Der Cassandra Komplex (fm:Romantisch, 63325 Wörter) | ||
Autor: postpartem | ||
Veröffentlicht: Jan 23 2022 | Gesehen / Gelesen: 22849 / 21300 [93%] | Bewertung Geschichte: 9.78 (356 Stimmen) |
Späte Entdeckung des anderen Geschlechts |
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als einfach. Weiter weg wollte ich wegen der Nähe des Ladens nicht. Ja, die Wohnung war für mich alleine jetzt zu groß, seitdem meine Mutter nicht mehr lebte. Und wenn ich... mir einen Untermieter suchte?
Hm. Das könnte funktionieren. Mutters Zimmer war groß genug. Ich könnte es sogar möbliert anbieten. Vielleicht an einen netten, älteren Herrn vermieten. Bloß keine Studenten. Bloß keine Frauen. Ja, damit könnte ich leben. Das war eine Lösung.
Und wo anbieten? Annoncen in Zeitungen waren sicher nicht günstig, und wer las denn heutzutage noch Zeitungen? Online, alle machten alles nur noch im Internet. Ich hatte nicht einmal einen Computer. Ich konnte die Vorteile und Möglichkeiten nachvollziehen, aber es hatte mich nie persönlich interessiert.
Ich hatte ein Handy, aber das war nicht einmal eins dieser modernen Smartphones. Man konnte damit telefonieren und Texte schreiben, wobei ich letztere Option noch nie genutzt hatte. Fünfundvierzig jetzt, und wahrscheinlich so altmodisch und rückständig wie sonst Siebzigjährige, sollte man meinen.
Das stimmte natürlich nicht. Selbstverständlich hatte ich beim Bund mit Computern gearbeitet. Dort ebenfalls das Internet kennengelernt. Es enthielt sicher Tonnen interessanter Informationen. Aber keine Struktur, keine Regeln, keine Effizienz. Keinen Aufbau, mit dem ich anfreunden konnte.
Ja, vielleicht war ich ein Unikum, weil ich diese Art von Chaos und Anarchie ablehnte. In meinem Laden und in meinem Leben gab es klare, verlässlich Regeln. Alles hatte seinen Platz, alles konnte sofort und ohne Suche gefunden werden. Alles war überschaubar und abrufbar.
Wenn mich ein Kunde nach einem Buch fragte, wusste ich, ob ich es hatte oder nicht, ohne nachschauen zu müssen. Bei den besseren konnte ich auf Anfrage das Druckdatum herbeten, den herausgebenden Verlag, die wievielte Auflage es war. Nur beeindruckte das heutzutage niemanden mehr. Heute erntete ich nur Verblüffung, wenn ich zugab, potentielle Kunden, insbesondere Studenten, nicht über die Ankunft des Gewünschten per E-Mail informieren zu können, weil ich keine hatte. Was gab es denn im Internet schon so Besonderes?
Pornographie, überflüssige Neuigkeiten, Selbstdarstellungen in sozialen Medien, verkürzte, verkümmerte Kommunikation, Verschwörungstheorien, hanebüchenen Unsinn aller Couleur. Die Sachen, die wirklich zählten, die Gedanken und Weisheiten, oder das Leben großer und großartiger Menschen und ihren Ideen, fand man anderswo.
Bei mir beispielsweise, in feinen Einbänden, abrufbar und geordnet, in ihrer Richtigkeit und Wichtigkeit von Generationen bestätigt. Menschen, die die Klarheit ihrer Gedanken noch nicht der allgemeinen Verdummung wegen des Wunsches der Popularität geopfert hatten, die nicht davor zurückschreckten, nicht von der breiten Masse verstanden werden zu können.
Denen noch bewusst war oder gewesen war, dass Worte die verlässlichste und konkreteste Abbildungsmöglichkeit unseres Seins und Selbst waren. Der Dinge, die wirklich zählen. Es war also eine Wahl, die mir leichtgefallen war.
Ich brauchte kein Hochgeschwindigkeitsinternet, um an die Dinge zu gelangen, die für mich Bedeutung hatten. Sie umgaben mich bereits jeden Tag. Heidegger gab es nicht auf Twitter, Kants Facebook-Seite ließ sich ebenfalls nicht finden, Shakespeare bloggte nicht und ich bezweifelte, dass er das getan hätte, hätte es diese Möglichkeit zu seiner Zeit gegeben.
Männer kommen mit Regeln und klaren Strukturen wunderbar zurecht. Darum hatte es mir lange Zeit so gut beim Militär gefallen. Auch die wenigen Kameradinnen, die mit uns dienten, hatten sich in diese Struktur wunderbar integriert. Es gab natürlich auch Probleme, wie alle Strukturen sind diese niemals als etwas Statisches zu begreifen, sondern einem stetigen, dynamischen Wandel unterzogen.
Ich war beileibe kein Frauenfeind. Ich verstand, dass Frauen die Welt anders und aus anderem Antrieb verstanden und erfassten. Ich begriff sehr wohl, dass Liebe und Sexualität einen Großteil des menschlichen Dramas bestimmten und motivierten. Es war einfach so, dass mir dieser Teil des Menschseins vornehmlich aus Büchern bekannt war und angetragen wurde.
Dass ich mit Männern besser zurechtkam, hatte nichts mit meiner sexuellen Orientierung zu tun, denn die war eindeutig heterosexuell. Nie hatte ich mich von anderen Männern auf diese Art und Weise angezogen gefühlt. Es hatte einen guten Freund von mir gegeben, der dies einst auf die Probe gestellt hatte. Und die Frage war eindeutig und schlüssig für mich beantwortet worden.
So sehr ich ihn, seine Gefühle und seine Wünsche respektieren und schätzen konnte, sprachen sie mich dennoch in keiner Weise an. Im jungen Erwachsenenalter hatte ich mich der Dienste käuflicher Frauen versichert, um sporadisch auftretende, als Drucksituationen empfundene Regungen der Lust und manchmal einfach nur dem Wunsch nach menschlicher Nähe, ein Ventil zu verschaffen.
Diese Begegnungen standen von vornherein unter keinem guten Stern. War es zu Beginn eher das Gefühl gewesen, in meiner Unerfahrenheit und Unwissenheit von den professionellen und im Grunde an mir, außer an meinen finanziellen Beiträgen, bis auf eine Ausnahme gänzlich desinteressierten Damen ausgenutzt und eingeschüchtert zu werden, war es später genau andersherum.
Nämlich, dass ich derjenige war, der diese Damen in nicht zu rechtfertigender Weise ausnutzte, mir mit einer Zahlung das Recht und den Zugang zu ihren Körpern verschaffte. Was sie dazu gebracht hatte, sich in dieser Weise mir auszuliefern oder ausliefern zu müssen, Drogensucht, ein Zuhälter, wirtschaftliche Notlagen, oder was auch immer dahinterstand, konnte nach meinem Verständnis nie als saubere Transaktion einer Dienstleistung aus freiem Willen aufgefasst werden.
Mit fortschreitendem Alter ebbte der hormonale Druck zudem zunehmend ab, ich fühlte mich immer weniger meinen Impulsen und Bedürfnissen ausgeliefert und traf kurz nach meinem dreißigsten Geburtstag eine bewusste Entscheidung gegen weitere Exkursionen solcher Art und für moralische Integrität.
Nur einmal in meinem Leben hatte ich das Gefühl gehabt verliebt zu sein. Bis über beide Ohren verliebt zu sein. Ich war siebzehn zu dieser Zeit, es muss kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag gewesen sein. Meine Freunde und Mitschüler hatten alle längst ihre ersten Liebschaften und sexuellen Erfahrungen hinter sich gebracht.
Es war die Zeit, in der mich die Idee der Liebe, angetragen aus Meisterwerken der Literatur oder auch der Filmkunst, wie zum Beispiel Jean-Paul Satres Drehbuch zu "Das Spiel ist aus", über alle Maßen faszinierte und erregte. Die Idee der totalen Liebe, für die man alles zu opfern bereit war.
Ich war gewiss schüchtern, hatte mich nie wirklich locker und unbefangen mit Mädchen unterhalten können. Dabei trotz meiner intellektuellen Kapazitäten in der Schule nicht als Streber aufgefallen, dafür sorgte schon meine ausgleichende Faulheit.
Wohl aber als anders als meine Altersgenossen von diesen wahrgenommen und, in einem durch nichts zur durchbrechenden, unbefriedigenden Kreislauf aus gegenseitigem Respekt und Distanz, links liegenlassen. Sie respektierten die Tiefe meines Denkens und Fühlens, interessant machte mich das nicht.
In meiner Klasse, die ohnehin erst nach der achten aufgrund der erheblichen Disziplinprobleme von einer reinen Jungenklasse in eine gemischte überführt worden war, gab es nur sehr wenige, die mich optisch und menschlich gereizt hätten. Auch bei der erheblich größeren Auswahl nach dem Übergang in das Kurssystem der Sekundarstufe II änderte sich daran zunächst nichts.
Gut, die sekundären Geschlechtsmerkmale der Mädchen verfehlten nicht ihren Reiz, ich schaute schon auf Busen oder im Falle der in vielen von meinen Kursen vor mir sitzenden recht hübschen Klassenkameradin, auf den Bund ihrer Unterhosen und hervorlugenden Po-Ansatz, die immer wieder beunruhigend in meinem Gesichtsfeld auftauchten.
Wobei ich nicht erklären könnte, warum das nur bei ihr so war und keiner anderen. Ich war keineswegs der einzige, dem dies auffiel, in unserer Abi-Zeitung wurde sie später als "Miss SSL - sichtbare Slip-Linie" gefeiert. Davon ab war keine der Altersgenossinnen meines Jahrgangs in dieser Weise faszinierend für mich.
Ich selbst war durchaus nicht unattraktiv, war als Leichtathlet sogar was rein körperliche Merkmale wie Muskeldefinitionen anbetraf, durch das harte Training bei meinem Verein einem Großteil meiner männlichen Mitschüler um einiges voraus.
Anders als diese legte ich darüber hinaus jedoch keinerlei Wert auf mein Äußeres, kleidete mich schlicht und zweckmäßig, wurde in besagter Abi-Kladde aufgrund meines Haarschnitts von Mitschülern als "schon immer beim Bund befindlich" tituliert. Die Tatsache, dass ich mich schon zu dieser Zeit im Vergleich zu anderen vermutlich sehr aufrecht und, nun, "zackig" bewegte, trug sicher zu diesem Eindruck bei.
Nun, vielleicht war es auch der tägliche Umgang, die Tatsache, dass ich diesen Mädchen bereits einiges an meinem Denken und Fühlen beispielsweise im Deutsch Leistungskurs vermittelt und dort zum Teil sehr eigenartige Reaktionen erhalten hatte, die dazu führten, dass ich mich, wenn überhaupt, für Mädchen unterer Jahrgänge interessierte.
Das hatte in der neunten Klasse zur Folge, dass ich mir lange Zeit ein Mädchen aus der siebten in einer Vorstufe des Verliebtseins sehr genau und lange ansah. Was sie erwiderte, aber es gelang mir nicht, diese Ahnung eines Potentials in folgerichtige Handlung umzumünzen, oder um etwas weniger abstrakt zu formulieren: das Herz mal in beide Hände zu nehmen und sie anzusprechen.
Auch in dem Sommer, der der Versetzung in die zwölfte Klasse voranging, beschränkten sich meine amourösen Abenteuer auf den Blickkontakt mit einer jungen Dame. Eine Klassenstufe unter mir, die mir in der Schule schon, aber noch deutlicher am See unserer Stadt ins Auge gefallen war.
Sie war eigentlich permanent in Begleitung ihrer wohl besten Freundin und bestach neben anderen körperlichen Attributen, die sicherlich eine Rolle spielten, durch ein wunderschönes Gesicht und kluge, wissende, dabei unglaublich sanfte Augen, die mich magisch anzuziehen schienen.
Während sich mein Pulsschlag in ihrer Nähe wie beim 1000 Meter Lauf langsam und graduell erhöhte, insbesondere wenn sie mit ihrer Freundin in knappen Bikinis und deutlichem Selbst- und Körperbewusstsein auf der Liegewiese des Sees flanierten, wich sie niemals meinen langen und schmachtenden Blicken aus.
Ich wusste nichts von diesem Mädchen, außer dass sie erschreckend gut aussah und offenbar keinen festen Freund hatte, denn ich erlebte sie zu dieser Zeit nur und ausschließlich in Begleitung ihrer Freundin, die nicht minder attraktiv war. Und ihrem Namen, Claudia. Nur von einem Klassenkameraden, der sie über seine kleine Schwester kannte, erfuhr ich zusätzlich, dass sie ausgesprochen nett und intelligent sein sollte.
Alles, was sich in mir in den vorangegangenen Jahren als logische Folge der Pubertät und der nun gefühlten biologischen Imperative aufgestaut hatte, durch Literatur auf befremdliche und unangemessene Weise intensiviert und verschärft, entlud sich nach diesem Sommer wie ein Gewitter.
Keineswegs der mutigen Art, denn sie einfach anzusprechen war auch weiterhin für mich undenkbar und unmöglich gewesen. Nein, ich hatte zu dieser Zeit selbst mit dem Schreiben begonnen. Fand auf diesem Weg Zugang zu mir und der Welt, konnte mich so und dort exponieren und explizieren. In selbst geschaffenen Welten, Liebes- und anderen Abenteuern mein Selbstbild entwickeln konnte, mich erproben und unter Beweis stellen.
Also wagte ich eine Kontaktaufnahme über dieses vermeintlich sicherere Medium, stellte ich mich und den Überschwang meiner Gefühle für sie in einem vermutlich bizarren dreiseitigen Brief in Worten zur Verköstigung dar, und steckte ihr diesen in einer Pause im dritten Anlauf zu. Noch nie hatte ich mich jemanden so geöffnet, so viel über mich und meine Gefühle preisgegeben.
Mit Herzklopfen und dem Gefühl im Boden zu versinken, nahm ich am nächsten Tag ihre ebenfalls schriftliche Antwort entgegen. Immer noch erschrocken über mich selbst, mich so weit vorgewagt zu haben. Mich zum allerersten Mal nicht von allen quälenden Selbstzweifeln und vielleicht in geringem Maße vorhandenen Minderwertigkeitskomplexen ausgebremst, zur Beurteilung jemand anderem überlassen hatte.
Sie schrieb nur einen Satz als Antwort, in sehr schöner Handschrift:
"Liebe kann man nicht erzwingen."
Auf alles war ich gefasst gewesen, auf einen freundlichen aber bestimmten Korb, denn nur so konnte meiner Meinung von ihr nach ein solcher erfolgen. Sogar auf die vage und seligmachende Perspektive, dass sie mich "erhören" und meinen Vorschlägen zum Kennen- und Liebenlernen folgen würde. Vielleicht auch einfach mein Pamphlet und mich ignorieren würde, das ich wie Luther an die Tür ihres Herzens zu nageln gewagt hatte.
Dieser Satz aber riss mich aus allen Blütenträumen und Ängsten gleichermaßen, erwischte mich polarkalt in der Spätsommerhitze, erschütterte mich in meinem Wesen. Mal abgesehen davon, dass ich ihr mit ihren sechzehn Lenzen eine solch tiefe Spruchweisheit trotz meinem, in keiner Weise durch Realität gestützten Bild einer liebevollen Göttin, nicht zugetraut hatte, verstand ich ihre ganze Art der Kommunikation nicht.
Klar schien mir lediglich, dass ich einen Ablehnungsbescheid bekommen hatte. Den ich aber nicht verstand, oder nicht vollständig. Dass es ein solcher nicht unbedingt gewesen sein musste, ging mir zu diesem Zeitpunkt nicht auf.
Vielleicht war es anders gemeint gewesen, als ich es auffasste, vielleicht die Aufforderung zu einem tatsächlichen Dialog, denn ihr Verhalten stand im Widerspruch zu der vermeintlich klaren Botschaft. Sie wich meinem Blick auch weiterhin nicht aus, zog sich keineswegs aus zufälliger Nähe zurück, erweckte oft sogar den Eindruck, dass sie auf eine Reaktion vor mir wartete. Die sie nicht mehr erhielt.
Ich war geschockt, völlig verunsichert, weniger weil ich diese Absage erhalten hatte, denn dass dies der wahrscheinlichste Ausgang sein würde, auch wenn ich vor Hoffnung verrückt gewesen war, war mir immer klar gewesen. Sondern weil mein Kommunikationsversuch so gründlich gescheitert war.
Mal abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich mit diesem Wust an Gefühlen und Selbstbildern, mit denen ich sie da so ansatzlos konfrontiert hatte, ebenfalls nicht so ohne weiteres klargekommen war, stellte ich hier zum ersten Mal in aller Klarheit das fest, was mir in der Folge immer öfter und immer schmerzhafter bewusst wurde:
Ich verstand sie nicht. Ich verstand ihren Weg zu kommunizieren nicht, zu empfinden nicht. Kein klares Feedback auf mich und meine Gefühle, nichts, mit dem ich mich identifizieren oder an dem ich mich notfalls reiben konnte. Niemals hätte ich eine solche Antwort für eine meiner Protagonistinnen ersinnen können, niemals hätte ich so viel Klarheit bei gleichzeitiger völliger Ambivalenz als Reaktion antizipieren können.
Es bestätigte für mich diese Ahnung, wurde am Ende zur Gewissheit, dass ich Mädchen und Frauen nicht verstand. Mein Versuch, eben dieses Manko realiter lernend auszugleichen, wenn auch sicherlich mit gänzlich untauglichen Mitteln, so nachhaltig gescheitert war, dass ihm kein in absehbarer Zukunft kein zweiter folgen würde.
Ich beschränkte mich also auf die rein akademische Immersion in Dingen der Liebe und Sexualität, begann mich mit Psychologie auseinanderzusetzen, um mich diesem Phänomen der Andersartigkeit des anderen Geschlechts intellektuell zu nähern.
Las Freud, Jung, Adler, aber auch Maslow im Versuch das geheimnisvolle Unverständliche der Weiblichkeit für mich zu enträtseln, um mich dann aus gesicherter Position noch einmal ins Geschehen zu wagen.
Später, angeregt durch Werke, die wir im Leistungskurs durchgenommen hatten, wie beispielsweise Verana Stefans "Häutungen", auch feministische Literatur, von dem zu dieser Zeit überall kursierenden "Märchenprinzen", bis Alice Schwarzer.
Wie alles in dieser Zeit halbverstanden, unreflektiert zu einem unausgegorenen Ursüppchen eines Frauenbilds zusammengeschüttet und auf kleiner Flamme geköchelt, bis nur ein klares Destillat übrigblieb.
Ich würde Frauen nie verstehen, nie einen Draht zur Andersartigkeit ihrer Psyche bekommen, nie deren Erwartungen und Hoffnungen entsprechen können. Frauen und ich passten einfach nicht zusammen. Das brauchten sie dann auch nicht mehr.
Meine Berufswahl entfernte mich von ihnen. Nach der Grundausbildung landete ich im Stab und der Stabshauptmann, für den ich neben anderen Tätigkeiten eine Art Ordonanz wurde, erkannte früh mein Talent für Planung und strukturiertes Herangehen an logistische Probleme. Er brauchte mich kaum zu ermuntern, ich beschloss bereits nach einem halben Jahr Berufssoldat zu werden.
Selbstverständlich reifte ich als Persönlichkeit, sah Dinge differenzierter und verstand nun sicher auch mehr, als noch in der Schulzeit. Im späteren Verlauf meines Lebens war es daher weniger ein Eingeständnis, dass ich Frauen nicht verstehen konnte, sondern mehr, dass ich es gar nicht mehr wollte. Sie als eines von vielen interessanten abstrakten Phänomen beobachten und respektieren konnte, die unsere Welt so schön, aber auch so verwirrend machen.
Meine Mutter hatte mir noch kurz vor ihrem Tod angetragen, ich solle mich doch langsam mal mit dem anderen Geschlecht auseinandersetzen. Und schlug gleich mehrere Kandidatinnen aus unserem Bekanntenkreis vor. Vielleicht nur aus dem Gefühl heraus, dass eine Mutter verpflichtet ist, ihr Kind auf alle Möglichkeit der Glücksfindung aufmerksam zu machen, denn meine Ablehnung verstand und respektierte sie ohne Überraschung und Widerstand.
Selbst meine Mutter war für mich ein Buch mit sieben Siegeln gewesen, was ihre Emotionalität und Denkweise anbetraf. Was unser Verhältnis aber bestimmte, war außer der Zuneigung, die ich sicher für sie hatte, auch und gerade die Tatsache, dass sie vieles von dem verkörperte, was ich als wünschenswerte Charakterzüge und Zeichen menschlicher Größe sah.
Selbstlosigkeit, eine unfassbare Härte sich selbst gegenüber, ein disziplinierter und rigoroser Umgang mit Alltag und Verpflichtungen, eine strukturierte und klare Handlungsweise, jederzeit durch ihre Regelmäßigkeit nachvollziehbar. Die einzige Frau in meinem Leben, die ich also nicht hundertprozentig verstand, aber mit der ich gefahrlos und sicher umgehen konnte.
Also, ein Untermieter. Es hieß mehr als nur das Zimmer zu vermieten, und die anderen Räume wie Küche und Bad, aber vermutlich auch das Wohnzimmer mit einer fremden Person zu teilen. Gemeinschaftliches Leben war mir schließlich von der Bundeswehr alles andere als fremd. Hier aber hieß es, der anderen Person einen direkten Zugang zu meinem privatesten, tatsächlichen Leben zu gewähren.
Standen vielleicht Kompromisse wie die Wahl der gemeinsam zu schauenden Fernsehsendungen, unter Umständen gemeinsame Mahlzeiten an, ein logistisches Vakuum, das es zu füllen galt, würde entstehen. Mit einem Mann konnte ich mich sicher arrangieren. Die Idee begann mich zu elektrisieren.
Vielleicht bekam ich einen weisen alten Mann als Hausgenossen, mit dem ich über Philosophie und Kunst diskutieren konnte, oder über Fußball, oder Literatur? Oder sogar Frauen? Nicht nur Bücher sind aus zweiter Hand wertvoll, auch und gerade die Erfahrungen anderer.
Ja, und wo und wie fand man solche idealen Zeit- und Hausgenossen? Nach kurzer Überlegung entschied ich mich, die kostengünstige Herangehensweise anderer zu kopieren und einen Aushang mit abreißbaren Kontaktinfos zu verfassen. So weit, dass ich diesen an Verkehrsschilder und Litfaßsäulen platzierte wie manche, wollte ich allerdings nicht gehen.
Mein Antiquariat und der nahe Supermarkt erschienen mir als ausreichende und erfolgversprechendste Standorte für mein Angebot, also bereitete ich zwei entsprechende Zettel vor. Hängte einen davon unverzüglich bei meiner Arbeitsaufnahme auf, ohne dass er an diesem ersten Tag auch nur von irgendjemandem wahrgenommen wurde, und begab mich nach Ladenschluss zum Supermarkt, da ich dort ohnehin einkaufen musste.
