", schaut die Lisa mich an mit leichten Silberblick. "Weil mir taugt das voll, die Hitze und das Schwitzen. Schwitzt du auch so gerne, Doktor? Ich liebe es, wenns mir die Oberschenkel runterinnt und die Sachen an mir kleben!"

Sie fährt mit den Handflächen die Innenseiten ihrer Schenkel bergan. Sie hat eine leicht belegte Stimme und eine etwas schleppende Sprechweise, wirkt aber keineswegs debil. Sie beugt sich vor, um den Joint wieder an sich zu nehmen, dabei stützt sie sich vertrauensselig auf meiner Schulter ab. Der Ausschnitt ihres Schlabber-Tops gibt den Blick auf ein Paar schmal hängende Quasteln frei, die BH-befreit Richtung Erdmittelpunkt baumeln, Nippel und Vorhöfe sind zu fleischigen Saugnäpfen verwachsen. Ich blinzle.

Um mich abzulenken, wende ich mich der Sonja zu.

"Was hast denn so erlebt nachher mit der reschen Irena? Als wir dann weg waren?", frage ich.

"Zu neugierig!", sagt die Sonja wie zu einem Fünfjährigen vor Weihnachten, und schiebt mir lustig ein paar Kartoffelchips in den offenen Mund. Aber ich lasse nicht locker:

"Frivole Schlafsaalspielchen? Polsterschlacht? Flaschendrehen? Die ist nämlich scharf, die Irena, gell?"

"Warum willst das wissen? Solang du nix weißt, kannst dir alles ausmalen was du willst, ist doch schön".

Gut. Nicht insistieren. Dann erzähl ich eben, wie das bei uns so war, vorhin im Klub. Wo wir, also, gegangen worden sind. Zumindest die Light-Version, paar Details lasse ich weg.

"In diesen Klub gehen wir nicht", fuchtelt die durchgeknallte Lisa mit dem Joint in unser Gespräch hinein, scheinbar für die Gesamtheit aller Anwesenden sprechend, "Zuviele unchillige Typen". Sie nestelt am Schoß ihres Sommerkleidchens.

Der Roland unterdessen, findet jetzt immer mehr zu sich, er fühlt sich angenommen. Jetzt verwickeln ihn einige in eine gesellschaftspolitische Debatte. Die Szene hier ist wirklich ganz anders als in der schnöseligen Disko, aus der wir du weißt schon. Hier hat man heilige Meinungen zu heiligen Themen. Alte Männer zum Beispiel. Die sind in dieser Meinungswelt prinzipiell abgewrackte Dinosaurier, im Prinzip besserer Sondermüll, und wenn man sie nicht umerziehen kann, gehören sie von der Gesellschaft geschnitten. Ach was, kastriert! Nieder mit dem Scheiß-Patriarchat, so ist hier der Grundtenor.

Der Roland hat Lust auf Dissens.

"Die Geschlechter sind nicht gleich", holt er weit aus - weiß er, dass er ein Minenfeld betritt? - "Nicht hinter jeder Ungleichheit steckt Ungerechtigkeit. Frauen sind im Durchschnitt konzilianter als Männer, haben andere Interessen und Prioritäten, und drängen nicht um jeden Preis in die oberen Etagen, deswegen sieht man dort weniger von ihnen. Im Verhältnis halt".

"Ja genau, weil sie sollen ja lieber Mama oder Hure sein, so hättest du's gerne", sagt eine neunmalkluge Bisamratte mit undefinierbarem Geschlecht.

"Ich sag ja gar nicht, wie es sein soll", sagt der Roland, sondern nur, wie's ist. Ideologie zählt nämlich nichts, da draußen in der weiten Welt, sondern da gibts etwas, das heißt objektive Wirklichkeit". Topform jetzt beim Roland.

"Und außerdem was ist so schlecht am Huresein?", verfehle ich absichtlich das Thema, blöd grinsend. - Weil es stimmt. Ich hab Huren gern. Sie kennen meine Seele. Und sie urteilen nicht.

"Ihr seid alle Sexistenschweine, das ist alles!", sagt die abgedrehte Lisa mit belegter Raspelstimme, "Aber ihr könnt eh nichts dafür, das ist eure Generation". Dabei fixiert sie mich.

Lassen wir die Debatte. Fressen, Ficken, Saufen. Da können wir uns heut zumindest einigen. Das sage ich mit dem Mund voller Kartoffelchips, ich fühl mich um dreißig Jahre zurückversetzt. Die drübere Lisa hat sich jetzt zurückgezogen, hält aber ihre fahlen Murmelaugen fest auf mich gerichtet. Aufforderung zum Duell! Ich beschließe, ihr entgegenzuhalten, und starre unverwandt zurück. So lang, wie einmal Hänschen Klein singen. Dann streckt sie mir ihre gepiercete Zunge heraus. Punktesieg Bretschneider.

Das Nächste betrifft vorerst einmal nur mich, weil mir drücken die insgesamt fünf Bier ganz ordentlich auf die Blase. Die Natur ruft, sage ich, und erhebe mich schwerfällig aus dem Schneidersitz, nein ich bin nimmer zwanzig.

"Es ist gut, wenn man der Natur folgt, sollten wir viel mehr machen", sagt die froschäugige Lisa, und fummelt unkontrolliert am Schoß ihres Sommerkleidchens.

Unweit von unserem Lagerplatz gibt es ein paar große Büsche, das reicht, um den Schein des Anstandes zu wahren. Es ist das schönste Männerprivileg. Sorry liebe Frauchens, aber da habt ihr nichts vergleichbares. Wir markieren Territorien, und ihr presst schreiende Kinder durch eure Muschis.

Ich glaube nicht an den Herrgott.

Aber ich liebe ihn, weil er hat Humor.

Ratzfatz, schon ist die Nudel an der Luft. Jetzt entspannen. Es gibt in Wirklichkeit nur eine Art von Flow-Erlebnis! Aber Herrgottsakrament! Hinter mir! Was zum Geier? Ich zucke zusammen.

"Brauchst du Hilfe, Doktor?", ist der Satz den ich jetzt höre, direkt in mein Ohr geraspelt.

Ich drehe mich nicht um, weil ich erkenne die Stimme.  



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