Nachdem ich meine Einkäufe in den mitgebrachten Taschen verstaut hatte, wollte ich den Zettel aufhängen. Und stellte fest, dass es mit meinem logistischen Genie, was mir manche unterstellten, wohl doch nicht so weit her war, denn ich hatte nicht daran gedacht, wie ich es an der dort dafür vorgesehenen Kunststoff-Pinwand anbringen könnte.
Im Laden hatte ich selbstverständlich Klebeband zur Verfügung gehabt. Was nun? Noch einmal zurück mit all den Einkäufen, um dort solches käuflich zu erwerben, oder vielleicht eine der Kassiererinnen ansprechen und um Hilfe bitten? Nein, es war wie immer nach Feierabend voll und sie sahen gestresst aus. So nicht, lieber noch einmal reingehen.
Und die ganzen Tüten und Taschen? Ausgerechnet an diesem Tag wollte ich den Aushang mit einem überfälligen Großeinkauf verbinden. Die Frau, die ihren Wagen ebenfalls richtig gefüllt hatte und neben mir fahrig und unschlüssig einpackte, würde sicher noch eine Weile damit beschäftigt sein. Also sprach ich sie an.
"Entschuldigen Sie bitte... Ich wollte hier einen Aushang loswerden und habe gerade festgestellt, dass es mir an Tesa fehlt... Wären Sie vielleicht so nett, einen Augenblick auf meine Taschen zu achten, während ich schnell noch einmal reinlaufe?"
Die Frau schaute mich zum ersten Mal direkt und unverwandt an. Ich schätzte sie im ersten Eindruck auf Anfang dreißig, mit seltsam ungeordnet wirkender Frisur und leicht geröteten Augen, die mich nichtsdestotrotz ausdrucksstark fixierten.
"Natürlich, kein Problem. Was wollen Sie denn loswerden?", fragte sie mit mildem Interesse und holte sich die Antwort selbst mit einem raschen Blick auf den Aushang, den ich neben meinen Tüten ablegte.
"Ein Zimmer in meiner Wohnung", erklärte ich trotzdem. "Das ist sehr nett von Ihnen und es wird auch bestimmt nicht lange dauern, sofern die langen Schlangen an der Kasse mir da nicht einen Strich durch die Rechnung machen."
Und wollte los eilen.
"Warten Sie, das brauchen Sie nicht. Ich nehme es."
Ich fror buchstäblich in meiner Bewegung ein. Indigniert nahm ich zur Kenntnis, dass mein unterstrichener Satz "männliche Mitbewohner bevorzugt", den ich eigentlich nur so formuliert hatte, um nicht vollends misogyn zu wirken, ihr offenbar entgangen war, oder sie ihn zu ignorieren gedachte. Bevor ich mich davon vollständig erholt hatte, setzte sie zu weiteren Erklärungen an.
"Ich bin verzweifelt auf der Suche. Ich... befinde mich in einer echten Notsituation... ich trenne mich gerade... schmerzhaft... von meinem Ehemann... bitte, hören Sie mich an", würgte sie meinen Versuch zur Erwiderung ab.
"Ich gehe kaputt mit ihm in der Wohnung... und ihr Zimmer, das ist ideal, bis ich mich sortiert habe, vom Preis und von der Lage... wie eine Fügung des Schicksals, dass ich hier auf Sie treffe, verstehen Sie?"
Die ehrliche Antwort wäre ein klares "Nein" gewesen, denn zum einen war mir dieses Konzept zwar bekannt, aber im höchsten Maße suspekt, zum anderen hatte ich von Trennungen nicht den mindesten Schimmer.
Und auch die Tatsache, dass sie dabei völlig außer Acht ließ, dass ich eventuell nicht nur nicht an Frauen, sondern generell an Durchreisenden nicht interessiert sein könnte, völlig überging, machte mich für einen Moment sprachlos.
"Ehm... das tut mir sehr leid... aber...", setzte ich nach kurzem Räuspern an.
Oh mein Gott, jetzt brach sie auch noch in Tränen aus. So viel zu logischen Argumenten, die nun hätten angebracht werden können. Wie in einem Sprudelglas stiegen Gedanken in meinem Bewusstsein als kleine Blasen nach oben, um dann sofort zu zerplatzen. Dann kam die letztmöglich rettende Idee.
"Beruhigen Sie sich doch bitte. Ehm... ich werde Sie natürlich selbstverständlich in Betracht ziehen. Sie müssten sich doch allerdings erst einmal einen Einblick von dem Zimmer und der daran hängenden Wohnsituation verschaffen, finden Sie nicht? Bevor Sie eine solche Zusage erteilen können?"
"Da haben Sie natürlich Recht. Kann ich es sehen?"
Ah, das beruhigte und deeskalierte für den Moment die Situation.
"Selbstverständlich. Wenn Sie nun wie versprochen kurz auf meine Tüten aufpassen, können wir sicher danach einen Termin vereinbaren", versuchte ich meinen Widerstand aufrechtzuerhalten und zudem an das gegebene Versprechen zu erinnern.
Dass jeder Vermieter die Verlässlichkeit von getroffenen Vereinbarungen schätzt, musste ihr ja selbst in diesem unzweifelhaft desolaten Zustand, in dem sie sich befand, aufgehen.
"Wann, wenn nicht jetzt?", kam ihre schnelle Antwort, während sie sich mit dem Jackenärmel ihre Tränen abwischte. Christa Wolf, wenn das kein Zufallsprodukt war. Und der Knock-Out in der ersten Runde. Verflucht. Frauen.
"Ich bin Claudia", sagte sie dann zu allem Überfluss noch und reichte mir ihre zitternde Hand.
Aha. Die nächste Trägerin dieses Namens, die mir meine schöne Zukunftsplanung mit einem weisen Sinnspruch zerschoss. Nur, dass ich mich diesmal nicht wie ein verwundetes Tier in meine geistigen Höhlen zurückziehen konnte. Diesmal wurde eine direkte, physische Reaktion erwartet.
Zögernd nahm ich ihre Hand.
"Immanuel, lachen Sie bitte nicht. Mein Vater war ein großer Bewunderer dieser Geistesgröße. In meinem Freundeskreis hat sich allerdings Manni eingebürgert." Die Referenz zu Kant würde sie wahrscheinlich nicht einmal verstehen. Oder sie interessierte sie nicht.
"Gut Manni, gib mir eine Minute, dann habe ich das Zeug hier verpackt und wir können los."
Völlig überfahren von der Situation konstatierte ich mit innerlicher Weinerlichkeit, dass sie nicht nur meinen Versuch, mit dem Sie eine gewisse Distanz weiterhin aufrechtzuerhalten, wie auch meinen Wunsch, das Zimmer anderen prospektiven Kandidaten anzubieten, völlig ignorierte.
Sah ihr hilflos zu, wie sie binnen Sekunden die zuvor fahrig und chaotisch wirkende Verpackungsaktion nun methodisch und sicher fortsetzte und tatsächlich blitzschnell damit fertig wurde. Ich fand mich also mit meiner vorläufigen Niederlage ab und verstaute den Aushang in einer meiner Taschen.
Gut, dann eben beim nächsten Versuch, den es doch hoffentlich noch geben würde. Dann konnte ich Tesa vom Laden oder von zuhause mitbringen. Wenigstens ein vernünftiger Ausgang des Geschehens.
"So, dann lass uns", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
Also gut, eine Rückkehr zum formellen Sie war nun nicht mehr möglich. Worüber sollte ich mich auf dem Weg zur Wohnung mit dieser wildfremden Person unterhalten? Sie hatte da bereits ihre Ideen.
"Wie groß ist die Wohnung insgesamt?", wollte sie wissen.
"Dreieinhalb Zimmer, wobei ich in dem halben eine kleine Bibliothek einrichten wollte. Das Zimmer, um das es geht, wurde bis vor kurzem von meiner verstorbenen Mutter bewohnt."
"Das tut mir schrecklich leid. Dann sitzen wir in einem Boot, weil sich unser beider Leben so radikal verändert hat und können uns aneinander aufrichten."
Oh Gott, nicht das. Für einen Moment hoffte ich, dass sich das Zimmer in meiner Abwesenheit radikal verändert hatte, denn diese Claudia würde nichts anderes mehr abschrecken können.
Und wenn ich ihr erzählte, ich freute mich über einen weiblichen Zuwachs, weil meine allwöchentlichen satanischen Orgien ein wenig frisches Blut durchaus gebrauchen könnten?
"Ehm... ja, es war ein trauriger Verlust, vor allem, weil er überraschend kam. Nun, Hintergrund für die Vermietung ist, dass ich ohne ihre Rente finanziell nur schwerlich über die Runden komme. Ich habe zwar mein eigenes Geschäft, aber das wirft momentan alles andere als reichlich ab und wird es auch wohl in absehbarer Zukunft nicht mehr tun."
"Geld ist doch bei allen knapp. Deshalb kann ich auch keine eigene Wohnung aus dem Stehgreif finanzieren. In einer WG habe ich seit meiner Uni-Zeit nicht mehr gewohnt. Es wird bei uns beiden bleiben, oder willst du noch ein weiteres Zimmer vermieten?"
Ich hatte das Gefühl mit jedem ihrer Sätze immer mehr an eine Situation gefesselt zu werden, die eigentlich mein Einverständnis voraussetzte, aber wo mir offenbar jedes Stimmrecht genommen war. Wie machte sie das?
"Nein, es bleibt bei dem einen Zimmer. Da sind wir schon. Es ist im dritten Stock. Soll ich dir vielleicht welche von deinen Tüten abnehmen?"
"Ein Kavalier der alten Schule, na wunderbar. Nein danke, so schwer sind sie nicht und wie wir festgestellt haben, haben wir beide unsere Päckchen zu tragen. Was für ein Geschäft betreibst du?"
"Ein Antiquariat. Und hier eine Bibliothek einzurichten bedeutet in diesem Fall nicht Arbeit mit nach Hause zu nehmen, sondern meine Passion."
Zum ersten Mal zeigte ihr Gesicht so etwas wie den Ansatz zu einem Lächeln. Was mochte sie gerade durchmachen oder bereits durchgemacht haben? Bloß nicht dran rühren.
"Dann solltest du ein paar Regalbretter für mich mit einplanen, ich lese ebenfalls leidenschaftlich gern."
Nein, auf so billige Anbiederungsversuche fiel ich nicht herein. Ich seufzte innerlich und dann betraten wir meine Wohnung. Ich zeigte ihr zunächst das Zimmer.
"Die Möbel sind alt, aber aus einer Zeit, in der noch stabil und gründlich gearbeitet wurde. Nur das Bett ist relativ neu, es ist im Grunde ein Pflegebett, was sich motorisiert in der Höhe verstellen lässt. Meine Mutter hat nicht viel Gelegenheit bekommen, sich daran zu erfreuen. Vermutlich ist dies keine Möblierung, in der sich eine junge Frau wie du wohlfühlen könntest?", testete ich meine geheime Hoffnung sofort.
"Es ist wunderschön, ich werde es wahrscheinlich etwas umbauen, aber mit den Möbeln selbst komme ich gut zurecht. Den großen Sessel da kann ich nicht gebrauchen, könntest du ihn irgendwo anders lagern? Er nimmt ziemlich viel Platz weg."
Alles beschlossene Sache? Schauen wir mal.
"Natürlich. Ich zeige dir jetzt den Rest der Wohnung. Bei Tage ist es natürlich ein gänzlich anderer Anblick, es ist eine sehr helle Wohnung...", gab ich zu allem Überfluss preis und biss mich dabei selbst ertappend auf meine Lippe. "Ehm... das ist das Wohnzimmer, wiederum von meinen Eltern möbliert, aber ich habe weder die Mittel noch die Energie, sie nach meinen Wünschen zu gestalten. Wobei ich mir nicht sicher wäre, wie diese aussehen würden."
Irritiert bemerkte ich, dass sie dem Ambiente überhaupt keine Beachtung schenkte und sich stattdessen einem Bild von mir und einigen Kameraden widmete, dass ich meiner Mutter einmal zu Weihnachten geschenkt hatte.
"Du warst Soldat?"
"Ja, zwanzig Jahre lang Berufssoldat, im Stab, Planung und Logistik. Das Foto stammt aus meiner Zeit in Afghanistan."
"Oh mein Gott, das muss furchtbar gewesen sein."
Das war es in der Tat gewesen, aber woher wollte sie das wissen? Langsam dämmerte in mir die Erkenntnis, dass anstatt von anregenden Gesprächen über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, mir vermutlich grausame Fragestunden über mich und mein persönliches Leben ins Haus standen. Die Art, wie sie aufblühte, war kein gutes Zeichen.
"Das ist das Bad, wie du siehst kann man in der Badewanne auch stehend duschen", gab ich bekannt und verfluchte mich, dass ich den Toilettendeckel runtergemacht hatte. Den Patienten-Lift, der meiner Mutter und mir beim Absetzen in der Wanne geholfen hatte, war von der Krankenkasse bereits wieder abgeholt worden lassen.
"Wundervoll. Und alles so makellos sauber... hast du extra wegen der Führungen geputzt, oder..."
"Ich bin ein sehr reinlicher Mensch. Hygiene ist wichtig. Ordnung ist das halbe Leben", gab ich zum Besten, was mir in Kindheit und Ausbildung eingebläut worden war.
Jetzt lächelte sie sogar.
"Die Küche. Auch nicht die modernsten Geräte, aber sie sind alle funktionstüchtig. Gasherd, Backofen, eine kleine Mikrowelle, Waschmaschine und Kühl- Gefrierkombi. Die Wäsche kann man im Sommer auf dem Balkon aufhängen, da steht nur im Moment ein wenig Gerümpel, das ich noch nicht zu entsorgen kam. Im Winter gibt es einen Trockenraum im Keller, den alle Mietparteien gemeinsam nutzen."
"Sehr schön, zeigst du mir auch dein Zimmer?"
Warum? Was ging sie das an? Sollte ich ein Chaos vortäuschen und sagen, dass ich mich deshalb schämen würde? Nein, sie war durchtrieben genug, um das im Ansatz sofort zu erkennen.
"Nun, das ist hier. Dann siehst du gleich, warum ich das halbe Zimmer in eine Bibliothek umwandeln möchte", gab ich nach und gewährte ihr einen kurzen Blick in mein Reich, was eindeutig von den überquellenden Bücherwänden dominiert wurde. Und wieder war ihr Fokus ein anderer.
"Eine Schreibmaschine? Oder ist das ein Decoder für irgendwelche Geheimnachrichten, wie es die im zweiten Weltkrieg gab? Sammelst du solche Stücke?"
Ich räusperte mich missbilligend.
"Es ist eine ordinäre Schreibmaschine, elektrisch, nicht besonders laut. Ich sammele so etwas nicht, ich nutze sie. Ich schreibe manchmal", gab ich ihr den wahren Sachverhalt bekannt. Hm, könnte sie meine Rückständigkeit abschrecken?
"Ich habe keinen Computer und nebenbei keine Internetverbindung. Es gibt eine Festnetz-Telefonleitung, die ist meines Wissens aber sogar noch analog", setzte ich sie ins Bild.
"Das ist kein Problem, hier in der Gegend gibt es Kabel, das ist schnell verbunden und von allem das Stabilste. Haben wir seit Jahren", war die lakonische Antwort.
"Ich mache mir nichts aus Fernsehen, schaue höchstens mal Sport...", setzte ich erneut an.
"Da sind wir schon zwei. Mal ein schöner Film, aber den lieber im Kino. Berieselung ist nichts für mich. Ich brauche die Stille, um mich allen Energien zu öffnen", entgegnete sie, während ich ihr das halbe als letztes Zimmer vorführte.
Oh Gott, war sie eine von diesen New-Age Tanten? Das war jetzt auf die Schnelle nicht zu eruieren, aber im Lichte dieses Verdachts sahen ihre Klamotten gefährlich alternativ aus. Ich konnte die Räucherstäbchen und Duftkissen förmlich schon riechen, sah unsere Küche bereits mit Körnern und Samen aufgefüllt. Unsere Küche? Verdammt.
"Ich glaube, wir werden wunderbar miteinander klarkommen", gab sie ihre wohl abschließende Rückmeldung, wie sie sich die nähere Zukunft vorstellte. "Und einander heilen."
Ein Satz, der Vollalarm-Sirenen in meinem Kopf ausgelöst haben würde, wenn sie nicht in diesem Augenblick wieder schrecklich traurig und verloren gewirkt hätte. Sie würde doch nicht wieder zu weinen anfangen?
"Ehm... du hast also eine schlimme Zeit hinter dir? Eine... schmerzhafte Trennung, sagtest du?", versuchte ich Mitgefühl zu zeigen, wohl wissend, dass ich mir damit die letzten Zentimeter in meinem figurativen Grab schaufelte.
"Ja. Ich war acht Jahre verheiratet, um dann herauszufinden, dass mein Mann seit vier Jahren eine Affäre hat."
Das kommt vor, habe ich mir sagen lassen. Die Literatur ist voll davon. Als Betroffene sah man das allerdings wahrscheinlich nicht als den Stoff, aus dem gute Dramen geschneidert wurden.
"Mit meiner jüngeren Schwester", gab sie zusätzlichen Einblick in den Hintergrund und die Tiefe ihrer Verzweiflung.
Damit war natürlich die Rückzugsmöglichkeit an den Busen der Familie, die man als Alternative hätte anbringen können, ausgefallen. Verdammt. Ich konnte nicht mehr ablehnen, ohne auch vor mir selbst als Neandertaler zu erscheinen.
"Das ist... ich verstehe. Das musst du erst einmal verarbeiten", hörte ich mich sagen. "Dann verstehe ich auch, warum deine augenblickliche Wohnsituation so unerträglich ist. Gut... wie... denkst du jetzt über die Wohnung und das Zimmer? Ist... der Mietpreis fair? Ich habe überhaupt kein Gefühl dafür, was man so verlangt."
"Total. Wann kann ich einziehen?"
Ein klares, strukturiertes Leben, frei von jeder Unregelmäßigkeit. Verlässlich in seiner Routine. Wegen einer "Fügung des Schicksals" binnen Minuten auf den Kopf gestellt. Nun hatte ich eine Hausgenossin. Und was für eine.
Hausgenossen
Selbstverständlich half ich ihr bei ihrem Umzug. Schon am nächsten Tag. Ritterlichkeit ist nicht nur eine Tugend, sondern ein Wesenszug des preußischen Offiziers, hatte mein Generalleutnant immer gesagt.
Kein archaisch-deplatzierter Spruch von ihm, er lebte das und verstand sich zurecht so. Eine Ahnenreihe im Offiziersgeschlecht, die hundertsechzig Jahre zurückreichte. Einen Großvater, der seine Haltung und Integrität als Mitwirkender am Attentat an Hitler mit dem Leben bezahlte.
Ihr untreuer Gatte war nicht zugegen. Mitwirkender in einem Drama wurde ich entgegen schlimmer Befürchtungen meinerseits bei der Abholung ihrer "paar Sachen" also nicht. Obwohl wir dreimal fahren mussten. Sie hatte nicht übertrieben, wer Bücherkisten professional bewegte wie ich, wusste auch ohne Augenschein was sich in vielen ihrer Umzugskisten befand.
Im Verlauf des Tages hatte ich versucht, mich mit dem gerade Geschehenen auseinanderzusetzen. Der Situation das Beste abzugewinnen. Gut, es war kein weiser alter Mann, der mir Denkanstöße und Anekdoten aus dem Fundus seines langen Lebens geben würde. Aber ich hätte nun Gelegenheit, das mir unbekannte Wesen aus nächster Nähe zu studieren, was mir bis dato versagt geblieben war.
Hatte zudem die Möglichkeit, mit jemandem den Alltag zu bestreiten und zu teilen. Wenn ich ehrlich war, fehlte mir das bereits ungemein. Die gemeinsamen Mahlzeiten mit meiner Mutter, die Berichte von unseren kleinen Erfolgen und Niederlagen, oder skurrilen Ereignissen, die an Frequenz und Absurdität immer mehr zuzunehmen schienen.
Die Welt dreht durch, hatte meine Mutter immer wieder gesagt. Kein Wunder, dass uns dabei schwindelig wird. Unsere Weltbilder waren nie deckungsgleich gewesen, aber die gleichen Folgerungen schienen wir trotzdem zu ziehen. Ihr scharfer Verstand fehlte mir. Mein Vater hatte viel gedacht, aber nur wenig davon preisgegeben. Das war bei ihr anders gewesen.
Anpacken konnte sie, das musste man Claudia lassen. Ihre Hilflosigkeit erstreckte sich nur auf ihren prekären emotionalen Zustand. Wie ich ihr hier unter die Arme greifen konnte, wollte mir allerdings nicht aufscheinen. Mein psychologisches Halbwissen konnte da sicher nur mehr Schaden, denn Nutzen bringen. Es war auch sicher nicht Teil des Untermietvertrags, den ich noch am späten Abend formuliert hatte.
Der ein Entgegenkommen an beide war. Keine Kaution, nur ein Monat Kündigungsfrist. Eine temporäre Vereinbarung, mit der wir beide gut leben konnten. Hatte sie sich beruhigt und ihr Leben ebenso, würde sie weiterziehen und ich konnte diese wie viele andere Erfahrungen zuvor unter "erlebt, besser nicht wiederholen" abheften. Eine gewisse Neugier und vielleicht sogar Vorfreude auf sie und die Zeit mit ihr bemerkte ich allerdings an mir auch.
Sie half mir den breiten und schweren Lieblingssessel meiner Mutter in den Keller zu tragen. Ich hatte ohnehin Sperrmüll beantragen wollen, nicht nur auf dem Balkon hatte sich einiges angesammelt.
"So, das haben wir. Du möchtest doch sicher mit dem Einräumen beginnen?", schloss ich von mir auf ihre Vorhaben.
"Nein, das hat Zeit, ich habe mir bis Ende der Woche freigenommen. Ich finde, wir sollten ein Glas Wein trinken und uns näher kennenlernen", entgegnete sie zu meiner Überraschung.
Hm, eine Gelegenheit sie mit den Regeln und Abläufen vertraut zu machen? War das Gerücht wahr, dass Frauen endlos viel Zeit im Bad verbrachten? Meine Mutter hatte dies nicht getan, mal abgesehen von den letzten Jahren aufgrund der Krankheit. Ja, es gab meinerseits erhebliche Informationsdefizite. Auf eine Situation, die man nicht kennt, kann man sich nur schwerlich einstellen.
"Gerne. Wie du möchtest. Ich habe eine Auswahl an trockenem Bordeaux oder einigen Chablis, wenn dir der Sinn mehr nach Weißwein steht."
Sie ließ sich die Auswahl zeigen und wählte zielsicher die beste und schwerste rote Variante. Gut, eine erste Gemeinsamkeit. Notfalls konnten wir uns gemeinsam den Kopf zudröhnen, wenn alles andere versagte. Hatte mit meinen Kameraden oft genug funktioniert. Wenn auch auf weit weniger zivilisierten Niveau.
Nur das Geräusch einer in nächster Nähe explodierenden IED kriegt man so nicht aus dem Bewusstsein. Die Schreie der Verletzten, die sich über den Tinnitus hinwegheben, aus dem satten dumpfen Schock mitten hineingeraten und mehr oder minder unverletzt die Sache überstanden zu haben, der gleich der Nachwirkung der Explosion, alle anderen Geräusche wie in Watte dämpfte.
"Was machst du beruflich?", versuchte ich das Gespräch in Gang zu bringen, weil ihre stumme Musterung meiner Person mich langsam nervös machte.
"Ich bin Physiotherapeutin an der Universitätsklinik. Allerdings arbeite ich nur zwanzig Stunden die Woche, ich teile mir den Arbeitsplatz sozusagen mit einer Kollegin."
Aha, dann machte ihr finanzieller Engpass mehr Sinn. Sie sah mich prüfend an.
"Hast du irgendwelche Schmerzen, bei denen ich dir vielleicht helfen kann?"
"Nein, wie kommst du darauf?", gab ich verblüfft zurück.
"Du sitzt kerzengerade, als ob du eine Rückenverletzung hast und so versuchst zu kompensieren. Ich wollte dich eigentlich schon fragen, als wir die Sachen geschleppt haben, nicht dass du dir einen Hexenschuss holst."
"Ehm... nein", erwiderte ich lächelnd. "Ich praktiziere nur den aus der Mode geratenen aufrechten Gang."
"Verstehe. Nun, das versuche ich zwar auch, aber bei dir wirkt das etwas unnatürlich. Ich beschäftige mich mit Yoga und Bioenergetik, vielleicht wäre das auch was für dich, um etwas lockerer zu werden. Du bist schließlich nicht mehr beim Militär, also brauchst du keinen Panzer, oder?"
Oje. Zum einen war mir nicht hundertprozentig klar, was sie mit Panzer meinte, vermutete aber schon, dass sie damit auf meinen Körper anspielte. Zum anderen erhärtete ihre Yoga-Referenz meinen Verdacht, dass ich bald in den zweifelhaften Genuss des Duftes diverser Räucherstäbchen kommen könnte.
"Ehm... nein, ich halte mich einfach gerade, das mag unnatürlich wirken, aber ich empfinde es als eine ganz natürliche Körperhaltung."
"So, so. Nun... jetzt wirkst du aber gerade auf mich, als ob du total angespannt bist... bleib locker, ich tue dir schon nichts."
Haha. Irgendwie von diesem Thema ablenken.
"Ich habe diesbezüglich keinerlei Befürchtungen und zudem eine Nahkampfausbildung genossen. Etwas ungewohnt ist die Situation sicher, weil ich bislang vornehmlich mit Männern zusammengelebt habe, von meiner Mutter einmal abgesehen...", versuchte ich die Kurve zu kriegen. Aber mit denen hatte ich wie gesagt nicht immer Glück.
"Den Eindruck hatte ich allerdings. Du hast noch nie in einer deiner Beziehungen mit einer Frau zusammengelebt?", wollte sie wissen.
"Ehm... nein, weil ich eine solche bislang noch nicht hatte. Ich bin eher ein Einzelkämpfer", versuchte ich einen zugegebenermaßen lahmen Scherz.
Sie sah mich verblüfft und dann fast besorgt an.
"Alles klar, verstehe. Du kommst mit deiner Homosexualität nicht zurecht?", kam die Rückfrage.
Ich räusperte mich, bevor ich mit einem verunglückten Lächeln antwortete.
"Damit käme ich wunderbar zurecht, allerdings ist dies keineswegs meine Orientierung. Ich bin nicht homosexuell", klärte ich ihren Fehlschluss auf.
Da das Gespräch wieder in Regionen abgeglitten war, die mir unangenehm waren, versuchte ich einen erneuten Themenwechsel.
"Wir haben noch nicht über Abläufe und ähnliches gesprochen", setzte ich an.
"Abläufe?"
"Nun, Badezimmerroutinen, Mahlzeiten, also ob wir diese gemeinsam oder getrennt kochen und einnehmen, Abwasch, Putzen, so etwas halt."
"Was meinst du mit Badezimmerroutinen?"
"Ehm... ich stehe beispielsweise um 6:15 Uhr auf, rasiere und dusche mich bis circa 6:35 Uhr, frühstücke dann um 6:45 Uhr...", begann ich, bis mich ihr Lachen stoppte.
"Du bist gedanklich immer noch beim Bund, was? Ich denke, das bekommen wir hin. Wenn das Bad besetzt ist, ist es eben besetzt. Ich bin flexibel. Ich stehe etwas früher auf, mache dann aber erst einmal eine halbe bis eine Stunde Yoga. Ich hoffe, es ist dir recht, wenn ich das im Wohnzimmer mache? Ich werde das Zimmer ja noch umräumen, so wie die Sachen im Moment stehen, fehlt es dafür etwas an Platz."
Oh Jammer, sie hatte flexibel gesagt. Also würde sie das von mir auch erwarten.
"Nun gut... ehm... ja, sicher geht das hier im Wohnzimmer..."
"Wunderbar. Was gemeinsame Mahlzeiten anbelangt... klar, gerne, das macht Sinn. Ich kann nebenbei gut kochen, wir können gerne abends zusammen essen, gern auch zusammen kochen. Morgens könnte das ein Problem werden, wenn ich erst um 6:48 Uhr fertig werde...", spöttelte sie gnadenlos weiter.
"Komm, das findet sich alles", schloss sie an, als sie meinen säuerlichen Gesichtsausdruck bemerkte. "Etwas anderes. Kannst du mir morgen früh noch die Waschmaschine erklären, bevor du gehst? Ich war in den letzten Tagen zu sehr mit Heulen beschäftigt, um mich um Wäsche und so etwas zu kümmern. Ich hab fast keine saubere Unterwäsche mehr..."
"Selbstverständlich. Ich zeige dir dann auch den Raum im Keller."
"Prima, aber du hast doch bestimmt auch einen Wäscheständer, wenn du im Sommer sonst auf dem Balkon aufhängst? Wegen solcher Kleinteile bräuchte ich da sicher nicht runterzulaufen, manches muss ich auch mit der Hand waschen..."
"Ja, in dem Flurschrank", entgegnete ich, von der Idee in meinem Bad, oder sonst irgendwo mit ihrer Unterkleidung konfrontiert zu werden, unangenehm berührt.
"Super. Müssen wir noch etwas klären? Wann ist der Zapfenstreich?"
Sie hielt sich offenbar für witzig.
"Zwischen 23:03 Uhr und 23:07 Uhr, ich bin da auch ganz flexibel", gab ich im gleichen Tenor zurück. "Vielleicht Abwasch, Putzen..."
"Wie wir Zeit haben, würde ich sagen. So sauber wie bei dir, war es bei uns allerdings nie. Keine Bange, ich passe mich schon an deine Routinen und Wünschen an. Immerhin bin ich es, die so unvermutet in dein Leben einbricht."
Ah, ein Zugeständnis, auf dem ich sie bei passender Gelegenheit vielleicht einmal festnageln konnte. Sie lächelte sanft und spielte mit einer Strähne ihrer Haare. Was für ein Unterschied zum gestrigen Tag, wo sie blass und fertig ausgesehen hatte. Sie wirkte nun gelöst und befreit, hatte wieder Farbe im Gesicht. Die vorherige Wohnsituation musste ein ungeheurer Druck auf ihr gewesen sein.
"Manni passt nicht zu dir", meinte sie plötzlich. "Immanuel ist doch ein wunderbarer Name. Er passt zu dir, also werde ich dich so nennen. Allein schon wegen deiner Kantigkeit."
Nun musste ich doch grinsen. Gut, eventuell sie hielt sich nicht nur für witzig. Nur meine Mutter und mein Vater hatten mich Immanuel genannt. Warum nicht auch sie. Und bildungsmäßig war sie offenbar auch nicht unbedingt im Nachteil. Beruhigend.
"Einverstanden. Möchtest du noch ein Glas Wein?"
"Gerne, obwohl der ganz schön in den Kopf geht. Du versuchst doch wohl hoffentlich nicht, mich besoffen zu machen und dann gleich in der ersten Nacht ins Bett zu ziehen?"
Fast hätte ich als Folge den Wein neben ihr Glas geschüttet. Erschrocken sah ich sie an.
"Das würde ich niemals... auf keinen Fall...", stammelte ich verwirrt.
"Immanuel, Immanuel... ich sehe schon, nicht nur dein Körper könnte einiges an Lockerungen gebrauchen. Das war selbstverständlich nicht ernst gemeint. Und wäre auch gar nicht so einfach, ich habe den Ruf, einiges zu vertragen. Bis ich wieder wirklich an Sex mit Männern denken kann, vergeht sicher noch einige Zeit, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Apropos, da sind wir vorhin vom Thema abgekommen, was meintest du damit, dass du noch nie eine Beziehung gehabt hast?"
In dem Abbild meines Gesichts auf dem Kristallweinglas konnte ich erkennen, dass ich von ihrem "Scherz" richtig rot geworden war. Eine gewisse Peinlichkeit hatte nun gleichfalls das Thema, zu dem sie jetzt zurückkehren wollte.
"Es ist so, wie ich es gesagt hatte. Ich habe bislang keinerlei Liebesbeziehungen geführt. Mein Interesse an Frauen ist eher akademisch", fügte ich noch hinzu, im selben Augenblick erkennend, wie quer das für eine Außenstehende klingen musste.
"Du bist ja niedlich... eher akademisch. Ich sehe schon, wir werden eine Menge Spaß miteinander haben", entgegnete sie mit feinem Lächeln.
Niedlich war ich meinem Leben allerdings noch nicht genannt worden. Und wurde den Eindruck nicht los, dass dieser "Spaß" vornehmlich auf meine Kosten gehen würde.
"Und warum?", riss sie mich aus meinen Gedanken.
"Warum?"
"Keine Liebesbeziehung, wie du das so schön genannt hast. Die Richtige noch nicht gefunden?"
"Weder gesucht, noch gefunden. Ich war wie gesagt zwanzig Jahre lang Soldat", versuchte ich eine abgeschwächte Erklärung, mit der sie sich hoffentlich zufriedengeben würde.
"Jungfrau?"
Oooch, jetzt wurde es langsam unangenehm.
"Nein, das nicht", presste ich hervor und trank den Rest meines Weins in einem Zug leer. Verdammt.
"Ich meine vom Sternzeichen. Du kommst mir wie eine Jungfrau vor", erklärte sich leichthin.
"Oh...", quittierte ich die überraschende Wendung. Die allerdings nicht weniger unangenehm war, denn ich konnte diesen Astrologie-Quatsch nicht ausstehen. "Da liegst du erstaunlicherweise richtig."
"Echt? Witziger Zufall, ich hatte tatsächlich gemeint, ob du noch nie mit einer Frau geschlafen hast. Keine Ahnung wie Jungfrauen sind, ich habe mich noch nie damit beschäftigt, ist doch totaler Schwachsinn."
Die zweite Gemeinsamkeit. Immerhin.
"Da stimme ich dir nur zu gerne zu."
"Meine Fragen sind dir unangenehm, nicht wahr? Nimm es mir nicht übel, ich möchte halt gerne wissen, mit wem ich da zusammenlebe. Du bist... so anders als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe. Das macht mich neugierig."
"Ehm... kann ich verstehen. Und so zurückgeben."
Ja. Wie Mutti war sie nicht. Mit meinen Kameradinnen hatte außerhalb des Dienstes auch selten persönliche Worte gewechselt. Also kein Kunststück in ihrem Fall. Neugierig wurde ich tatsächlich aber doch. Und wenn ich ganz ehrlich war, waren mir ihre Fragen auch, aber nicht nur unangenehm. Warum?
"Ja, du weißt noch wenig von mir, das wird sich in den nächsten Tagen und Wochen sicher ändern. Vielleicht kurz als Steckbrief, ich bin sechsunddreißig Jahre alt, hatte ein Medizinstudium begonnen und nach dem dritten Semester abgebrochen und bin dann auf die Physiotherapie ausgewichen. Ich hatte mehrere längere Beziehungen vor meiner Ehe, von denen zwei richtig übel endeten. Mit Männern hatte ich also bislang nicht wirklich Glück. Bei Jonas hatte ich das Gefühl, er ist der Richtige für mich. Dass er mich so nach Strich und Faden verarscht... und vor allem mit wem, hätte ich ihm nicht mal zugetraut. Also könnte man als mögliche Charaktereigenschaft eine gewisse Blauäugigkeit annehmen... egal, ansonsten bin ich sicher ein sehr umgänglicher Mensch, ich lache gern und genieße gern das Leben in vollen Zügen. Ich bin auch ein sehr taktiler Mensch", schloss sie, legte den Arm um meine Schulter und küsste mich auf die Wange. "Und dir schrecklich dankbar, dass du mich aus dieser unmöglichen Wohnsituation gerettet hast."
Wenn sie vorher mit ihrer Einschätzung deutlich danebengelegen hatte, nun war ich durch ihre Nähe tatsächlich stocksteif gefroren. Sie löste ihren Arm unerträglich langsam.
"Ehm... das war... selbstverständlich. Und ja, wir werden uns sicher bald besser kennenlernen und verstehen", brachte ich mühsam hervor.
Sie schien auf ähnliche Statements meinerseits zu warten, aber ich war unfähig in meiner Verwirrung irgendetwas zu formulieren. Das schien sie zumindest zu erahnen, denn sie setzte nicht nach.
"Gut, es war ein langer, anstrengender Tag", meinte sie nach einem kurzen Blick auf ihr Handy. "Es ist zwar noch vor 23:07 Uhr, aber ich werde mich dann langsam zurückziehen, ein paar Sachen muss ich schon noch auspacken..."
"Natürlich, selbstverständlich", brabbelte ich, erleichtert über das vorläufige Ende der Inquisition.
Die Frau als solche
Obwohl ich einige Zeit zum Einschlafen gebraucht hatte, wachte ich sogar noch vor sechs auf. Es war still in der Wohnung, also konnten es nicht Geräusche gewesen sein, die sie gemacht hatte. Die Wohnung war insgesamt ziemlich hellhörig, was während der Pflege meiner Mutter sehr hilfreich gewesen war, nun aber vielleicht ein Problem werden konnte.
An Lärminstrumenten war mir während ihres Umzugs allerdings außer einer diese Mikro-Anlagen nichts aufgefallen, insofern war ich schon etwas beruhigt. Das war ich insgesamt. Gut, an ihren etwas merkwürdigen Sinn für Humor und vieles andere, wie beispielsweise ihre "taktile" Ausrichtung, würde ich mich sicher gewöhnen müssen. Aber können. Ihre Aussage, ein umgänglicher Mensch zu sein, konnte ich fast schon zu diesem Zeitpunkt unterschreiben.
Gut, sie war kein Mann, aber sie machte den Eindruck, dass man sich mit ihr arrangieren konnte. Sogar kommunizieren. Immerhin redete sie nicht ausschließlich in Sinnsprüchen. Intelligent war sie zweifellos, ihre Achillesferse war vermutlich ihre Emotionalität. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ihr abgebrochenes Studium ebenfalls mit ihren schlechten Erfahrungen mit Männern zu tun gehabt hatte.
Um 6:13 Uhr stand ich auf und zog meinen Bademantel an, erstmals in dieser Wohnung, den hatte mir meine Mutter damals für das Krankenhaus besorgt, nachdem mein Versuch eine Hauswand als Durchfahrt zu nutzen, kläglich gescheitert war. Mich trieb auch etwas Neugier, war sie tatsächlich schon auf und machte Yoga?
Um sie nicht abzulenken und zudem auf meine Neugier aufmerksam zu machen, schlich ich mich vor dem Gang ins Bad auf leisen Sohlen ins Wohnzimmer. Tatsächlich, sie hatte eine dieser Übungsmatten auf der großen freien Fläche zwischen Sitzgarnitur und Fernsehtisch ausgebreitet und absolvierte eine Übung.
Vom Yoga wusste ich nicht sehr viel, aber was sie dort tat, sah wie eine ganze Reihe aneinandergehängter Übungen aus, eine langsame Bewegung wie aus einem Guss, manchen Dehnungsübungen, die ich aus der Leichtathletik kannte, nicht unähnlich. Faszinierend, auch in seiner Ästhetik.
Und nicht nur die Vorführung. Sie war erstaunlich beweglich, wie eine Turnerin. Hatte allerdings einen deutlich fraulicheren Körper als diese, zumindest die, die man bei Olympia und so sah. Einen ausgesprochen perfekt proportionierten Körper. Einen ausgesprochen aufregenden...
Ich stoppte mich bei diesem Gedanken und floh ins Bad, verwirrt und erschüttert über diese Gedanken und mein ganzes Verhalten. Jetzt hatte ich keine zwölf Stunden eine weibliche Hausgenossin, und spannte sie an? Das ging nun gar nicht. Ich schnitt mich beim Rasieren gleich zweimal, was mir seit Jahren nicht mehr passiert war.
Ruhig Blut, Brauner. Zugegeben, ihr wunderbarer Hintern und auch ein gewisser Abdruck ihres Geschlechts in den engen blauen Hosen, die sie dort getragen hatte, hatten mich aus dem Konzept gebracht. Die Information, die mich wirklich interessiert hatte, hatte ich erhalten. Sie stand um diese Zeit diszipliniert auf und huldigte ihrem... was war das eigentlich, ein Sport?
Während ich mich auszog, sah ich alles andere als kritisch auf meinen eigenen Körper. Ich ging einmal wöchentlich ins Fitness-Studio und lief zumindest im Sommer auch mal ein paar Runden. Panzer? Mein Oberkörper sah vielleicht ein wenig wie eine römische Rüstung aus, denn er war fein artikuliert. Eine Folge des Trainings, nicht dessen Ziel.
Ich zählte bis fünfundzwanzig und begab mich dann unter den Wasserstrahl. So lange brauchte es nämlich exakt nach dem Entkleiden, vor dem ich die Dusche anmachte, bis man sich darunter wagen konnte und warmes Wasser vorfinden würde. Musste ich ihr das mitteilen? Oder sollte sie es lieber selbst auf die harte Tour herausfinden?
An diesem Morgen wäre eine kalte Dusche vielleicht gar nicht mal schlecht gewesen. Also gut. Daran musste ich mich gewöhnen. Ich lebte nicht nur mit einer Frau zusammen, sondern einer ausgesprochen attraktiven Frau.
Also am besten die Gelegenheiten, wo dies zu offensichtlich wurde, meiden. Das Wohnzimmer war somit für mich morgens Sperrgebiet, bis sie ihre Möbel so umgeräumt hatte, dass sie sich dort austoben konnte.
Pünktlich um 6:35 verließ ich das Badezimmer und machte mich nach dem Ankleiden auf den Weg in die Küche. Ob ich ihr auch einen Kaffee mit zubereiten sollte? Mochte sie überhaupt Kaffee?
"Guten Morgen. Du kannst dich schonmal setzen, aber das Frühstück ist erst in fünf Minuten fertig. Es ist erst 6:40 Uhr", wurde mir grinsend von der bereits anwesenden und zudem erschreckend aktiven Claudia unterbreitet.
Sie hatte tatsächlich schon den Frühstückstisch gedeckt, es lief Kaffee durch und es roch nach frischen Aufbackbrötchen im Ofen. Sie trug noch immer ihr Yoga-Dress, wie ich leicht bekümmert feststellte. Und am Rande durchaus erfreut.
"Guten Morgen. Das ist ja eine nette Überraschung. Erwarten wir Gäste?", kommentierte ich, was sie auf dem Tisch alles an Wurst und Käse, Konfitüren und anderen Brotaufstrichen abgeladen hatte. Eierbecher warteten auf ihren Inhalt, der wohl in diesem Moment fertig wurde, denn sie ließ das Wasser laufen, um sie abzuschrecken.
"Nö, ich kenne deine Vorlieben halt noch nicht. Und so ein gemütliches langes Frühstück am Morgen hat doch was, oder? Du hast doch sicher einiges an Zeit, bevor du deinen Laden aufmachen musst?"
"Ich öffne schon um acht, wegen der Studenten", gab ich erklärend zurück. "Aber habe daher trotzdem noch einiges an Zeit."
Kochschinken und Wurst, nicht mal meine, die musste von den Lebensmitteln stammen, die sie gestern mitgebracht und sofort im Kühlschrank verstaut hatte. Also keine Vegetarierin. Insgesamt offenbar eine durchaus normale Frau. Kein Müsli oder Rohkost in ihrer Nähe. Gelobt sei Gott.
"Nicht ganz hart gekocht, ich hoffe, du magst sie so. Wenn nicht, bitte nicht höflich schweigen, ich bin wie gesagt flexibel und passe mich gern deinen Bedürfnissen an", brachte sie an, als wir exakt um 6:45 Uhr mit dem Frühstück anfingen. Warum fühlte ich mich plötzlich albern dabei?
"Nein, perfekt, absolut perfekt, genauso liebe ich sie", gab ich anerkennend zurück.
"Wie flexibel mein Körper ist, hast du ja ansatzweise vorhin gesehen", setzte sie lächelnd fort, wobei ich Schluckbeschwerden bekam.
"Ehm... ich wollte nur... sehen, ob du genug Platz gefunden hast", rettete ich mich in letzter Sekunde.
"Ja, das ging ohne weiteres."
"Was war das für eine Übung, die du dort gemacht hast?", wollte ich wissen und fragte mich, wie sie mich gesehen hatte. Vielleicht als sie sich vornübergebeugt hatte, zwischen ihren Beinen hindurch?
"Der Sonnengruß, Auftakt und Abschluss meiner Morgenroutine."
"Ein wirklich interessanter Bewegungsablauf. Ich treibe auch Sport, gehe zumindest mal ins Fitness-Studio und laufe ab und zu. In meiner Jugend war ich Leichtathlet, Zehnkämpfer um genau zu sein."
"Zehnkämpfer, Einzelkämpfer, Nahkämpfer, Soldat... das Leben ist für dich ein Kampf, eine Auseinandersetzung?"
Huch. Eine berechtigte Frage? Auf jeden Fall eine, die ich mir nie selbst gestellt hatte.
"Ein wenig schon, vielleicht... darüber habe ich in dieser Form nie nachgedacht. Das werde ich aber sicher im Tagesverlauf tun und gebe dir später eine finale Antwort."
"Du bist ein Denker, das habe ich schon aus der Literatur in deinen Bücherregalen schließen können."
Da musste sie verblüffend schnell meine Buchrücken gescannt haben, ich hatte nur den Blick auf meine Schreibmaschine bemerkt.
"Ja, ich beschäftige mich gern mit Philosophie, Psychologie und Soziologie, ist eine Art Steckenpferd von mir."
"Da haben wir eine weitere Gemeinsamkeit, wenn ich auch mehr zur östlichen Philosophie tendiere", gab sie kauend zurück.
Faszinierend. Das konnte Diskussionsstoff für lange Winterabende werden. Ich ertappte mich dabei, dass ich schon hoffte, sie würde nicht zu schnell eine andere Wohnung finden. Nach nicht einmal zwölf Stunden. Dass ich sie dabei schweigend anstarrte, wurde mir nicht bewusst.
"Was schaust du so?", kam ihre verwunderte Frage.
"Du bist eine faszinierende Frau", entwich mir ein Kompliment, ohne dass sich mein Verstand dazwischengeschaltet hatte. Sie lächelte vergnügt.
"Danke. Das habe ich schon viel zu lange nicht mehr gehört. Du hast gesagt, du schreibst. Das finde ich wiederum faszinierend. Was schreibst du?"
"Oh... alles Mögliche, meist Kurzgeschichten, aber ich hatte vor einiger Zeit auch einen Roman angefangen, der allerdings noch weiter auf seine Fertigstellung wartet."
"Ich würde gerne mal etwas davon lesen. Wie wollen wir das heute Abend mit dem Essen machen? Gemeinsam was kochen, oder darf ich dich zum Einstand heute den ganzen Tag verwöhnen?"
"Oh... wenn du möchtest, gern. Ich übernehme dann aber jetzt und am Abend den Abwasch, das ist nur fair."
"Deal. Magst du Curry-Gerichte, indisches Essen?"
"Sehr gern sogar. Wir sind öfter rüber nach Pakistan, als ich in Afghanistan stationiert war, einige Zeit nicht weit von der Grenze. Da gab es tolle Sachen."
"In Pakistan war ich nie, aber zweimal in Indien, einmal im Norden bis nach Tibet rauf und einmal in Südindien, mit einem Abstecher nach Sri Lanka."
Auch das konnte ein interessanter Gesprächsstoff werden. Sie lächelte mich an.
"Erstaunlich. Wenn du dich freust, weicht dein ganzer Körper auf und du wirkst viel natürlicher, nicht mehr so verkrampft und gezwungen. Du freust dich gerade, oder?"
Ja. Auf das Leben mit ihr. Was ging hier vor?
"Ist mir noch nicht aufgefallen. Vielleicht... weil ich letzthin nicht oft Anlässe zur Freude hatte..."
"Nun, das ändert sich jetzt. Wir werden viel Spaß und Freude zusammen haben können und müssen uns nicht in unsere eigenen Welten zurückziehen, findest du nicht auch? Noch einen Kaffee?"
"Ja. Zu beidem. Gerne sogar." ___
Ich freute mich langsam wirklich auf das Zusammenleben mit ihr. Dabei geschah vieles von dem, was ich befürchtet hatte, hatte ich schon nach dieser kurzen Zeit völlig die Kontrolle über alle Abläufe abgegeben, all ihren Vorschlägen rückhaltlos zugestimmt, mich von ihr leiten lassen. Wie machte sie das nur? Eine bewusste Manipulation wollte ich ihr nicht unterstellen.
Waren alle Frauen so? War sie ein geeignetes Studienobjekt für die Frau als solche? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das Verrückte war, dass allein ihre Anwesenheit und Art mir ein anderes Studienobjekt aufdrängte, wie gleichfalls ihre Fragen. Nämlich mich. War Kampf und Kämpfen wirklich meine Lebenseinstellung, mein Umgang, meine Auseinandersetzung mit dem Leben?
Irgendwie schon. Ich kämpfte um Kontrolle, Selbstbeherrschung, maximale Effizienz und Leistung, Ordnung und klare Strukturen in Denken und Handeln. Hatte bis jetzt den Luxus gehabt, in einer Umwelt zu leben und zu agieren, wo dies nicht nur möglich, sondern erwünscht gewesen war.
Mich niemand hinterfragte. Niemand mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ich mich in einem Panzer einschloss... tat ich das? Doch, ganz sicher sogar. Und das konnte man sehen? Oder nur sie?
Der Student, dem ich gerade geistesabwesend das Wechselgeld gereicht hatte, stutzte, ging noch einen Schritt zur Tür und kehrte dann um.
"Sie haben mir zu viel rausgegeben, ich hatte ihnen nur einen Zehner gegeben", meinte er und hielt mir den überzähligen Zehn-Euro-Schein hin.
"Oh, vielen Dank. Ich war ganz in Gedanken", gab ich zurück und dann meiner echten Freude Ausdruck. "Freut mich, dass es auch noch ehrliche Menschen gibt."
Er zog die Schultern hoch, das Lob war ihm offensichtlich peinlich und dann verließ er den Laden. So einen Spruch hätte ich früher nicht gemacht, vielleicht nur später als eine erfreuliche Geschichte meiner Mutter erzählt. Was ging jetzt in mir vor? Es war Bewegung in mein Leben gekommen, durch diese Frau, durch Claudia.
Durch diesen Hauch von Anarchie, der sie umgab, die ich noch vor Tagen gefürchtet und gemieden hatte, wie der Teufel das Weihwasser. Wie Veränderungen, das Überraschende, nicht Absehbare, Unberechenbare. Das alles hatte sie innerhalb von drei, vier Gesprächen gekippt. Mich neugierig gemacht, voller Vorfreude und Erwartung auf das Kommende. Irre.
Was für eine faszinierende Frau. So natürlich und... Hoppla. Jetzt gingen doch schon die Gäule mit mir durch. Wenn ich nicht aufpasste, verliebte ich mich noch in sie. Ganz langsam. Nicht den Kopf verlieren. Erst einmal in Ruhe den Schock verdauen. Welchen Schock?
Dass eine Frau in meine kleine beschauliche Welt eingebrochen war, in mein Leben und meine Gedanken? Etwas in Bewegung gesetzt hatte, was sich über Jahre als angenehm empfundener Stillstand etabliert hatte? Schon erste Barrieren zum Fallen gebracht hatte, in meinem Denken Schranken geöffnet? Was, wenn dies mit meinen Gefühlen, niederen und höheren auch geschah?
Das konnte keineswegs ihre Intention sein, vermutlich hatte sie genau solche Schwierigkeiten, mich einzuschätzen und mit mir umzugehen, nur äußerte sich das bei ihr auf andere Weise. Dass ich "so anders" war, hatte sie mir ja bereits mitgeteilt. Und niedlich. Darüber kam ich immer noch nicht hinweg. Dass sie mich niedlich genannt hatte.
Entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten harrte ich nicht bis exakt sechs Uhr im Antiquariat aus, sondern schloss bereits eine Viertelstunde vorher ab. Es war ohnehin nicht viel los gewesen. Tatsächlich war an diesem Tag ein älterer Herr sinnierend vor meinem Aushang stehengeblieben, hatte sich aber keinen von den Kontaktslips abgerissen.
Kaum hatte er den Laden verlassen, nahm ich den Aushang ab. Ich war ja schließlich nicht mehr auf der Suche. Und hatte es eilig, zu der Gefundenen zurückzukehren. Ich fand Claudia in der Küche vor, in der es schon herrlich nach Curries roch. Sie schien etwas überrascht, dass ich schon so früh nachhause kam, aber durchaus erfreut.
"Prima... es dauert noch einige Zeit mit dem Essen, die müssen alle noch eine Weile vor sich hin köcheln. Ich muss nur zwischendurch ab und zu umrühren und dann den Reis aufsetzen. Kannst du mir bitte kurz helfen? Ich habe soweit alles verschieben können, aber den großen Kleiderschrank konnte ich nicht alleine bewegen. Echtholz, nicht wahr?"
"Kann gut sein, ich helfe dir gern."
Das Teil hatte es wirklich in sich, aber wir schafften es trotzdem ohne weiteres. Ja, die neue Aufteilung hatte einiges für sich und schuf den von ihr gewünschten Platz für ihre Übungen. Fast schon bedauerlich, dass ich sie dann nicht mehr dabei zu sehen bekam. Auch wenn es mein fester Vorsatz gewesen war, mich zukünftig nicht daran zu erfreuen. Erwischt hatte sie mich ja schließlich ebenfalls.
Oje, im Bad fand ich tatsächlich den Wäscheständer voller Unterwäsche. Von der Art, wie sie bei meiner Mutter natürlich nicht zu finden gewesen war. Kaum diese höheren Höschen, Jazzpants oder wie die sich schimpften, die meisten erschreckend schmale und kleine Slips, manche davon zu allem Überfluss vermutlich durchsichtig, was auch für einige der aufgehängten BHs zutraf.
Was mich erschreckenderweise milde erregte. Ein Relikt aus der Schulzeit, eine späte, nicht intendierte Rache der Miss SSL? Oder doch eher eine Erinnerung an die Prostituierten, für die so etwas so eine Art Arbeitskleidung gewesen war? Nun, zumindest bestand bei den Temperaturen des Spätherbstes keine große Gefahr, dass ich irgendwelche davon ungewollt, oder halbgewollt bei der Trägerin am Körper zu sehen bekam.
Brach jetzt alles wieder hervor, auch Sexualität und Gefühle? Damit die Sehnsucht und das Verlangen nach mehr, nach einem anderen Leben, einer anderen Art der Gemeinschaft, einer anderen Art von jemand angenommen zu werden? Letztlich diesem Konzept, das mich damals schon so faszinierte, die absolute, totale und ewige Liebe?
Gedanken, die ich wie mein Geschäft herunterspülte, mir gründlich die Hände wusch, um dann zu Claudia so offen und unbefangen wie möglich in der Küche Gesellschaft zu leisten. Es wurde auch höchste Zeit, sie war bereits dabei den Reis abzugießen und verriet mir dabei das Geheimnis, dass man sich nicht an Packungen halten und nur so viel Wasser, wie unbedingt notwendig verwenden sollte. Sondern deutlich mehr, um dann über ein feines Sieb abzugießen. Machte den Reis fluffiger.
Sie hatte keineswegs übertrieben, sie konnte enorm gut kochen. So gute Curries hatte ich nicht einmal in den beiden von Indern und Pakistanis betriebenen Restaurants in unserem Stadtteil zu essen bekommen. Wobei ich da nur Take-away orderte und nicht dort aß. Dazu auch noch Tandoori Chicken. Wahnsinn.
"Wow. Ich hoffe nicht nur aufgrund deiner Kochkünste, dass du so schnell keine andere passende Wohnung findest...", wagte ich ein völlig ehrliches Statement, das sie offensichtlich erheiterte.
"Freut mich, dass es dir geschmeckt hat. Und ich habe auch das Gefühl, dass meine Wohnungssuche keine besondere Eile hat. Ich fühle mich hier im Moment sehr wohl", meinte sie mit einem feinen Lächeln.
Ich hatte gerade mit dem Abräumen begonnen, als ihr Handy klingelte und den bis dahin wunderschön ruhigen und harmonischen Abend zerstörte. Denn das Gespräch, was sie entgegennahm, hatte es offensichtlich in sich. Sie reagierte sehr heftig auf die anrufende Person, warf mir einen kurzen entschuldigenden Blick zu und verzog sich dann mit dem Gespräch auf ihr Zimmer.
Aus dem sie erst eine halbe Stunde später zurückkehrte, als ich schon längst den Abwasch abgeschlossen und mich auf das Wohnzimmersofa zurückgezogen hatte. "Sorry. Das war meine Schwester. Sie wollte unbedingt mit mir reden...", gab sie bekannt und ließ sich schwer auf das Sofa fallen. Ihre Augen waren wieder gerötet, außer Wutausbrüchen hatte das Gespräch offenbar gleichfalls Tränen hervorgebracht. Sie zitterte richtig.
Ich war völlig verunsichert, wusste nicht was ich tun sollte. Instinktiv wusste ich, dass ich sie in meine Arme nehmen, ihr den menschlichen, körperlichen Kontakt geben sollte, den sie sich jetzt wünschte und brauchte. Aber wieder reichte das bloße Wissen bei einer Frau nicht für die folgerichtige, direkte Handlung bei mir aus.
Dann aber stellte sie den Kontakt von sich aus her, schmiegte sich bei mir an und schien wieder kurz vor einem Tränenausbruch. Nun überging mein Arm alle verstandesmäßige Steuerung und gab ihr den angemessenen zusätzlichen Halt.
Ich verstand auch, dass sie in diesen Minuten noch keine Details des Gesprächs wiedergeben wollte oder konnte, sondern einfach nur gehalten werden wollte, sich nicht alleine fühlen. Da unterscheiden sich Männer und Frauen nicht.
So hatte ich einen Kameraden im Arm gehalten, der erschüttert vom Fund zweier enthaupteter Kinder wie ein Geist von einem Einsatz zurückgekommen war. Eine Erdung durch Menschlichkeit nach diesem unfassbaren Grauen gebraucht hatte. Erzählen, was er wirklich gesehen und empfunden hatte, konnte er erst viel später.
An direkten Kampfeinsätzen hatten wir nie teilgenommen, nur einmal waren wir in einen Hinterhalt geraten und es kam zu einem kurzen Schusswechsel, bei dem wir das Feuer erwiderten. Dann die IED, als unser Konvoi aus amerikanischen, britischen und unseren Fahrzeugen an dem verlassenen ausgebrannten Auto vorbeifuhr, in dem der Sprengsatz untergebracht war.
Oft genug aber erlebte wir die Gräuel des Danach. Die vielen Verletzten und Verstümmelten unter den zivilen Flüchtlingen, die aus den Kampfgebieten um ihr Leben rannten. Hingerichtete, Erschossene, von Granaten zerfetzte Leiber am Wegesrand, aber auch die Auswirkungen von Luftangriffen der Alliierten.
Ganze Dörfer in Schutt und Asche. Tote Taliban-Kämpfer, ja. Aber ebenfalls Kinder unter den Leichen, Alte, Kranke, die nicht hatten fliehen können oder wollen. Bilder, die man nicht vergaß, die auch jetzt noch, im Jahre 2008, so frisch wie in den erlebten Kriegstagen waren.
Warum ich ausgerechnet jetzt daran denken musste, mit der sich langsam beruhigenden Frau im Arm, die sich dankbar von mir das Haar streicheln ließ? Gleichfalls mehr ein Reflex, als eine bewusste Handlung. War es, dass die Konfrontation mit ihren Gefühlen mir Zugang zu meinen eigenen, so sorgsam vergrabenen, verschaffte?
Fast unmerklich löste sie sich von mir, rieb sich ihr Gesicht und schaute mich dann direkt an.
"Tut mir leid, das Gespräch hat mich ziemlich mitgenommen. Es ist... so viel schwieriger mit ihr, als mit Jonas. Von ihm lass ich mich scheiden, sobald das möglich ist und die Geschichte findet ein Ende. Birgit wird auf Lebenszeit meine Schwester bleiben... verstehst du?"
"Ja, ich denke schon. Hattet ihr vorher ein gutes Verhältnis?"
"Nicht immer, wie das bei Geschwistern halt so ist. Du hast keine Geschwister?"
"Nein, ich bin ein Einzelkind. Was ich ziemlich bedauert hatte, als ich kleiner war. Meine Freunde mit Geschwistern hatten auch an Regentagen immer jemanden zum Spielen. Später war ich oft froh, wenn mir meine Freunde von den Problemen mit ihren Brüdern oder Schwestern berichtet haben."
Sie nickte und starrte vor sich hin. Dann seufzte sie.
"Wunden heilen. Manche brauchen länger als andere. Manche nie, aber man lernt, mit ihnen zu leben", meinte sie, wobei nicht klar wurde, ob sie das mir oder sich selbst erzählte. "Hast du noch etwas von dem guten Wein?"
"Natürlich, wir haben gestern nur vier Gläser getrunken. Ich hole ihn sofort."
Sie wollte etwas einwenden, aber da war ich schon aufgesprungen und auf dem Weg in die Küche. Ich fühlte mich unwohl in dieser Situation, weil mir die Verhaltensregeln mal abgesehen von den eher instinktiven Reaktionen nicht bekannt waren. Auch nicht, wie ich sie verbal auffangen könnte, oder ob das überhaupt von mir erwartet wurde.
Schweigend tranken wir ein Glas Wein zusammen.
"Du hast auch gezittert, als du mich im Arm gehalten hast. Warum?"
Das war mir selbst nicht aufgefallen, aber ja, das konnte durchaus so gewesen sein.
"Das ist nicht leicht zu erklären... ich habe mich eines Kameraden erinnert, den ich einmal ähnlich unterstützt hatte, nachdem er einen Schock erlitten hatte. Dann kamen andere Bilder aus der Kriegszeit in mir hoch."
Zu meiner Überraschung nickte sie.
"Ja, dass dort ein oder mehrere Traumata unter deinem Panzer schlummern, habe ich von Anfang an gefühlt."
Wie konnte sie das gefühlt haben? Wie war das möglich? Und doch zweifelte ich keine Sekunde, dass es so war.
"Du hattest Recht, es waren zum Teil schreckliche Dinge die wir sehen und erleben mussten. Die mich unter anderem letztlich auch dazu gebracht haben, nicht für eine Verlängerung meiner Dienstzeit zu unterschreiben, was möglich gewesen wäre."
"Habt ihr hinterher keine psychologische Betreuung bekommen?"
"Hätten wir kriegen können, klar. Aber die meisten von uns wollten so damit zurechtkommen. Was ein Großteil von uns auf die eine oder andere Art auch geschafft hat. Und du hattest Recht, in vielem habe ich versucht mich durchzukämpfen, versuche es immer noch. Haltung zu bewahren, Kontrolle, Ordnung, auch meine Gefühle in Schach zu halten. Krieg ist kein Planspiel, wie er uns vor diesem Einsatz dort immer vorgekommen war. Manöver, Verschiebungen von Truppen und Material von A nach B. Beschaffen, organisieren, ermöglichen. Damit konnte ich problemlos leben. Was Krieg wirklich ist, was er bedeutet, welches Leid und Elend er unter die Menschen bringt, hatte ich zuvor in hunderten von Büchern gelesen. Begriffen habe ich es aber erst wirklich, als ich ihn erlebte."
"Ich verstehe, einer abstrakten Idee kann sich verschreiben, aber die volle und nackte Realität ist etwas anderes."
"Genau, das trifft es perfekt. Du... verstehst mich erstaunlich gut. Und bist der erste Mensch außer einigen Kameraden, mit dem ich darüber gesprochen habe. Der Roman... dreht sich um diese Zeit. Ich habe irgendwann aufhören müssen, weil die Erinnerungen zu überwältigend wurden. Noch nicht wirklich verarbeitet waren. Wobei mir das Schreiben darüber eigentlich helfen sollte."
"Du kannst mit mir über alles reden, mir alles erzählen was dich bedrückt und belastet, ich hoffe du weißt das?"
"Eigenartigerweise ja. Aber... wir kennen uns doch so gut wie überhaupt nicht. Nimm es mir nicht übel, aber ich verstehe absolut nicht, was im Moment in mir vorgeht und was du in mir auslöst. Es ist vielleicht auch nicht so wichtig, das jetzt zu verstehen. Wir... es gilt auch für dich. Du kannst mir ebenfalls alles erzählen, wenn du das möchtest."
"Das werde ich. Aber es gibt für alles eine Zeit, das hast du ja mit deinem Roman gemerkt. Und wir brauchen nichts übers Knie zu brechen. So schnell wirst du mich nicht wieder los."
"Ich bin jetzt ganz schrecklich ehrlich: Das habe ich vorgestern noch befürchtet und jetzt hoffe ich nichts mehr als das", gab ich in einem Mut-Anfall preis.
Sie lachte leise.
"Ich habe deinen Widerstand sehr wohl bemerkt. Auch dein "Männer bevorzugt" hatte ich nicht übersehen. Aber als den Hilfeschrei verstanden, der er wohl war. Auch darum habe ich gesagt, dass wir uns beide heilen werden."
Die Alarmsirenen blieben auch diesmal stumm.
"Hilfeschrei... ich weiß nicht. Es ist aber schon so, dass ich Frauen aus dem Weg gehen wollte. Schlicht und ergreifend aus der Tatsache heraus, dass ich sie nicht verstehe und nicht adäquat mit ihnen kommunizieren kann, was ich seit meiner Jugend konzediert habe."
"Oho, und wer oder was hat dich zu dieser erschütternden Erkenntnis verleitet?", fragte sie mit zuckenden Mundwinkeln.
Na gut, dann eben Nägel mit Köpfen.
"Ein Mädchen namens Claudia, in die ich verliebt war."
"Ojemine. Na, dann bin das schon meinem guten Namen schuldig, da einiges geradezurücken. Ich habe nämlich den Eindruck, dass wir uns sehr gut verstehen werden. Wirklich gut, wenn wir uns darauf einlassen wollen."
"Den habe ich erstaunlicherweise auch."
"Magst du mir von der anderen Claudia erzählen?"
Ich mochte. Ich tat es. Wir redeten bis nach Mitternacht. Sie war es, die das Gefühl hatte, dass die andere Claudia mich eventuell nur zu direkterer Kommunikation ermuntern wollte. Sicher war sie sich allerdings auch nicht. Ich redete wie ein Wasserfall, nur selten von ihren verständnisvollen bis durchaus witzigen Kommentaren unterbrochen.
Es schaffte eine Nähe, die sich auch physisch manifestierte. Sie kuschelte sich nun ohne vorherige emotionale Erschütterung öfter an mich an, so, wie ich es mir bei Geschwistern ausgemalt hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich in dieser Nacht weit weniger gepanzert und kantig ins Bett ging. Ich war nämlich außer mir vor Glück und Freude, diese Frau in meinem Leben zu haben. Diese spezielle, besondere Frau, keine abstrakte Frau als solche. ___
Am nächsten Abend erzählte sie aus ihrem Leben.
"Warum hast du eigentlich dein Medizinstudium abgebrochen?", stellte ich die Frage, die mich schon nach dem ersten Hören dieser Tatsache bewegt hatte.
"Oh... das hatte mehrere Gründe. Zum einen war es nicht wirklich meine Wahl gewesen. Nein, das kann man so auch nicht sagen, sagen wir es so, dass ich das Studium mehr oder weniger begonnen hatte, um es meinen Eltern recht zu machen. Mein Vater ist Frauenarzt. Er war völlig aus dem Häuschen, als ich mich im letzten Schuljahr noch einmal enorm gesteigert und am Ende das Abi mit 1,1 in der Tasche hatte. Für ihn, wie meine Mutter auch, war damit klar, dass es nur Medizin werden konnte."
"Aber du hattest etwas anderes ins Auge gefasst?"
"Ja, Psychologie."
"Und damit wäre er nicht zufrieden gewesen?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Alles andere als zufrieden. Er hielt und hält Psychologie für keine echte, keine exakte Wissenschaft. Nun, ich war einfach noch nicht so weit, mich von ihm abzunabeln, auch nicht, meine Position zu vertreten oder gar durchzusetzen. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich es nicht einmal großartig versucht. Geld spielte ebenfalls eine Rolle. Aufgrund seines und des Einkommens meiner Mutter, die Architektin ist, hätte ich kein Bafög bekommen. Sie haben mir das Studium finanziert. Es ist auch nicht so, dass ich nie selbst an Medizin gedacht hatte, als Kind wollte ich schon Ärztin werden, wie viele Mädchen... Der Kompromissvorschlag an mich selbst war dann Neurologie."
"Hättest du nicht elternunabhängiges Bafög beantragen können?"
"Vielleicht, ich habe mir nicht einmal Informationen darüber besorgt. Es wäre aber einer Kriegserklärung und Abnabelung gleichgekommen, verstehst du? Ich verstand mich nicht als Kämpferin, schon gar nicht für meine eigenen Belange. Ich war mehr um Harmonie und Ausgleich bemüht, zu dieser Zeit zumindest."
"Und das Studium hat dir überhaupt keinen Spaß gemacht?"
"Nein, das kann man so auch nicht sagen. Es war enorm anstrengend, die Vorlesungen größtenteils sehr anspruchsvoll, aber zum Teil auch wirklich interessant. Ich arbeitete in den ersten zwei Semestern sehr hart und kam durchaus gut mit. Dann bekam ich im dritten Semester einen der begehrten Plätze in der Vorlesung eines der jüngsten Dozenten. Er war eine absolute Koryphäe auf seinem Gebiet, ein Drittel der Kursliteratur stammte von ihm. Er war so etwas wie der Rockstar unter den Dozenten. Das Auditorium war ständig überfüllt, weil selbst einige Studenten, die sich notgedrungen in der Parallelvorlesung eines anderen Dozenten einschreiben mussten, trotzdem seine Vorlesungen hörten."
"Hier an der hiesigen Uni?"
"Nein, in Göttingen, ich habe in Göttingen studiert. Wie dem auch sei, ich hatte im Gegensatz zu vielen Kommilitoninnen den Kurs tatsächlich nur bei ihm belegt, weil ihm sein wissenschaftlicher Ruf vorauseilte. Dass er darüber hinaus noch ein Mann von Charisma und... extrem guten Aussehens war, den fast alle weiblichen Teilnehmer anschmachteten, erfuhr ich erst zu Vorlesungsbeginn. Dass er sich dann ausgerechnet mit mir einließ, war wie eine Auszeichnung, so blöd das auch klingen mag. Verliebt war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber das stellte sich dann schnell ein. Er war der erste Mann in meinem Leben, alle vorher waren eher dumme Jungen. Der erste Mann, der mich im Bett zum Höhepunkt brachte, überhaupt war der Sex mit ihm für mich damals unglaublich, weil er eben auch für mich da war und nicht so selbstsüchtig agierte, wie meine vorherigen Freunde... Zurückblickend war er doch nicht so der Bringer, aber damals... war der Sex mit ihm für mich eine Offenbarung. Ich war ja noch so jung, gerade neunzehn, ich hatte mich achtzehn das Abi gemacht und sofort mit dem Studium angefangen. Und er war meine erste große Liebe... wie einseitig das war, konnte oder wollte ich noch nicht sehen..."
"Er war verheiratet?", äußerte ich meinen Verdacht zum weiteren Verlauf.
"Nein, offenbar waren nicht alle so dumm und einfältig wie ich. Was unsere "Beziehung" wirklich für ihn war, erfuhr ich dann gegen Ende des Semesters, in dem ich fast meine gesamte vorlesungsfreie Zeit mit ihm im Bett verbracht hatte. Er bekam ein Angebot von Harvard, noch nicht zum Winter- sondern erst zum Sommersemester. Und er wollte es annehmen. Klar, verständlich. Ebenso klar war für mich, dass ich ihm dorthin folgen würde. Er sah mich verblüfft an und meinte, dass das sicher nicht so leicht wäre, auch und gerade im Hinblick auf meine schwächer gewordenen Leistungen im Studium. Er war gerade dabei meine eingereichte Arbeit zu bewerten, meinte er, und würde mich eigentlich nur mit dem "Bekanntschafts-Bonus" durchwinken können. Das war schon ein erster Schock, zumal er ja direkt für meine nachlassenden Leistungen verantwortlich war. Ich sagte ihm ganz klar, dass mir das Studium im Grunde gleichgültig war, solange ich nur bei ihm sein könnte. Er sah mich mit einem schrecklich hochmütigen Gesichtsausdruck an, und sagte wortwörtlich: "Gutes Kind, du musst jetzt ganz schnell erwachsen werden und dich nicht wegen einer Fickbeziehung ins Unglück stürzen"".
"Was für ein Arschloch", brach es mir hervor.
"Eine brillante und absolut zutreffende Analyse. Warum und wieso ich das nie bemerkt habe, ist mir heute noch nicht klar. Anzeichen gab es genug. Vielleicht macht Liebe wirklich blind... im Nachhinein muss ich sagen, dass er nie versucht hat, mir etwas vorzumachen, meine komischen Liebesschwüre hat er immer nur belächelt, oder mal ein "das ist schön" zurückgegeben, aber nie gesagt, dass er mich lieben würde. Ich meinte das aus seinem Verhalten ableiten zu können, deshalb hatte mich das nicht weiter irritiert. Dass wir außer miteinander zu schlafen wirklich gar nichts zusammen unternommen hatten, war mir auch nicht aufgegangen."
"Nun, in dem Alter fehlt es natürlich an Lebenserfahrung", versuchte ich zu beschwichtigen.
"Ja, toll, sicher, aber auf meine Intelligenz bildete ich mir doch zu dieser Zeit einiges ein. Was ihn und Liebesdinge anging, war ich aber wirklich eine dumme Gans, ein Backfisch, wie er im Buche steht. Das hat er voll ausgenutzt und alles bekommen, was er von mir wollte. Gut, vielleicht habe ich wirklich diese Negativ-Erfahrung gebraucht, um erwachsen zu werden, da hatte er nicht Unrecht."
"Und das hat dich dann endgültig davon abgebracht, Medizin studieren zu wollen?"
"Nicht ganz, ich war einfach völlig am Ende, hatte eine Art Nervenzusammenbruch. Ich habe die Beziehung natürlich sofort beendet. Die Scheine für das dritte Semester hatte ich trotz allem zwar noch größtenteils bekommen, aber ich war zu Beginn des vierten Semesters weder willens noch in der Lage, das Studium wieder aufzunehmen."
"Das wird deine Eltern nicht gefreut haben."
"Das ist eine sehr nette Untertreibung. Es hatte auch einige Zeit gedauert, bis ich ihnen gestehen konnte, dass ich überhaupt keine Vorlesungen mehr besuchte... Mein Vater war so sauer, dass er meinte, wenn ich schon allen Erwachsenen-Blödsinn für wichtiger halte, könnte ich genauso gut den richtigen Ernst des Lebens kennenlernen und nebenbei jobben. Er wollte mir die Zuwendungen zwar nicht völlig sperren, aber zumindest einen Teil davon. Ich habe mir dann wirklich einen Job gesucht, Vollzeit, im Callcenter hier in unserer Stadt und das Studium geschmissen. Mich endgültig abgenabelt. Eine winzige Ein-Zimmer-Wohnung gemietet. Wieder ein anderes Studium anzufangen, habe ich dann aber doch nicht mehr gebracht, stattdessen die Ausbildung zur Physiotherapeutin begonnen. Das hat ihn zwar auch aufgebracht, aber meine Mutter hat so lange auf ihn eingewirkt, bis er es akzeptierte und mich während der Ausbildung finanziell etwas unterstützte. Eigentlich mehr sie, unter der Hand sozusagen."
"Verstehe. Hat sich euer Verhältnis danach denn wieder gebessert?"
"Ja, und das ist auch Birgits Verdienst. Wenn auch nicht aus eigenem Antrieb oder irgendeiner gezielten Eigenleistung. Sie nahm es auf sich, das schwarze Schaf der Familie zu werden, indem sie sich im Drogenmilieu tummelte und dabei gleichfalls einige Male mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Im Vergleich zu ihr war ich dann plötzlich wieder die wohlgeratene und voll angepasste Tochter geworden."
Wie sie am Abend zuvor bei mir, hatte ich nicht viele Zwischenfragen gestellt, sondern sie erzählen lassen. Dieser Teil ihres Lebens faszinierte mich, gab doch einiges über sich und ihre Entwicklung preis. Mir lagen viele Fragen auf der Zunge, aber noch erschienen mir einige zu persönlich und in sich selbst fragwürdig. Ich beschränkte mich auf die allgemeinen, offensichtlichen.
"Hast du es je bedauert, das Studium aufgegeben zu haben?"
Sie überlegte eine Weile und schüttelte dann den Kopf.
"Nein, das nicht. Nicht von Anfang an meinen eigenen Weg gewählt zu haben, schon. Also nicht Psychologie studiert zu haben. Aber es hatte sicher alles auch sein Gutes. Ich mag meinen jetzigen Beruf, habe im professionellen Bereich meine Nische gefunden, in der ich mich wohlfühle. Wie jetzt hier mit dir. Wobei mir das nach der Trennung von ihm völlig unmöglich erschienen wäre, mit einem Mann wie dir zusammenzuziehen."
"Einem Mann wie mir?"
Sie wirkte für einen Moment unschlüssig, ob sie das, was ihr im Kopf herumgeisterte, aussprechen sollte.
"Nun, verstehe mich nicht falsch... vielleicht bin ich da entsetzlich altmodisch und komisch... aber das, was er damals abgezogen hat, nämlich Sex ohne jedes Gefühl, ohne Liebe, das hätte ich damals wie heute nie gekonnt. Das lässt sich bei mir nicht trennen. Ich muss für die Männer, mit denen ich ins Bett gehe, etwas empfinden, verstehst du? Ich glaube, trotz der sexuellen Revolutionen der letzten vierzig Jahre empfinden viele Frauen so, ich bin da gewiss keine Ausnahme."
Nein, das konnte ich sogar sehr gut nachvollziehen. Warum... Männer wie ich... Oje, jetzt ahnte ich, in welche Richtung sie dort dachte.
"Ich verstehe. Du denkst, dass er und ich in eine Schublade gehören, in dieselbe Kategorie."
"Du siehst das anders?", forderte sie mich mit einem lauernden Blick heraus.
Von meinen sexuellen Erlebnissen hatte ich am Vorabend nicht berichtet, lediglich von meiner Schulzeit und meinen Empfindungen damals. Nun war das unabdingbar geworden. Und keineswegs ein leichter Schritt, jetzt völlig ehrlich zu sein. Allerdings ein zwingend notwendiger.
"Das ist sicher nicht wirklich vergleichbar. Ich... war niemals Nutznießer irgendeiner sexuellen Revolution. Eher... der traditionelle Versager, der sich in seiner als Not empfundenen Lage... den Diensten des sogenannten ältesten Gewerbes der Welt versichert hat."
Ihre Verblüffung war echt und schien so tief zu sein, dass sie zunächst nicht antworten konnte. Oder wollte?
"Ja, ich habe nur und ausschließlich mit einigen Prostituierten geschlafen. Bis kurz nach meinem dreißigsten Lebensjahr, bei unregelmäßigen, meist höchst unbefriedigenden Begegnungen, bis ich diese für moralisch nicht mehr vertretbar hielt."
"Damit meinst du...", forderte sie mich zu weiteren Erklärungen auf.
Ich seufzte.
"Du willst das wirklich wissen?"
"Doch, absolut. Ich glaube, es ist sogar ganz wichtig, um dich wirklich zu verstehen."
"Gut. Du bist die erste, die davon erfährt. Es war mir von jeher unangenehm. Bevor ich zum Bund kam, hatte mir ein guter Freund empfohlen, auf diese Weise doch endlich meine "für ein Alter von neunzehn Jahren absolut schmähliche Jungfräulichkeit" loszuwerden und empfahl mir ein einschlägiges Etablissement, das hier ganz in der Nähe war. Was ich dann nicht aufsuchte, weil es einfach zu nahe an unserem Haus war und ich Angst hatte, dort beim Hinein- oder Herausgehen von einem Bekannten oder Nachbarn gesehen zu werden. Stattdessen ging ich zum Rotlichtviertel in der Innenstadt."
"Zum Steintor?"
"Genau. Erst habe ich mich dort nur einige Male herumgetrieben, bin in ein Pornokino gegangen, um in Stimmung zu kommen, sozusagen. War aber trotzdem viel zu verunsichert, um mich tatsächlich an die wenigen mutmaßlichen Prostituierten zu wagen, die ich sah. Die mich nicht einmal direkt ansprachen, wie ich insgeheim gehofft und erwartet hatte. Beim nächsten Besuch wagte ich mich dann sogar schon in eine Striptease-Show. Aber damit hatte ich meinen Mut dann erschöpft. Beim dritten Besuch war es dann eine dieser Live-Shows, die noch expliziter waren, wo man Münzen in einen Automaten schmeißen musste, eine kleine Sperre herunterfuhr und man für einen begrenzten Zeitraum dann einen freien Blick auf eine nackte... und masturbierende Dame bekam... Noch nie hatte ich einen so expliziten lebendigen Einblick in Sexualität bekommen. Und gleichzeitig einen Blick von ihr, wie, Junge, was machst du denn hier? Du gehörst hier nicht hin."
Ich wagte einen kurzen, verunsicherten Blick in ihre Richtung. Erzählte ich zu viel, wollte sie das alles gar nicht wissen, zu viele Details?
"Verstehe... es fiel dir schwer, es durchzuziehen, also versuchtest du dich anzunähern", unterstützte sie mich, ohne dass dabei ersichtlich wurde, was sie dabei und darüber dachte.
"Ja, so war es. Dann... beim vierten Mal... quasi als alter Hase in diesem Milieu...", versuchte ich eine heitere Note in diese peinliche Erzählung zu bringen. "...startete ich wie beim ersten Mal in einem Pornokino, hatte aber bei meinen vorherigen Besuchen eruiert, dass es einen schmalen Gang zwischen diesen Etablissements gab, der sich Kontakthof nannte. Wo Frauen vor wie Geschäften wirkenden großen Fensterscheiben standen... und auf Freier warteten."
"Und dann hast du gewagt eine von ihnen anzusprechen."
"Nein, gleich die erste sprach mich an, fragte, ob ich Spaß haben wollte. Auf meine Frage, was das kosten würde, gab sie fünfzig Mark an, was fair erschien. Sie nahm mich mit in ihren "Laden", der nur aus einem großen Bett, einem Stuhl, einer Waschgelegenheit und einem Kleiderständer mit diversen Kostümen für ihre Tätigkeit bestand. Ich musste ihr das Geld geben und mich ausziehen. Sie tat dies nicht, war allerdings ohnehin nur mit Reizwäsche bekleidet. Ich war... wurde trotzdem erregt und sie fing an, mit meinem Glied zu spielen und ein Kondom draufzumachen. Was natürlich enorm aufregend war, weil es das erste Mal war, dass jemand anders sich damit beschäftigte..."
Mir war klar, dass ich mittlerweile puterrot im Gesicht sein musste. Die Szene hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt, ihr Gesicht oder Aussehen hingegen hatte ich völlig vergessen, nur dass sie eventuell dunkles, lockiges Haar gehabt und stark nach Parfum gerochen hatte, war mir in Erinnerung geblieben. Claudias auffordernder Blick zwang mich weiterzuerzählen.
"Dann fragte sie, ob sie mich... oral befriedigen sollte. Was mich natürlich immens interessierte und reizte. Dafür musste ich ihr dann zunächst zwanzig Mark extra aus meinem Portemonnaie überlassen und sie machte sich tatsächlich daran, ihn in den Mund zu nehmen. Sie merkte natürlich, dass ich total verunsichert war und nicht nur figurativ von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Machte ganz wenig mit dem Mund, mehr mit der Hand... mit schnellem Ergebnis. Das Erlebnis war trotzdem unglaublich für mich gewesen. Dann sagte sie mir noch, für hundert Mark würde sie richtig mit mir schlafen, mit ganz viel Streicheln und sie würde sich dann selbstverständlich auch ausziehen. Soviel Geld hatte ich aber nicht mehr dabei."
"Also bist du an einem anderen Tag noch einmal dorthin."
"Ehm... nein. Nun wollte ich es wirklich wissen. Gut, die Frau hatte meine Unsicherheit und... ja, bis zu einem gewissen Grad Unschuld ausgenutzt. Aber, dass sie mir dieses Angebot mit Streicheln und so weiter gemacht hatte, schien darauf hinzudeuten, dass sie sehr wohl eine gewisse Empathie entwickelt hatte und ahnte, was ich wirklich wollte, was ich mir wirklich von diesem ersten Mal mit einer Frau erträumte. Und das war eben nicht der Sex aus den Pornofilmen, die ich da vorher konsumiert hatte, sondern irgendwie etwas anderes."
"Ja, ich verstehe. Also bist du am selben Tag zurück?"
"Genau zwei Stunden später. Ich hatte in den letzten Ferien bei uns im Laden und zwei Wochen in einer Fabrik gearbeitet und einiges von dem Verdienten aufgehoben gehabt, eigentlich wollte ich auf mein erstes Auto sparen, zumal ich ja auch irgendwie zu meinem Standort beim Bund kommen musste. Das nun... schien die dringlichere Investition. Ich... war von der Idee so erregt, dass ich sogar noch einmal zuhause masturbierte. Ich wusch mich und fuhr zurück."
"Wieder zu dieser Frau."
"Wollte ich, ja. Aber sie war nicht da, hatte vermutlich gerade einen anderen Freier. Also lief ich weiter in den Gang hinein und am Ende war eine ebenfalls dunkelhaarige Frau, die sehr attraktiv aussah."
"Du stehst auf dunkelhaarige Frauen?", interessierte sich Claudia.
"Nicht ausschließlich. Am besten gefallen mir Frauen... nun... mit deiner Haarfarbe, wenn ich ehrlich bin."
Oje, hätte ich das nicht sagen sollen? Es stimmte aber, Frauen mit brauner, der meinen ähnlichen Haarfarbe, reizten mich besonders.
"So, so", meinte sie nur und lächelte vergnügt. Das war ja fast peinlicher wie die Fortführung meiner Geschichte. Also setzte ich diese fort.
"Sie sprach mich an und fragte einfach, was ich investieren wollte. Ich hielt ihr den Hunderter hin und sie versprach mir eine "richtig tolle Nummer, mit einer privaten Live-Show und einem richtig geilen Fick", wie sie sich ausdrückte. Das klang alles... beunruhigend anders, aber doch auch sehr aufregend."
"Lass mich raten, was es dann aber nicht war?"
"Das siehst du völlig richtig. Nun, sie zog sich tatsächlich vollständig aus. Was sie unter privater Live-Show verstand, war, sich mit einem Vibrator an ihrem Geschlecht zu spielen, in der Hoffnung oder mit der Intention mich richtig zu erregen. Das war ich ohnehin etwas, aber irgendwie von diesem Schauspiel auch... wie soll ich das erklären... befremdet."
"Weil es nicht in die Richtung ging, die du dir erhofft hattest", sprang sie mir erneut bei.
"Genau. Dann fragte sie mich noch, ob sie mir "die Eier abbinden sollte, damit ich beim Ficken nicht so schnell komme". Ich verzichtete dankend, nun völlig aus dem Konzept gebracht. Sie zuckte mit den Schultern, brachte ein Kondom auf und führte mich sozusagen bei ihr und in den Beischlaf ein. Sie beschwerte sich noch kurz, dass ich ein wenig zu schnell voll eindringen wollte und überließ dann alles weitere mir. Die Bewegungen kamen dann tatsächlich wie von selbst und es war schon irgendwie erregend. Aber doch ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Weit weniger aufregend als die orale Stimulation zuvor. Und führte auch nach geraumer Zeit zu nichts. Das merkte sie dann ebenfalls mit einiger Verblüffung und unterbrach das Ganze dann nach einer entsprechenden Klage. Fragte mich mit durchtriebenem Blick, wie oft ich denn an diesem Tag schon gevögelt hätte und ich erzählte ihr treuherzig, was in den letzten zwei Stunden geschehen war. Sie lachte und brachte mich mit der Hand zum Höhepunkt. Und fragte danach, ob ich ihr nicht noch ein Trinkgeld geben wollte, weil es für sie so ein Aufwand gewesen war. Was ich mit einem Zwanziger tat."
Ich seufzte.
"Das war also das erste Mal, dass ich mit einer Frau geschlafen habe. Mit ihren ordinären Sprüchen und ihrer ganzen Art hatte sie mir das gründlich verdorben, weil sie anders als ihre Arbeitskollegin offenbar keinerlei Feingefühl für mich und meine besondere Situation entwickelt hatte. Für sie war ich nur ein eben etwas jüngerer geiler Bursche, wie alle anderen auch gewesen."
"Aber du warst nicht nur enttäuscht?"
Verblüfft sah ich ihr in die Augen. Das konnte sie erahnen?
"Nein, da hast du ganz Recht. Ich fühlte mich auch... als Mann. Endlich als Mann. Nun konnte ich sozusagen mitreden, was ich selbstverständlich nicht tat. Das war kein Erlebnis gewesen, mit dem ich mich hätte brüsten können und wollen. Meinem Freund erzählte ich als einzigem, dass und wo ich die Geschichte durchgezogen hatte und auf seine grinsende Rückfrage, dass es ganz okay gewesen war."
"Du hattest aber die Hoffnung, dass es mit einer anderen, empathischeren Prostituierten anders sein könnte?"
"Genau. Ich war allerdings für eine Weile bedient. Und dann auch pleite, denn nun hatte wirklich das Auto Vorrang. Mein erstes Auto, ein gelb-schwarzer Käfer. Mein ganzer Stolz. Der allerdings auch ständig irgendwelche Mucken hatte und kleinere Reparaturen brauchte... und was sonst so dazugehörte, eine gute Anlage..."
"Interessant, aber du kommst ein wenig vom Thema ab", kam ihre grinsende, wohl nur halb ernst gemeinte Schelte.
"Du möchtest wirklich hören, wie es weiterging?"
"Ja, aber vielleicht nicht mehr heute, es ist tatsächlich schon nach zwei. Und zumindest du musst morgen ja noch arbeiten. Ich möchte nicht verantwortlich sein, wenn findige Leute deinen Laden ausräumen, während du den Schlaf der Gerechten schläfst, weil ich dich solange wach gehalten habe..."
"Oh Gott, echt schon so spät? Mit dir vergeht die Zeit wirklich wie im Flug. In Ordnung, dann lass uns hier abbrechen..."
"Du versprichst mir aber, dass du mir morgen weiter davon berichtest?"
"Es... interessiert dich wirklich? Für mich waren das eigentlich schrecklich peinliche Episoden, etwas, wofür ich mich irgendwie ziemlich schäme..."
"Das brauchst du nicht. Und, das merkst du doch gerade wohl selbst, das musste heraus, oder nicht?"
Ja, das Gefühl hatte ich auch. Was war sie in diesem Moment für mich, ein weiblicher Beichtvater? Würde sie mir, nachdem ich all diesen Schmutz gebeichtet hatte, Absolution erteilen?
"Ja, aber vielleicht habe ich mit den Details etwas übertrieben..."
"Auf keinen Fall. Ich finde es großartig, dass du dich traust, so offen darüber zu reden. Ich werde mich gerne in gleicher Weise revanchieren, wenn du das möchtest. Auch wenn mein erstes Mal sicher marginal romantischer war", gab sie lächelnd zurück.
"Oh. Das wäre... wunderbar", gab ich erschüttert und ohne echte Hintergedanken zurück.
Sie lächelte fein, gab mir einen Kuss auf die Wange, überließ mir das Bad als erstem zum Zähneputzen und wünschte mir eine gute Nacht.
Ja, sie hatte völlig Recht. Es war befreiend gewesen, ihr davon zu erzählen. Noch immer war ich verblüfft darüber, wie leicht es mir gefallen war, mich ihr gegenüber in dieser eigentlich extremen Weise zu öffnen. So groß waren ihre Vorleistungen da ja nicht gewesen, wenn auch ansatzweise vorhanden.
Ich fand trotzdem nicht leicht in den Schlaf. Daran war auch ihre Ankündigung nicht ganz unschuldig. Zum ersten Mal seit langem dachte ich wieder an Sex und nicht nur aus meinen Erinnerungen heraus. Der Gedanken daran, dass ich von ihr ähnliches zu hören bekam, erregte mich schlicht und ergreifend.
Zum ersten Mal seit langem masturbierte ich vor dem Einschlafen. Dachte dabei nicht direkt an sie, nur an eine namenlose, gesichtslose Frau, mit einem warmen, weichen, innen wirklich verheißungsvoll feuchten Körper.
Einer Frau als solche.
Geschichten aus zwei Welten
Am Morgen erlebte ich eine Enttäuschung. Ich war trotz der späten Stunde, zu der ich eingeschlafen war, zu meiner normalen Zeit wach geworden. Sie nicht. Wie traurig das Frühstück alleine war, wie sehr mir ihre Anwesenheit bereits fehlt, erschütterte mich. Wurde mir klar, wie einsam ich seit dem Ableben meiner Mutter gewesen war.
Erst kurz bevor ich die Wohnung verlassen wollte, öffnete sich ihre Zimmertür und sie tippelte barfuß in einem kurzem weißen Nachthemd mit einer Stones-Zunge darauf in Richtung Bad. Oder war das vielleicht nur ein langes T-Shirt?
"Morgen!", begrüßte sie mich erfreut, als sie mich bemerkte. Sah aber im nächsten Moment, dass ich bereits meine Jacke und die kleine Aktentasche trug, in der ich meine Brote und das Wechselgeld für die Kasse transportierte. "Oh, doch schon so spät?"
"Ich fürchte ja. Ich... habe dich beim Frühstück richtig vermisst", gab ich, mich selbst über diese frühmorgendliche Ehrlichkeit verblüffend, zurück.
"Na, wir machen uns zum Ausgleich wieder einen schönen gemeinsamen Abend", meinte sie schmunzelnd. "Soll ich uns was Schönes kochen?"
Darüber hatte ich mir allerdings Gedanken gemacht. Und da sie keine Vegetarierin war...
"Ehm... hier hält freitags immer ein Hähnchengrill vor dem Rewe. Magst du sowas? Ich muss gestehen, das ist eine meiner geheimen Leidenschaften, und von dort schmecken sie wirklich großartig..."
"Super Idee, soll ich die holen?"
"Nein, dann bringe ich die auf dem Heimweg mit. Auch Pommes dazu? Gut, mit Ketchup oder Majo?"
"Dann sag ich ganz frech mit beidem. Und ich besorge uns dazu passend ordentlich Bier, oder?"
"Du bist eine Frau nach meinem Geschmack", gab ich in vollem Bewusstsein der Doppeldeutigkeit mit erstaunlichem Mut zurück, was ihr ein weiteres Lächeln entlockte.
"So, so", kam ihr Kommentar. "Na dann los, deine Bücher wollen verkauft und meine Blase entleert werden", jagte sich mich davon. ___
"Boah, die sind echt lecker", bestätigte sie am Abend mein Urteil über die Hähnchen. Vergnügt nagte ich an dem Schenkelknochen und nickte nur, da mein Mund voll war. Binnen Sekunden hatte sich meine Hoffnung erfüllt und sie aß genau wie ich mit den Fingern, wobei sie das auch auf die Pommes ausdehnte. Insgeheim hatte ich befürchtet, dass ich gezwungen wäre, wie im Restaurant auf Messer und Gabel zurückgreifen zu müssen. Teil dieser Erfahrung war für mich aber schon immer gewesen, hier das Essen wirklich in den Fingern zu halten.
"Sag ich doch", entgegnete ich nachdem ich das Fleisch heruntergeschluckt hatte. "Hattest du einen guten Tag?"
Upps, jetzt sprach ich sie schon in gleicher Weise wie meine Mutter beim Essen an. Na ja, das konnte sie natürlich nicht wissen. Und war hier bei ihr keine ritualisierte Formel, sondern echtes Interesse.
"Ja, den hatte ich tatsächlich. Ich habe mein Zimmer jetzt weitestgehend eingeräumt, nur einige Bücherkisten warten noch auf die Fertigstellung unseres gemeinsamen Projekts... Wann wolltest du das in Angriff nehmen?"
Eigentlich hatte ich das erst nach der Abholung des Sperrmülls tun wollen. Um einen Termin hatte ich tatsächlich schon ersucht, aber noch keine Bestätigungs-Postkarte erhalten. In dem Raum befanden sich noch Stühle und ein Tisch, die meine Eltern für größere Feiern dort gelagert hatten, sowie die Nähsachen meiner Mutter, antik wie modern, eine alte gusseiserne Nähmaschine und ihre modernere elektrische, dazu Stoffe und allerlei Zubehör. Hm, die beiden konnte ich ja notfalls verkaufen, daran hatte ich gar nicht gedacht.
"Eigentlich wollte ich damit warten, bis die Sperrmüllabholung kommt. Aber wenn du mir hilfst, könnten wir das im kleinen Zimmer befindliche Zeug auch in den Keller schaffen und schon morgen damit anfangen. Ich hatte geplant, einfach nur schöne Echtholzbretter und entsprechende Wandhalterungen aus dem Baumarkt zu besorgen. Mal abgesehen davon, dass dies eine der kostengünstigsten Lösungen ist, kann man so auch durch unterschiedliche Bretttiefen optimal an die tatsächlichen Bedürfnisse anpassen."
Sie lächelte vergnügt.
"Das ist dein Forte, nicht wahr? Optimale Lösungen, perfekte Aufbewahrung... nein, brauchst dich nicht zu rechtfertigen, ich finde das toll. Und total niedlich, wie deine Augen dabei zu glänzen beginnen. Ich unterstütze dich natürlich gerne, auch bei der handwerklichen Seite, wenn du das möchtest. Ich habe irgendwann notgedrungen diesen Part in meiner Ehe übernehmen müssen. Jonas hatte zwei linke Hände. Nach dem dritten verhunzten Ikea-Teil habe ich ihn nichts mehr machen lassen. Ich kann ebenfalls mit einer Bohrmaschine umgehen..."
Irgendwie überraschte mich das bei ihr nicht im mindesten.
"Ich liebe nebenbei Baumärkte. Du wirst auf mich aufpassen müssen, sonst werden wir nicht nur mit Regelbrettern nachhause kommen...", setzte sie grinsend fort. "Da sehe ich kein Problem. Hm, kannst du außer mit Bohrmaschinen auch mit Nähmaschinen umgehen? Es steht noch eine gute von meiner Mutter in dem Zimmer, weiß gar nicht, was ich damit machen soll."
"Da muss ich leider ebenfalls passen. Ich kann notfalls einen Knopf mit der Hand annähen, aber damit erschöpfen sich dann schon meine hauswirtschaftlichen Fähigkeiten."
"Darf ich bei dir mal tunken?", fragte ich zusammenhanglos, weil ich auf den Geschmack von Majo neugierig geworden war, denn ich hatte mir wie immer Ketchup auf meine Pommes geben lassen. In der Zwischenzeit war ich ihrem Beispiel gefolgt und hatte auch für die Pommes die Verwendung einer Gabel aufgegeben.
"Vielleicht... ach so, du meinst die Majo? Das natürlich sofort", bestätigte sie mit einem verschmitzten Grinsen. Mir wurde heiß und kalt, als mir der Sinn ihrer Einleitung klar wurde.
Sie lachte kurz, als sie meinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte. Aha, der gewöhnungsbedürftige Sinn für Humor. Hm, mit Majo schmeckten die Pommes fast noch besser.
"Wobei mir fast schon wieder beim Thema wären...", meinte sie zu allem Überfluss noch und blitzte mich an.
"Oh... vielleicht nach dem Essen? Und nach dem ersten Bier wäre vielleicht auch vorzuziehen...", gab ich meinen ehrlichen Standpunkt bekannt und versuchte die Verunsicherung durch ihren Scherz abzuschütteln. "Glückwunsch zur Wahl, nebenbei. Warsteiner gehört zu meinen absoluten Lieblingssorten."
"Dachte ich mir. Natürlich, wie du willst. Ich lade dich in meine Welt ein, wenn du möchtest. Du hast das Zimmer seit seiner tatsächlichen Fertigstellung ja noch gar nicht gesehen."
"Oh... ja, warum nicht. Nur, wo wollen wir da sitzen?", wunderte ich mich. Mit dem Sessel hatten wir das einzige Sitzmöbel entfernt.
"Das wirst du sehen. Und wenn es dir zu unbequem wird, können wir selbstverständlich auch aufs Bett..."
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ihre Zweideutigkeiten brachten mich ordentlich aus dem Konzept, wie auch das Wissen um die Themenbereiche, die wir später anreißen würden. Auf einmal war eine seltsam geladene Stimmung in der Küche. Was sie sicher hatte vorhersehen können. Gewollt hatte?
Oh Jammer, selbst die Art, wie sie ihr Hähnchen und die Pommes aß, schien nun eine sexuelle Komponente zu haben. Ich fühlte bereits eine leichte Schwellung, wo sie beim Essen keinesfalls hingehörte. Nur beim Essen? Sie war meine Mitbewohnerin, verdammt. Bloß das Thema wechseln.
"Also gut, den Verlauf des Abends haben wir geklärt. Wenn es dir recht ist, sollten wir dann gleich morgens in den Baumarkt, das Zimmer leerräumen könnten wir dann im Verlaufe des Vormittags und nach der Mittagsruhe mit dem Anbringen der Regalbretter beginnen. Vielleicht sollten wir wegen der Maße für deinen Bereich deine Bücher kurz sichten. Meine Erfordernisse sind mir bereits bekannt."
So leicht ließ sie sich nicht von ihrem Spiel abbringen, wie ich sofort erfahren musste.
"Es freut mich, dass du an meinen Maßen so großes Interesse hast. Ich gewähre dir gerne den gewünschten Einblick. Ich habe nichts zu verbergen", kam die Antwort, bei der ich mir sicher war, dass sie sich dabei innerlich kaputtlachte.
"Sehr witzig", machte ich einen schwachen Versuch, mich gegen das Spiel zu wehren, das mir nur halb unangenehm war, mich aber wirklich voll verwirrte. "Von einer guten Planung wirst du schließlich auch profitieren."
"Selbstverständlich. Ich stimme dir voll zu. Solche Dinge geht man am besten planvoll an. Andere Dinge lassen sich nicht so gut in Pläne und Systeme zwängen, gerade bei Gefühlen ist von vor Überraschungen nie sicher... das ist aber sicher eine interessante Diskussion, die wir zu einem späteren Zeitpunkt einmal führen könnten und sollten. Du siehst etwas müde aus, das war doch sicher deutlich zu wenig Schlaf für dich?"
"Oh, stimmt schon, es war etwas weniger als gewohnt, aber auch mit wenig Schlaf gut auszukommen lernt man beim Bund."
"So, so. Du hast noch eine ganze Weile gebraucht, um einzuschlafen, nicht wahr?", kam ihre Frage, die ich genauso wenig wie ihren Gesichtsausdruck dabei einordnen konnte.
"Das ist richtig... wieso...", setzte ich an.
"Die Wände sind recht dünn...", gab sie ihre völlig korrekte Einschätzung bekannt. Ich hatte das Gefühl, vor Scham im Boden zu versinken. Oh mein Gott. Sie hatte mitbekommen, wie ich meinen Schlaf induziert hatte? Verdammt, das Bett quietschte tatsächlich leise, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.
So, wie sie umgeräumt hatte, waren unsere Betten tatsächlich nur von der, wie ich wusste, dünnen Rehgipswand voneinander getrennt. Mein Vater hatte diese selbst eingezogen, es war vorher ein Riesenraum mit zwei Eingängen gewesen.
"Das ging mir ganz genauso. In jeder Beziehung. Darum bin ich heute Morgen auch deutlich später aufgewacht", holte sie mich aus meinen Gedanken ab. "Kein Grund zur Aufregung... oder falscher Scham."
Es fiel mir schwer ihrem Blick standzuhalten, der allerdings ihre Worte noch einmal zu bekräftigen schien. Natürlich, es ist ganz natürlich, schoss mir durch den Kopf. Moment, wenn ich sie richtig verstanden hatte, hatte sie auch... oh weia... sie nickte zu allem Überfluss auch noch, als ob sie meinen Gedankengang nachverfolgen konnte.
"Ehm... ich hatte ganz vergessen, wie hellhörig die Wohnung ist, das tut mir leid."
"Komm, das braucht dir nicht leid zu tun. So leise, wie ich gestern dabei war, bin ich übrigens auch nicht immer. Nur zur Info. So, das war richtig lecker. Wollen wir die zwei Teller zusammen abwaschen und dann rüber?"
Nun, die eine oder andere Minute hätte ich lieber noch gesessen, zumal dieses Gespräch, wie auch ihr augenblickliches Fingerabschlecken, nicht spurlos an mir vorübergegangen waren. Egal, Augen zu und durch. So aufmerksam, wie sie mich sonst auch beobachtete, dort schaute sie sicher nicht hin. Oder?
Wir räumten gemeinsam ab und kümmerten uns um den kleinen Abwasch. Als ich den fast vollen Bio-Mülleimer beim Einfüllen der Knochen bemerkte, tat sich zudem ein Fluchtweg zur Abkühlung auf.
"Ehm... ich bringe mal schnell die Bio-Müll runter", erklärte ich.
"Lass doch, können wir morgen früh mit runternehmen. Schnapp dir lieber noch den Rest des Trägers aus dem Kühlschrank und dann gehen wir in mein Zimmer. Ich bin echt neugierig, was du dazu sagen wirst."
Ich war völlig von den Socken, als wir in ihrem Zimmer standen. Trotz der vertrauten Möbel war es in der Tat kaum noch wiederzuerkennen. Meine Mutter hatte alles ihrer Persönlichkeit entsprechend sehr nüchtern und ohne jeden Sichtschmuck gestaltet gehabt. Claudia war da völlig anders.
Alle freien Stellflächen hatte irgendeine kleine Figur, Minidosen, Kerzen, auch einige Bücher oder irgendetwas anderes darauf. Einen Teil der Möbel hatte sie mit interessant gemusterten Tüchern bedeckt, die wahrscheinlich von ihren Indien-Urlauben stammten. Sie hatte sogar eine indische Flagge an ein Regal gebunden, das nicht vorher im Zimmer gewesen war.
Das musste sie tatsächlich angebohrt haben, denn es war ein Hängeregal. Sie folgte meinem Blick und lächelte.
"Meine Bohrmaschine habe ich natürlich mitgenommen. Damit kann sich mein Ex eh nur verletzen. Das ist ihm sogar beim Dübel-Einklopfen gelungen. Gefällt es dir?"
Das tat es in der Tat, obwohl viele der Sachen sicher nicht meinem persönlichen Geschmack entsprachen. Ich stellte zudem verblüfft fest, dass sich in den Fenstern zusätzliche Blumen befanden und auch eine größere Palme in einer Ecke stand, die wir sicherlich nicht beim Umzug mitgenommen hatten.
"Großartig, so... lebendig", gab ich zurück und meinte das auch so. Dagegen war das Zimmer, während meine Mutter es bewohnt hatte, richtig steril gewesen. Dies hier lebte, atmete, war ein Abbild ihrer Persönlichkeit.
Sie hatte auf dem Fußboden eine Art Sitzecke mit einer Reihe Sitzkissen geschaffen, zu der sie mich nun mit einer einladenden Handbewegung steuerte. Auch hier lag eines dieser bunten Baumwolltücher darunter.
"Ich hoffe, es macht dir nichts auf dem Boden zu sitzen. Ich tue das eigentlich sehr gern, weil es besser für die Haltung und den Körper insgesamt ist. Es schafft dabei eine gewisse Erdung", dozierte sie und machte es sich dort bequem, in einer Art Schneidersitz.
Auf einem kleinen, ebenfalls abgedeckten Schrank, der meiner Mutter als Nachtschränkchen gedient hatte, befand sich dann einer dieser gefürchteten Räucherstäbchenhalter. Nun, immerhin hatte sie ihn noch nicht in Betrieb genommen. Trotzdem roch es irgendwie frischer als zuvor. Oder war sie das?
Die Sitzkissen waren erstaunlich bequem, obwohl mir schon klar war, dass ich die nun eingenommene Sitzhaltung vermutlich nicht so lange wie sie schmerzfrei durchhalten konnte. Irgendwie würde es schon gehen.
"Wirklich, das hast du fantastisch hinbekommen. Der Raum ist kaum wiederzuerkennen."
"Nun... jetzt fühle ich mir wirklich wohl hier drin. Jetzt fühlt es sich wie ein Zuhause an. Wie ich dir schon angedroht habe, so leicht kriegst du mich hier nicht wieder weg."
"Ich sagte doch, das kann mir nur recht sein", eröffnete ich ihr und uns beiden ein Bier, reichte ihr eines und stieß mit ihr an.
"Auf dein neues Zuhause."
Sie lächelte erfreut, erwiderte "Auf uns" und trank ein paar Schlucke. In einer Ecke standen noch sechs große übereinandergestapelte Umzugskisten.
"Sind da die Bücher drin? Die sollten wir wie gesagt sichten."
"Ja, können wir später gerne machen. Sind nicht alle bis obenhin voll, ich hatte wegen des Gewichts andere Dinge obenauf gelegt, nicht dass du jetzt die Krise kriegst. Ein paar sind es aber schon. Du bist neugierig darauf, was ich so lese, nicht wahr?"
"Stimmt schon. Aber nicht nur auf die Bücher. Auf alles, was dich betrifft."
"Das bin ich auch auf dich. Ich finde unheimlich schön, was wir in diesen Tagen begonnen haben, dass wir so offen und ehrlich miteinander umgehen. Wirklich um Verständnis des anderen bemüht sind. Uns nicht voreinander verstecken. Ich verstehe, dass dies alles für dich neu und ungewohnt ist und dass es dir schwerfällt, dich von manchen vorgefassten Konzepten zu lösen. Ich möchte aber auch, dass du verstehst, dass ich das gar nicht will, nicht von dir verlange. Wie du mit den Informationen, die du über mich oder dich selbst bekommst, umgehst, ist allein deine Sache, verstehst du? Ich versuche nicht, dich nach meinen Wünschen zu formen. Ich mag dich so wie du bist. Aber ein paar Denkanstöße würde ich dir trotzdem gerne geben."
"Gern. Ich hatte ja gestern schon angedeutet, dass ich mich ein bisschen vor dieser Wohnsituation und davor, dich nicht wirklich verstehen zu können, gefürchtet habe. Das hat sich aber wirklich geändert. Es ist wunderbar, sich mit dir auszutauschen, oder einfach nur bei dir zu sein."
"Ja, so empfinde ich das auch. Dann lass uns weitermachen. Ich bin schrecklich neugierig, wie es bei dir weiterging..."
"Oh... du meinst, meine sogenannten sexuellen Erfahrungen..."
"Du brauchst das nicht abzuqualifizieren, das waren sie doch. Auch wenn sie nicht das waren, was du wirklich wolltest."
"Hm... ja, das könnte man so sehen. Nun... mein erstes Mal war es auf keinen Fall. Es dauerte tatsächlich zwei ganze Jahre, bis ich mich wieder heranwagte..."
"Wieder am Steintor?"
"Nein, an meinem neuen Standort, da war ich schon Stabsunteroffizier. Ich hatte einen netten Gefreiten mit in meinem Büro, der schrecklich gerne redete und mir alles und jeden im Detail erklärte. Irgendwann erzählte er mir von Discos und Nachtclubs, wo die Kameraden sich um weibliche Begleitung bemühten, mit einer recht unterschiedlichen Erfolgsquote. Ob er an meiner Reaktion gemerkt hat, dass dies überhaupt nicht mein Ding war, weiß ich nicht, denn er schrieb mir plötzlich den Namen eines "besonderen" Nachtclubs und dessen Adresse auf einen Zettel, zwinkerte mir zu und meinte, dort würde ich weder Kameraden treffen, noch Schwierigkeiten haben, es wäre allerdings nicht ganz billig."
"Also ein Bordell?"
"Ja, aber nicht der unteren Kategorie, wie sie von den Mannschaftsgraden frequentiert wurden. Ich bin ganz ehrlich... es hatte sich schon wieder so eine Art Druck aufgebaut. Ich bedankte mich artig und steckte den Zettel weg. Und fuhr tatsächlich schon am nächsten Abend dorthin. Es lag ein wenig außerhalb und wirkte beim Reingehen eher wie eine Bar. Wo allerdings hauptsächlich leichtbekleidete Frauen herumliefen, ich sah außer mir nur einen anderen männlichen Gast. Überfüllt war der Laden nun nicht gerade."
"Was dir entgegenkam, weil du verunsichert warst."
"Exakt. Ich hatte mich kaum hingesetzt, da kam schon eine Bedienung, fragte aber erstaunlicherweise nicht danach, was ich trinken wollte, sondern wartete ab, welches der Mädchen sich zu mir gesellen wollte. Das dauerte keine Minute, dann kam eine Blondine zu mir herüber und fragte, ob sie sich zu mir setzen dürfte. Sie sah nett aus, hatte ein sehr liebes Gesicht, was mich irgendwie beruhigte, war auch schon älter, vielleicht Anfang oder Mitte dreißig. Erst als sie sich gesetzt hatte, sehr nah an mich herangesetzt hatte, wohlgemerkt, fragte mich die Bedienung, was ich trinken wollte."
"Damit du dem Animiermädchen auch etwas ausgeben konntest."
"Exakt. Aber sie war kein Animiermädchen. Ich bestellte mir ein Bier, und die Frau, die sich zu mir gesetzt hatte, klärte mich sofort auf, dass das nicht billig wäre und zwanzig Mark kosten würde. Das war natürlich richtig heftig, aber so etwas hatte ich schon erwartet. Ich hatte einiges an Geld dabei und zuckte nur mit den Schultern, da fragte sie dann sogleich, was wohl von mir erwartet wurde, nämlich ob ich ihr auch etwas ausgeben würde."
"Was teurer war?"
"Nicht viel, sie meinte, ein Glas Sekt, für fünfundzwanzig, und dann würde sie gerne bei mir bleiben. Sie schlug dann aber vor, dass sie mich über den Rest der Karte informieren könnte. Das begriff ich erst nicht und war auch reichlich abgelenkt, weil sie auf meinem Schoß Platz nahm und mich streichelte, während die Bedienung losschoss. Sie erklärte mir nämlich, dass man auch Getränke mit auf das Zimmer nehmen könnte. Zum Beispiel eine ganze Flasche Sekt, für 100 Mark, oder die besseren für 150 und 200 Mark, wobei in dem Preis Sinnesfreuden für eine Viertelstunde, halbe Stunde oder Stunde mit eingeschlossen waren. Ohne Trinkgeld."
"Ein stolzer Preis für die Zeit, oder? Und warum wurde das an Getränke geknüpft?"
"Das habe ich auch erst mich und dann sie gefragt. Sie erklärte, dass man die Getränke unten bezahlen musste, bevor man sie mit aufs Zimmer nehmen konnte. Also konnte keiner der Freier dort oben eine Zahlung verweigern, oder Geld zurückverlangen oder ähnliches. Sie erklärte mir so einiges, auch was alles an Möglichkeiten in diesen Preisen inbegriffen waren, welche Kombinationsmöglichkeiten es zusätzlich gab, also beispielsweise zwei oder mehr Frauen mit aufs Zimmer zu nehmen. Was andere Kolleginnen von ihr anboten, worauf sie sich allerdings nicht einlassen würde."
"Zum Beispiel?", unterbrach mich Claudia neugierig.
"Analverkehr ist das einzige, woran ich mich erinnere. Obwohl sie eine ganze Latte von Optionen herunterbetete, von den meisten hatte ich ehrlich gesagt vorher noch nicht einmal gehört."
"Und diese Frau sprach dich mehr an, als die letzte Prostituierte, mit der du dich eingelassen hattest?"
"Ja, absolut. Denn sie machte von vornherein klar, dass man mit ihr nur "normalen" Sex haben würde, und sie auch nicht mit Trinkgeldern, egal in welcher Höhe, zu weiteren Dienstleistungen, also Dingen, die sie nicht tun wollte, verleiten könnte. Sie wirkte, wie soll ich das sagen, ehrlich, direkt und sehr einfühlsam. Sie spürte deutlich, wie suspekt mir das alles war, wie verunsichert ich war und drängte mich zu nichts. Blieb ganz ruhig und meinte, wir bräuchten aber nicht einmal aufs Zimmer zu gehen, wir könnten uns einfach nur unten unterhalten und das eine oder andere Getränk zu uns nehmen. Wie sehr mir ihre Nähe und Streicheleinheiten gefielen, merkte sie natürlich. Dass ich Soldat war, hatte sie längst aus meinem Kurzhaarschnitt und nun... meiner Haltung, die dir ja auch aufgefallen ist... abgeleitet gehabt, bevor ich es erzählte."
"Ohne die Fehldiagnose einer möglichen Rückenverletzung", warf Claudia schmunzelnd ein.
"In der Tat. Wir unterhielten uns richtig gut, es wurde ein Song gespielt, den ich auch total mochte, Moody Blues, "Nights in white satin". Was ich ihr mitteilte, als sie leise mitsang, und von dem Punkt an war es, als hätten wir beide völlig vergessen, dass sie eine Prostituierte und ich ein prospektiver Freier war, unterhielten uns einfach wie Menschen, die sich für den anderen interessierten. Das kann auch alles nicht nur Show oder Erfahrung ihrerseits gewesen sein, ich habe hinterher oft den Unterschied erlebt. Sie mochte mich etwas und ich sie, das war deutlich zu spüren. Natürlich, ihre Nähe erregte mich auch und sie schien davon angetan, dass ihr nicht einfach an den Busen oder zwischen die Beine griff, sondern nur ganz artig ihre nackte Hüfte hielt und damit schon zufrieden war. Einmal ihre Hand nahm und für ein paar Minuten mit ihr einfach Händchen hielt."
"Mit Sicherheit nicht das, was sie sonst so von Freiern gewohnt war."
"Ja, das hat sie so tatsächlich später auch gesagt. Sie versuchte nicht, meine Unerfahrenheit auszunutzen, das war ein wesentlicher Unterschied. Und meinte dann irgendwann, dass sie sich leider schon so lange wie ihr erlaubt wurde, an dem Glas Sekt hochgezogen hatte... ich schaute ihr tief in die Augen und gab zurück, dass ich das nächste Getränk gerne mit ihr auf dem Zimmer trinken würde. Sie schien ehrlich überrascht, vor allem, als sie mich die teuerste Sektsorte bestellen hörte."
"Sicher nicht unangenehm überrascht."
"Ja, das hatte sie mir hinterher ebenfalls erklärt. Mit dem Einkommen hatte sie im Grunde schon ihre Quote für den Abend erfüllt. Offenbar wurde von den Damen ein gewisser Umsatz verlangt. Sie war richtig von dem Verlauf des Abends, der wohl sehr schleppend begonnen hatte, und zudem mir angetan. Und machte die Ankündigung, dass ich diese Investition keineswegs bereuen würde."
"Und das war so?"
"Ja, diese Stunde, es wurde tatsächlich mehr als eine Stunde, ohne dass jemand an die Tür wummerte und eine Nachzahlung verlangte, wurde eine unglaublich schöne Erfahrung für mich. Alles, was ich mir vom Sex erträumt hatte, von einer Frau erträumt hatte, wurde wahr, so unglaublich und eigenartig das klingen mag, wenn man berücksichtigt, was die Situation tatsächlich war. Sie war nicht nur in den Unterhaltungen gelassen und einfühlsam gewesen. Sie war zu keiner Zeit darauf aus, die Sache so schnell und mit so wenig Mühe wie möglich über die Bühne zu bringen."
"Das ist vermutlich wirklich ungewöhnlich."
"Ja, das habe ich in dieser Form nie wieder so erlebt. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass es ihr wirklich Spaß machte, obwohl, als sie das hinterher sagte, konnte ich es irgendwie doch nicht glauben. Soweit reichte mein Vertrauen dann nicht. Es reichte aber, um mich von ihr leiten zu lassen, sie mir Dinge zeigen zu lassen, Stellungen, Dinge die sich gut und schön anfühlten. Sie animierte mich sogar, in einer Ruhepause für mich, mich mit ihr zu beschäftigen."
"Was meinst du damit?"
"Nun, auch bei ihr oral tätig zu werden."
"Och bist du süß... oral tätig zu werden? Mit anderen Worten, sie hat dich darum gebeten, dass du sie leckst?"
"Ja. Was ich sehr interessant und aufregend fand. Sie zu schmecken und aus nächster Nähe betrachten zu können. Das Gefühl ihres Geschlechts an meiner Zunge..."
Claudia biss sich auf die Lippe.
"So, so", kam ihr Kommentar. "Und du hattest den Eindruck, dass es ihr gefiel?"
"Ja, Laute hatte sie auch während des Verkehrs gemacht, längst nicht so übertrieben wie andere aus ihrem Gewerbe, aber als ich das mit ihr tat... es klang... fast authentisch, sie... leitete mich manchmal auch etwas an... wie, etwas schneller... nicht ganz so fest... so etwas halt."
"Na ja, warum soll man an seinem Beruf nicht auch mal Freude haben", warf Claudia lächelnd ein.
"Ja, den Eindruck hatte ich wie gesagt, nicht nur dabei. Aber wir haben uns auch ganz viel gestreichelt, sie schien... von meinem Körper recht angetan, sagte öfter wie gut ich ihr gefiel, was ich wiederum von anderen nie zu hören bekam. Die haben sich höchstens mal lobend über die Beschaffenheit meines... Glieds geäußert."
"So, so. Wie?"
"Na ja, dass er so groß und formschön sei und so etwas halt. Ich war aber oft genug mit anderen Männern in Gemeinschaftsduschen, um zu wissen, dass ich da sicher nicht wirklich... herausragend war. Dazu machte sie beispielsweise gar keine Referenzen, mehr... zur Gesamtheit meines Körpers."
"Wieso, was hat sie denn gesagt?", erkundigte sich Claudia neugierig.
"Nun...", ich stockte eine Weile, weil es mir etwas peinlich war, auch weil es mich damals wirklich stolz gemacht hatte. "Es fiel der Vergleich zu griechischen Statuen. Da schwoll mir verständlicherweise ein wenig der Kamm."
Claudia kicherte eine Weile vor sich hin. "Das merke ich mir... das ist in der Tat ein recht ungewöhnliches Kompliment. Aber das ging sicher runter wie Öl, klar. Warte... das hätte dich nicht so beeindruckt, wenn du es nicht ernst genommen hättest, zumindest ein bisschen?"
"Ja, es koinzidierte mit einem gewissen Stolz, den ich für meinen Körper empfand. Durchaus. Immerhin war meine sportliche Aktiven-Zeit gerade erst kurz davor beendet worden. Obwohl ich da längst nicht über dieselbe Artikulation verfügte, die ich nun habe."
Claudia krauste kurz die Stirn, dann fing sie an zu grinsen.
"Jetzt hast du mich richtig neugierig gemacht. Magst du mir mal kurz deinen Oberkörper vorführen? Keine Angst, die Beschaffenheit deines Glieds möchte ich nicht im Anschluss kennenlernen. Oder ist das zu merkwürdig jetzt?"
Schon etwas. Zu? Nein, warum nicht. Wenn da nicht ihr eigenartiger Humor gewesen wäre...
"Ehm... das ist dein Ernst und du kriegst keinen Lachanfall, wenn ich das jetzt tatsächlich mache?"
"Quatsch. Aufziehen werde ich dich später noch genug. Jetzt bin ich nur auf Informationssuche."
Na denn. Ich atmete einmal tief durch und zog meinen Pullover und mein T-Shirt aus.
"Oh", machte sie nur.
"Reicht das?", fragte ich schnell, weil mich ihr stummer Blick nervös machte.
"Ja. Okay. Das hat sie wahrscheinlich durchaus so gemeint. Junge, Junge. Das ist jetzt nicht etwas, was einen Mann für mich attraktiv macht, versteh mich da nicht falsch. Aber das ist... objektiv... optisch sehr ansprechend. Nicht übertrieben, einfach gelungen. Glückwunsch."
Ich beeilte mich, die Sachen wieder überzuziehen.
"Nun, das ist nur ein Nebenprodukt meines Trainings, damals wie heute. Beim Zehnkampf braucht man viele verschiedene Muskelgruppen und damals gab es den Kraftraum, heute ist es das Fitness-Studio. Was ich heute verpasst habe, ich gehe sonst freitags... und das ist überhaupt kein Verlust, im Gegenteil, bevor jetzt von dir eine Einrede kommt. Damals war es wie gesagt auch noch nicht ganz so ausgeprägt. Sie war überhaupt voll des Lobes. Ich hatte ihr nach dem ersten Mal Verkehr mit ihr gesagt, dass ich relativ unerfahren in diesen Dingen war. Sie meinte, das hätte man kaum gemerkt, ich würde mich sehr gut bewegen, weil meine Hüfte sehr locker blieb. Und zeigte mir dann später Positionen, wo ich das noch besser ausspielen konnte und meinte danach, dass das richtig gut war. Und ich solle verdammt noch mal nicht glauben, dass sie das nur sagte, weil ich es hören wollte."
"So, so. Warum soll das nicht auch stimmen?", meinte Claudia schmunzelnd.
"Nun, ich fühlte mich insgesamt sehr geschmeichelt, zum Ende gab sie mir mit auf den Weg, dass ich es doch gar nicht nötig hätte, mich käuflicher Frauen zu versichern. Und auch das sollte ich ihr ernsthaft glauben."
"Hast du?"
"Ich konnte ihr theoretisch halbwegs folgen, so musste es vielleicht für sie den Anschein haben. Sie wusste schließlich nichts von meinen Schwierigkeiten, so viel habe ich ihr nun doch nicht erzählt. Wir haben die meiste Zeit ja die Sachen getan, für die ich bezahlt hatte."
"Nein, komm, qualifizier das jetzt doch nicht ab. Du hast schönen Sex mit ihr gehabt, sie mochte dich und sie fand dich attraktiv. Dafür hast du nicht gezahlt. Das war nicht Bestandteil des Vertrages."
"Wie soll ich sagen, ja, ich wünschte mir auch, dass sie das alles ehrlich meinte. Und ich mochte sie ebenfalls, sie schien ein guter Mensch zu sein. Und ja, mit ihr, das war der schönste Sex, den ich jemals hatte, das sage ich ganz ehrlich. Es wurde leider nie mehr so, wie mit ihr."
"Hast du nicht versucht, sie wiederzusehen?"
"Doch, sogar schon einige Tage später. Sie hatte ihren freien Tag, wie mir die Dame erklärte, die mich dann beschäftigte. Bei ihr war alles geschauspielert. Und nicht mal besonders gut. Sie war deutlich jünger, vielleicht in meinem Alter damals, oder marginal älter. Vergleichbar war eigentlich nur die Freude über meine Getränkewahl."
"Da warst du verständlicherweise enttäuscht", steuerte Claudia bei.
"Ja, das war ich. Und pleite. So mal eben 500 Mark in einer Woche auszugeben war in meinem Budget auf Dauer nicht drin. Ich bekam andere Empfehlungen von meinen Kameraden, die deutlich preisgünstiger waren. Die aber gleichfalls irgendwie unbefriedigend waren."
"Verstehe. Du sagtest, zu einer bestimmten Zeit hast du bewusst damit aufgehört, war das, weil du am Ende doch nicht bekommen hast, was du wirklich wolltest?"
"Das spielte sicher auch eine Rolle, aber ich war halt irgendwann kein dummer Junge mehr. Und hatte mich schon damals, bei der Frau, die mich so mochte, gefragt, was einen so guten Menschen wie sie zu dieser Arbeit treibt. Sie habe ich das natürlich nicht zu fragen gewagt. Ein paar andere später schon, manche haben gar nicht geantwortet, eine meinte, mit keinem anderen Job könne sie so viel Geld verdienen. Ich fragte mich aber, was mir wirklich alles nicht geantwortet wurde. Was bei manchen tatsächlich dahinterstand. Vielleicht ein brutaler Zuhälter, oder eine Drogenabhängigkeit, Schulden, Armut, bei einer Asiatin hatte ich sogar den Verdacht des Menschenhandels. Dass ich so indirekt mit für deren Leid verantwortlich war. Es beschäftigte mich eine Weile und als ich wieder einmal vor einem solchen Etablissement parkte, konnte ich auf einmal nicht mehr aussteigen. Saß eine Weile nur da und hatte dann einfach die Gewissheit, dass ich das nicht mehr wollte."
Claudia sah mich nachdenklich an. Dann nickte sie unmerklich, enthielt sich aber jeder Äußerung.
"Nun, das war kurz nach meinem dreißigsten Geburtstag. Seither habe ich das nie mehr getan. Es fehlt mir auch nicht, um ganz ehrlich zu sein. Ich denke sehr selten daran und...", nun stockte ich kurz, weil ich mir nicht sicher war, ob das nächste Geständnis nicht doch etwas zu viel von mir preisgab.
"Und?", bohrte sie nach kurzer Zeit nach.
"Ehm... ganz ehrlich, es mir im Zuge einer schönen Fantasie, oder angeregt durch gute Literatur selbst zu besorgen, war oft befriedigender als dieses käufliche Abbild des Echten."
"Verstehe ich, absolut. Selbstbefriedigung kann sehr schön sein und reicht oft völlig aus. Ist ja immerhin Sex mit jemandem, den man liebt", meinte sie dann grinsend.
Ja, den Spruch kannte ich auch. So falsch war er gar nicht.
"So, jetzt bist du über mein gesamtes Sexualleben völlig im Bilde."
Sie schaute mich mit einem Blick an, den ich nicht richtig einordnen konnte.
"Das ist irgendwie sehr traurig, weißt du? Du hast so viele schöne Sachen noch gar nicht erlebt. Was Sex auch sein kann. Was echte Intimität ist. Wie das ist, mit jemanden gemeinsam einen Höhepunkt zu erleben. Eigentlich bist du wirklich noch eine Jungfrau."
"Hm. Ich verstehe, wie du das meinst. Ja, vielleicht, auf dieser Ebene schon."
Sie sah mich eine Weile stumm an und trank dann den Rest ihres Biers.
"Möchtest du noch eins? Ich muss mich ranhalten, meins ist noch halb voll...", beobachtete ich.
"Ja, vor allem wo ich doch jetzt wohl dran bin. Du hast mir deins gezeigt, jetzt zeig ich dir meins...", meinte sie schmunzelnd.
"Aber... das wäre jetzt glaube ich etwas viel verlangt. Und nicht wirklich vergleichbar. Das brauchst du nicht zu tun."
"Wieso, was meinst du denn jetzt? Das hatte ich doch angeboten?", wunderte sie sich.
Oh... da waren meine Gedanken gerade völlig in die falsche Richtung gelaufen. Wie peinlich. Wie schrecklich, schrecklich peinlich. Und völlig bescheuert. Und das musste ich jetzt auch noch zugeben. Na toll.
"Öhm... das wird dich amüsieren, fürchte ich. Ich hatte eben an das Ablegen von Oberbekleidung gedacht...", gab ich mit gesteigertem Blutfluss in meinen Wangen bekannt.
Amüsieren war eine Untertreibung. Sie kriegte einen Lachkrampf, fiel auf die Seite und hielt sich sogar den Bauch. Na großartig. Sie wischte sich Lachtränen ab, als sie wieder hochkam. Fixierte mich noch einen Moment. Und schockte mich dann richtig.
"Nö, eigentlich ist das fair. Also denn...", meinte sie ganz ruhig, zog ihren Jumper über den Kopf und weidete sich an meiner Verblüffung. Nur einen Moment, dann öffnete sie ihren BH.
"Nun?", riss mich ihre Stimme aus meiner Andacht. "Reicht das als Informationsaustausch körperlicher Merkmale?"
"Oh... sicher... durchaus", stammelte ich am Rande meiner Zurechnungsfähigkeit.
"Kriege ich auch eine Rezension?", meinte sie kichernd, als sie sich wieder ankleidete.
"Grandios", stolperte das Wort, das tatsächlich meine Gedanken dominiert hatte über meine Zunge, was ihr Kichern vertiefte. "Nein, wirklich, wunderschön. Du hast wunderschöne Brüste. Du bist überhaupt eine bildschöne Frau... finde ich... ganz objektiv."
"Schmeichler. Gut, belassen wir es dabei, genug gebauchpinselt für den Moment. Was nicht heißen soll, dass du das nicht ruhig hin und wieder einstreuen kannst. Möchtest du jetzt von mir hören, wie mein Eintritt in die Sexualität erfolgte?"
"Oh ja, sehr gerne sogar."
Meine vielleicht kindlich wirkende Begeisterung zauberte ihr ein tiefes Lächeln ins Gesicht. Mein Gott, sie war wirklich wunderschön. Und das Bild ihres Busens würde ich sicher auch für Tage nicht aus dem Bewusstsein kriegen.
"Ich habe recht spät begonnen. Ich hatte mit vierzehn meinen ersten festen Freund, aber außer Händchenhalten und Knutschen lief gar nichts. Er wollte schon etwas mehr, aber das ließ ich nicht zu. Für mich war Sexualität in jeder Spielart etwas, wovon ich wusste, aber wofür ich mich noch nicht reif genug fühlte. Womit ich keinesfalls umgehen konnte. Wir waren vielleicht vier Monate zusammen und ganz selten allein, meist mit einer Gruppe unterwegs."
Sie pausierte, um einen großen Schluck Bier zu nehmen, was ich ihr gleichtat.
"Das war dann mit Tom schon ein wenig anders. Da war ich sechzehn, er siebzehn. Und zum ersten Mal schwer verliebt. Das war er allerdings auch. Und obwohl er darüber ganz anders dachte, akzeptierte er deshalb, dass ich bestimmen würde, was und wann ich das zulassen würde. Na, nicht immer, aber dann bekam er auf die Finger, wenn seine Hände zu vorwitzig wurden. Er bekam von mir das magische Datum, wo sich das alles ändern würde, nämlich an oder nach meinem achtzehnten Geburtstag. Das akzeptierte er, mühsam, mit Leidensmiene, denn zumindest verbal versuchte er immer wieder mich umzustimmen. Doch zumindest die kleinen Dinge mit ihm zu probieren, wie er das nannte. Ich blieb hart."
"Warum? War das für dich nicht auch schwer?"
"Und wie, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich das in Wirklichkeit wollte. Aber ich habe ihm und mir nicht genug vertraut. Und von Freundinnen oft genug gehört gehabt, das eben bei ihnen so eins zum anderen führte. Und das wollte ich nicht. Du hast gesagt, du kämpfst oft um Kontrolle. In der Beziehung tat ich das auch. Weil ich wusste, oder zu wissen glaubte, dass dies ein einschneidendes Erlebnis für mich werden würde. Mein Leben und Empfinden grundlegend verändern. Es sollte etwas Besonderes werden, nicht eine Folge aus zu viel Alkohol und einer momentanen Schwäche, oder einfach nur, weil die Eltern mal eine Stunde aus dem Haus waren, verstehst du?"
"Ich glaube schon. Und wurde es so, wie du es dir vorgestellt und gewünscht hast?"
"Vom äußeren Rahmen schon. Wir warteten bis zwei Tage nach meinem Geburtstag, es war ein Freitag. Am Samstag würde dann meine große Geburtstagsparty zur Volljährigkeit folgen. Die wollte ich schon als Frau erleben, verstehst du? Was hatte ich mir alles vorgestellt, wie mich das verwandeln würde. Wie ich die Welt mit wissendem Blick und aus anderen Augen betrachten würde."
Sie seufzte kurz.
"Ja, der Auftakt war auch schön, wir küssten uns zärtlich und ich ließ zum ersten Mal zu, dass er mich streichelte, mir unters T-Shirt ging, mir an den Busen fasste. Mich dann versuchte auszuziehen, was ihn überforderte. Es hatte durchaus eine heitere Note, aber ich wollte ihn nicht mit Gelächter rausbringen. Innerlich habe ich mich allerdings köstlich amüsiert. Ich half ihm schließlich, sein erster Blick auf meine Brüste war deinem vorhin übrigens nicht unähnlich. Als er mir dann meine Jeans runterzog, kriegte ich allerdings fast ein bisschen Panik. Er wohl auch, an mein Höschen ging er nicht, sondern fing stattdessen an, sich auszuziehen. Das zog ich dann schnell selbst runter. Ich weiß nicht, was ich genau erwartet hatte, so genau hatte ich es mir eigentlich nie vorher ausgemalt gehabt, aber die Sequenz, die dann folgte, war einfach enttäuschend. Wir waren beide nackt, er total hart von dem Anblick und der Vorfreude. Ich hatte erwartet, dass wir uns weiter streicheln würden, hatte sogar insgeheim geplant, ihm den Blow-Job zu geben, um den er immer gebettelt hatte, vergeblich natürlich. Ein bisschen gehofft, dass ihn das dann inspirieren würde und er sich auch um mich kümmerte, zumindest dafür sorgte, dass ich richtig feucht wurde. Pustekuchen. Er wühlte in seinen Hosentaschen, brachte ein Kondom raus, kriegte es nicht richtig drauf, weil er es falschrum versuchte."
"Er wird nervös gewesen sein", gab ich meine Einschätzung bekannt.
"Ja, und genauso unerfahren wie ich. Es war schließlich für ihn auch das erste Mal. Ich hatte Angst, dass er durch das Falschrumdrehen die Gefahr einer Schwangerschaft erhöhte und bat ihn, ein anderes zu nutzen. Er fluchte, aber tat das dann und diesmal wusste er, worauf er zu achten hatte. Er war immer noch total steif, als er sich auf mich legte. Erst in dem Moment wurde mir klar, dass ich nicht einmal besonders erregt war. Er dachte überhaupt nicht mehr an mich, das Gefühl bekam ich in dem Moment. Nur, dass er endlich meine Erlaubnis hatte, sein gottverdammtes Ding bei mir reinzustecken und dies so schnell wie möglich tun wollte, bevor ich es mir anders überlege. So kam es mir vor."
"Jetzt verstehe ich, was du mit marginal romantischer meintest", gab ich bekannt, als sie für einen Moment reflektierend pausierte.
"Ja, romantisch war es nur bis zu dem Punkt, wo wir uns auszogen. Dann war es bei ihm nur noch totale Gier und bei mir die Unfähigkeit, es ihm in diesem Moment noch zu verwehren. Dazu hatte ich ihn zu lange zappeln lassen. Ich fühlte mich verpflichtet, ich ließ es zu, mehr nicht. Es tat weh. Irgendein Idiot hatte ihm erzählt, er sollte einfach mit Wucht rein, das würde es für mich einfacher machen. Es war wie ein scharfer Riss, seine unbeholfenen Bewegungen waren unangenehm, ich war auch viel zu trocken. Na ja, ich musste es vielleicht zwei Minuten ertragen, dann war es ausgestanden."
Oje. Das klang alles andere als schön für sie.
"Das muss eine herbe Enttäuschung für dich gewesen sein."
"Ja, ich war enttäuscht. Nicht nur, dass es so anders wurde, als ich es mir gewünscht hatte. Ich hatte den Zeitpunkt und das Ambiente kontrolliert, aber im entscheidenden Moment die Kontrolle abgegeben, es nicht auf mich und meine Bedürfnisse fixiert. Gehofft, das würde ihm von selbst aufgehen, ihm vertraut. Und ihn damit überfordert. Ich gebe mir mindestens genauso viel Schuld an dem letztlichen Geschehen, wie ihm. Hinterher war er dann wieder so, wie ich kannte und liebte. War betroffen, dass ich auch noch Stunden später Schmerzen hatte. War ganz lieb und zärtlich. Und tröstete mich damit, dass es beim zweiten Mal für mich sicher ganz anders werden würde. Meinte sogar, vielleicht könnte ich dann auch kommen. Vielleicht glaubte er sogar daran, ich weiß es nicht. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht."
"Ihr habt es aber nicht gleich ein zweites Mal probiert?"
"Nein, dafür war ich viel zu fertig und es hätte wahrscheinlich immer noch zu sehr weh getan."
"Verstehe. Und hast du dich trotzdem dann als Frau gefühlt?"
"Ja und nein. Ich hatte eine Prozedur überstanden, aber sie hatte mich nicht verändert. Gut, ich redete mir ein, dass es die nächsten Male anders und besser würde, dass wir nun wirklich zusammen die wunderbare Welt des Sex erleben würden. An dem folgenden Sonntag probierten wir es dann ein zweites Mal. Es war etwas besser, ich hielt ihn einfach zurück, als er gleich wieder das Kondom nach dem Ausziehen draufpacken wollte. Führte seine Hand an meine Muschi. Gab ihm so zu verstehen, dass es da Vorarbeiten zu leisten gab. Darüber sprechen konnte ich zu der Zeit noch nicht. Na ja, er hatte es begriffen. Wie man eine Frau da richtig stimuliert, allerdings nicht. Trotzdem war ich diesmal erregter und auch feuchter. Als er dann, auf meine Mahnung reagierte und vorsichtiger eindrang, war es nicht so ein Schock und es tat nur noch ganz am Anfang leicht weh. Und dann fing es zum ersten Mal an, sich richtig gut anzufühlen."
Sie pausierte erneut und trank einen weiteren Schluck Bier.
"Es wurde so, wie du es dir vorgestellt und gewünscht hattest?"
"Nein, aber ich bekam zumindest eine Ahnung davon, wie es sein könnte. Wenn es mal über drei Minuten hinausging", meinte sie schmunzelnd. "Er war kein Marathon-Mann. Später lernte ich dann Tricks, um das Ganze auszudehnen. Ihn einfach vorher mit der Hand, oder dem Mund zu befriedigen. Danach brauchte er nämlich etwas länger. Dabei war er nicht mal der Rammler, er bewegte sich eher ruhig. Es erregte ihn einfach zu stark. Wenn ich es vorher mit der Hand probierte, kriegte ich manchmal sogar einen lahmen Arm, weil es so lange dauerte. Mit dem Mund ging es dann schon wieder recht schnell, aber sobald er bei mir drin war..."
"Also klappte es mit dem Höhepunkt für dich nicht. Erst mit deinem Dozenten, das hattest du ja erzählt."
"Genau. Mein Freund probierte es aber auch nicht auf andere Weise. Er war total begeistert, dass ich öfter blies, wie gesagt nicht ohne Eigennutz. Als ich ihn dann mal sanft zwischen meine Beine schob, entschuldigte er sich und meinte, das würde er nicht bringen. Und versuchte stattdessen an mir rumzufingern, was mehr unangenehm als alles andere war."
"Aber warum wollte er nicht, das ist doch ein großartiges Gefühl?", warf ich ein.
"Du bist echt süß...", lachte sie. "Ja, natürlich, besonders für mich. Er ekelte sich davor, wie er mir gestand und wusste rational, dass es dafür keinen Grund gab. Ich hab's so stehen lassen. Verstehst du, so einfach ist das für ein Mädchen oder eine junge Frau nicht, ihre Bedürfnisse anzumelden und darauf zu bestehen. Zumindest für mich war es enorm schwer, und meine Freundinnen klagten ebenfalls über ihre Freunde und deren Selbstsucht im Bett und taten gleichfalls nichts dagegen. Na ja, trotzdem ist unsere Beziehung auch daran zerbrochen, nicht lange danach."
"Oh... warst du es, die..."
"Ja, ich war vielleicht nicht fähig einzufordern, was ich wollte, aber klarmachen, was ich nicht wollte, konnte ich ganz gut. Ich glaube, ich habe ihn ziemlich verletzt, als ich ihm den Laufpass gab. Ich fühlte auch nicht mehr so viel für ihn. Das hatte einen anderen Grund, denn ich begann gerade, mich in einen anderen Jungen zu verlieben. Mit dem ich dann kurz darauf drei Monate zusammen war."
"Was aber auch noch nicht zum Erfolg führte..."
"Ja, obwohl es mit ihm schon ganz anders war. Er hatte Erfahrung, und probierte auch mich zu lecken. Was er nicht besonders geschickt machte und es fehlte ihm an Geduld. Immerhin brachte er mich damit auf Touren, und ich konnte den Verkehr mehr genießen. Na ja, manchmal zumindest. Meist war er einfach zu wild und ungestüm. Er war ein richtiger Rammler. Versteh mich nicht falsch, das hat manchmal durchaus seinen Reiz und seine Berechtigung, ich mag es manchmal auch so. Aber nicht ständig und vor allem nicht, wenn ich das Gefühl bekomme, dass er nur seinem eigenen Höhepunkt entgegenjagt. Das war bei ihm leider so. Das Schlimme war für mich, dass er vom Sex mit mir so begeistert war. Er wollte ständig und immer. Ich war richtig froh, als ich dann nach Göttingen gezogen bin und einen guten Grund hatte, mich von ihm zu trennen. Und hatte von Jungen erst einmal die Schnauze voll, um ehrlich zu sein."
"Verständlich."
Sie schaute mich lange an.
"Und dann passierte bei mir etwas Ähnliches wie bei dir. Ich habe mich mit mir und meiner Sexualität anhand von Büchern und wissenschaftlichen Abhandlungen auseinandergesetzt. Auch feministische Literatur gelesen, erfahren, dass es nicht nur mir so ging. Dass oft im Bett etwas fundamental falsch lief, zu Lasten der Frauen. Frauen sich viel zu oft und zu leicht einfach benutzen lassen. Offenbar nicht tief und intensiv genug, sonst hätte mein Dozent mit mir nicht so leichtes Spiel gehabt. Vor ihm hatte ich mich aber mit niemanden sonst mehr eingelassen gehabt. So, jetzt kennst du auch meine Anfänge."
"Danke, das war hochinteressant für mich. Und doch wahrscheinlich für dich ebenfalls nicht leicht, das zu erzählen."
"Nein, Jonas hab ich das auch schon so erzählt gehabt, da bist du nicht der erste. Ich glaube sogar, er hat mehr erfahren, als er jemals wissen wollte. Ich halte mein Wissen und meine Erfahrungen nicht zurück, denn sie sind ein Teil von mir. Ich bin jetzt auch kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau. Ich weiß sehr viel mehr, über mich und meine Sexualität. Meinen Körper, was ich liebe, was ich brauche und was ich mag. Habe auch überhaupt keine Probleme meine Bedürfnisse einzufordern, da bin ich kompromisslos geworden, zu meinem Vorteil. Ich kann ebenfalls über Sexualität in allen Details sprechen, es ist kein Tabuthema oder unangenehm für mich."
"Das sollte es auch sicher nicht sein. Nun... ich hatte halt noch nie jemanden, mit dem ich so offen sprechen konnte, wie es mit dir jetzt geht, verstehst du?"
"Natürlich. Zögere nicht, wenn du etwas wissen willst, irgendetwas dich beschäftigt, frag mich einfach. Okay?"
"Ja, bestimmt komme ich irgendwann auf das Angebot zurück."
"Mach das. So, willst du sie jetzt sehen?"
"Nochmal? Du verwöhnst mich aber heute richtig", gab ich in vollem Bewusstsein, dass sie von den Büchern sprach, zurück. Was sie konnte, konnte ich schließlich auch.
"Hey, du Schlingel. Das könnte dir so passen. Ich rede selbstverständlich... warte, du weißt genau, wovon ich rede. Schau an, da steckt doch einiges an Potential in dir", gab sie grinsend zurück.
Wir standen auf und gingen zu den Bücherkisten. Ich holte die oberste herunter und sie öffnete sie für mich. Das waren hauptsächlich Taschenbücher, Literatur größtenteils, gute vornehmlich. In der nächsten Kiste war medizinische Fachliteratur, was darauf hindeutete, dass sie vorher durchaus ihre Büchersammlung strukturiert aufbewahrt hatte.
Es setzte sich fort, Philosophie, Yoga, Psychologie und ein Buch mit einer meditierenden Frau darauf in bunten Farben, das sie mir sofort in die Hand drückte. Ken Dychtwalds "Körperbewusstsein".
"Das solltest du lesen, wenn du verstehen möchtest, was ich mit Panzer und darin festsitzenden Traumata meine. Es gibt einige interessante Techniken, um diese Sachen freizusetzen, beispielsweise Rolfing oder Feldenkrais-Übungen. Rolfing beherrsche ich übrigens, ich habe einen entsprechenden Kurs besucht."
"Von all dem habe ich noch nie gehört", gab ich zu und legte das Buch zur Seite. Klang auf jeden Fall interessant.
Nochmal Literatur, diesmal in gebundenen Versionen. Eines fiel mir sofort ins Auge, Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T". Also kein Zufallsprodukt. Eine Auswahl feinster Weltliteratur. Ich musste grinsen.
"Den Inhalt dieser Kiste brauchst du eigentlich gar nicht auspacken. Die habe ich samt und sonders ebenfalls."
"Das wundert mich nicht im Geringsten", meinte sie schmunzelnd. "Du hast eben nicht nur einen Körper wie eine griechische Statue."
"Aber auch?"
Sie lachte.
"Ja, aber auch."
Eine gemischte Kiste, unten viele Bildbände und obendrauf... oh... einige Titel erkannte ich. Feministische und...
"Erotische Literatur. Liest du sowas auch?", wurde ich sogleich auf mein Erkennen angesprochen.
"Ehm... in letzter Zeit eigentlich nicht mehr."
"Du kannst dir gerne was ausleihen. Ich kann dir auch Empfehlungen geben", sagte sie mit einem lockenden Unterton.
"Du willst doch nur wieder mein Bett quietschen hören", ging ich auf das Spiel ein.
"Da wird doch heute Nacht hoffentlich die Erinnerung an meine grandiosen Brüste reichen, oder?", gab sie blitzschnell zurück.
"Oh, steht irgendwo im Mietvertrag, dass ich an dich denken muss, wenn ich masturbiere?"
"Nein, das steht nur auf deiner Stirn geschrieben."
"Direkt unangenehm scheint es dir nicht zu sein, das zu lesen."
"Natürlich nicht, ich lese gerne, was mich erregt, das siehst du doch."
"Es würde dich erregen, wenn du wissen würdest, dass ich an dich denke, wenn ich masturbiere?"
"Nein, es erregt mich, dass ich weiß, dass du es gleich tun wirst. Siehst du, ich komme völlig ohne das Konditional aus."
"Offenbar auch völlig ohne Realitätsbezug. Oder glaubst du ernsthaft, dass ich das tun würde?"
"Nein, natürlich nicht, dazu bist du viel zu kontrolliert und sicher vor äußeren Reizen, wie, sagen wir, einer leise stöhnenden Frau im Nebenzimmer..."
Uff. Was wollte sie jetzt auf die Spitze treiben, dieses lustige kleine Gefecht, oder die Realität? Sie trieb auf jeden Fall sehr reales Blut in sehr sensitive Regionen von mir.
"Man gut, dass ich mich auf deinen Sinn für Humor verlassen kann, der mir immer mehr Spaß macht nebenbei, sonst wäre ich jetzt tatsächlich beunruhigt", versuchte ich die Kurve zu kriegen.
"Ja, dass ich dich beunruhigen werde, darauf kannst du dich verlassen. Ich finde sowas lustig."
"Das ist mir schon aufgefallen. Nun... es ist tatsächlich wieder spät geworden..."
"Genau, und die Nacht könnte lang werden."
Verdammt, sie ließ mich einfach nicht vom Haken.
"Nun... ich habe ich doch einiges an Schlaf aufzuholen, denke ich mal", antworte ich, ihr süffisantes Grinsen ignorierend. "Es war auf jeden Fall ein hochinteressanter Abend."
"Finde ich auch", meinte sie während sie nahe an mich herantrat, ihren rechten Arm um mich schlang und mich auf die Wange küsste.
Was sicher im Rahmen war, doch nicht damit endete. Sie löste die leichte Umarmung nämlich nicht gleich auf, sondern hielt ihren Kopf ganz dicht neben meinem und überbrückte die vorher vorhandene Distanz zwischen unseren Körpern fast in Zeitlupe, bis ich zunächst ihren Busen auf meiner Brust fühlte und sich dann auch der Rest an mich schmiegte, während sie mir "Träum süß" ins Ohr hauchte.
Erst dann gab sie mich frei, und überließ mich meiner Erschütterung und Verwirrung.
"Du kannst ruhig zuerst ins Bad", meinte sie noch als ich mich etwas taumelig auf den Weg zur Tür machte, mich dabei an dem geliehenen Buch festkrallend. "Gute Nacht."
Ich dreht ihr noch einmal den Kopf zu, um den Gruß zu erwidern, presste ebenfalls "Gute Nacht", hervor und floh, weil sie sich bereits ihren Jumper wieder über den Kopf gezogen hatte. Ich ging sofort ins Bad und stand mit Herzklopfen und erst einmal zu jeder weiteren Aktion unfähig vor dem Waschbecken. Atmete mehrmals tief durch. Wollte dann zur Zahnbürste greifen und bemerkte erst dann, dass ich immer noch ihr Buch in der Hand hielt.
Nur langsam löste sich die Anspannung in Kopfschütteln und einem idiotischen Grinsen, als ich nach dessen Ablage auf dem Wäschekorb nun endlich mit den abendlichen Ablutionen beginnen konnte. Ich wusch mir auch noch gründlich mein Glied, denn es hatte sich so einiges an ihm und in meiner Unterhose als Ergebnis ihrer Erzählung und ihrem beunruhigenden Verhalten feucht oder bereits verkrustet abgelagert.
Nach dem Zähneputzen beeilte ich mich, das Bad zu verlassen und so schnell wie möglich in mein Zimmer zu kommen, insgeheim eine weitere gefährliche Begegnung mit ihr im Flur befürchtend. Ich erreichte jedoch unbehelligt mein Refugium, zog mich rasch aus und legte mich ins Bett.
Atemlos lauschte ich in die Stille, hörte, wie sie in ihrem Zimmer rumorte, offenbar die Kisten wieder übereinanderstapelte. Toller Kavalier war ich, dabei hätte ich helfen sollen. Dann hörte ich den Klang von aneinanderstoßenden Glasflaschen, offenbar räumte sie noch gründlich auf. Eigentlich alles nicht unbedingt erotisch und dennoch hatte sich meine Decke zum Zelt verformt. War das ihr Ordnungssinn?
Diese Frau... warum tat sie das, warum diese sexuellen Anspielungen, diese Versuche, mich in dieser Art und Weise zu beunruhigen? Dass sie nicht an Sexualpartnern interessiert war, für die sie nichts empfand, hatte sie mir ja schließlich gleich am Tag ihres Einzugs gesteckt, auch, dass es einige Zeit dauern würde, bis sie überhaupt nach dieser Negativ-Erfahrung mit ihrem Ehemann wieder an Männer denken konnte und wollte.
Warum spielte sie dann mit mir? Nicht, dass ich nicht daran Spaß hatte, unser kleiner Schlagabtausch, bei dem ich allerdings sehr deutlich den Kürzeren gezogen hatte, hatte mir sogar sehr viel Freude gemacht. Aber ging es ihr wirklich nur darum, spielen, um des Spielens willen? Waren Frauen so? Oder nur sie, Claudia?
Nein, sie war sicher nicht so wie viele andere, auch wenn mir direkte Vergleichsmöglichkeiten fehlten, so viel stand für mich fest. Sie war ungewöhnlich, etwas Besonderes. Mit einem ausgesprochen guten Literatur-Geschmack, das hatte ich ja... verdammt, ihr Buch, ich hatte es im Bad liegengelassen.
War sie schon dort? Angestrengt lauschte ich in die Dunkelheit hinein, hörte tatsächlich ihre Schritte im Flur, dann das Klappen ihrer Tür. Sollte ich das Buch jetzt noch holen? Eigentlich reichte es, wenn ich es vor dem Duschen in Sicherheit brachte, damit es von der Luftfeuchtigkeit nicht beschädigt wurde. Es musste reichen, mit dem Ständer konnte ich mich nicht vor die Tür wagen.
Ob sie wirklich so weit gehen würde... Oh mein Gott. Sie ging. Das war doch bestimmt nicht echt, das machte sie doch bestimmt nur, um mich aufzuziehen. Sollte ich vielleicht auch so tun, als ob, damit sie ihren Spaß hatte und dann morgen, wenn sie mich damit neckte, ätsch, bätsch machen? Oh Jammer, das klang sehr gut geschauspielert... und wurde immer lauter.
Und ich immer härter, das tat ja schon fast weh... Sie hätte eine Karriere beim Bund machen können, psychologische Kriegsführung, das ging ja auf keine Vorhaut... Kuhhaut... Freud hätte seine helle Freude an mir gehabt. Warum ich denn nicht auch? Mir doch egal, was sie jetzt dachte, dann rann an den Speck Kameraden. Auf der Stube in der Ausbildung war das auch manchmal so gewesen.
Genau, du wolltest den Vollalarm? Sollst du haben, sollst hören, wie schön mein Bett quietscht, wenn ich an dich und deine tollen Brüste... was red ich, geilen Titten... nein, grandiosen... oh... oh mein Gott... ist das... schön. Ist das... mmmh... oh... Mädel... was... oh... ist das... geil... verdammt... kann... nicht... bremsen... komme schon...
Projekt Immanuel
6:05. Erwachen. Oh Gott, war sie schon wieder dabei? Nein, das klang anders... als ob... ah, machten die nicht beim Yoga auch Atemübungen? Das würde es sein. Ja, alles ganz harmlos. Missmutig inspizierte ich meine inwendig verkrustete Schlafanzugshose. Harmlos war die Nacht nicht gewesen. Und lang. Sie hatte einfach nicht aufgehört. Und ich entsprechend nochmal angefangen.
Wie würde ich ihr bloß am Frühstückstisch in die Augen sehen können? Bloß schnell unter die Dusche. Heute wollte ich keine fünfundzwanzig Sekunden warten, eine kalte Dusche war genau was ich brauche. 6:08 und ich rasierte mich schon. Alles brachte sie durcheinander. Nein, mich brachte sie durcheinander.
Ah, kalt war eine absolut idiotische Idee. Das hat man davon, wenn man mit erprobten Routinen bricht. Es konnte nur böse enden. Verdammt, das Buch. Ich hatte das Buch vergessen. Schnell, noch bevor die Luft mit Feuchtigkeit geschwängert wurde. Den Bademantel über und ins Zimmer gebracht. Na, das ging doch alles unter einer Minute und ich musste mir nicht vorwerfen, ihr Buch ruiniert zu haben. Bademantel aus und... hatte ich die Dusche laufen lassen? Umso besser, dann würde es jetzt endlich warm sein.
Es war siedend heiß. Das hatte aber nichts mit dem Wasser zu tun. Das war offensichtlich sogar noch kalt, denn Claudia stand neben dem Wasserstrahl und hielt ihre Hand gerade prüfend darunter. Schaute mich mit schräggelegtem Kopf kurz an, lächelte vergnügt und musterte mich dann von oben bis unten.
"Jetzt wird es warm", meinte sie ganz ruhig. "Also warst du tatsächlich doch noch nicht fertig?"
"Ehm... nein", antwortete ich, war dann nachhaltig verblüfft, dass ich ein Wort mit Vokalen und allem Drum und Dran herausbekommen hatte.
"Das dachte ich mir fast. Darum habe ich die Tür auch offengelassen."
Was für eine nette Geste. Was für eine wunderbare Frau, offenherzig, einfühlsam, nackt...
"Du wolltest Gesellschaft?", versuchte ich, gelassen zu klingen. Genau. Zeig ihr deine Furchtlosigkeit vor dem Feind.
"Du kannst mir den Rücken einseifen", antwortete sie. "Komm doch endlich rein, du bist ja schon richtig steif gefroren."
"Vielleicht ist es gut, dass du das Studium abgebrochen hast. Deine diagnostische Fähigkeiten sind bis dato nicht wirklich überzeugend."
"Deine Hände schon. Dann darfst du auch den Rest einseifen... mach ruhig mit meinen grandiosen Brüsten weiter... und dann..."
Das Klopfen an der Tür schreckte mich aus dem Schlaf. Klopfen? Wer? Mein Bett... Das war... ein gottverdammter Traum?
"Immanuel? Es ist schon nach acht, wenn wir deinen Zeitplan für heute einhalten wollen, solltest du vielleicht doch langsam aufstehen", meinte sie sichtlich bester Laune, während sie den Kopf zur Tür reinsteckte. "Guten Morgen erstmal..."
"Oh, um Gottes Willen, ich habe verschlafen... Morgen..."
"Es ist Wochenende, dem Vernehmen nach hattest du heute Ausgang? Also nix verschlafen. Warum eigentlich, ich meine, warum hast du samstags geschlossen?"
"Lohnt sich nicht, ich habe an manchen Samstagen gerade mal zwei Kunden gehabt, am Samstag bleiben die Studenten aus. Das ist auch der Tag, wo ich beispielsweise für den Ankauf von neuen Büchern Nachlässe sichte. Ich werde mich beeilen, das kriegen wir alles hin."
"Hast du was Schönes geträumt?", fragte sie grinsend.
Ja, erinnere mich auch noch daran. Schnell das Bein anwinkeln, wenn das kein Schuss ins Blaue, sondern auf gute Augen zurückzuführen war.
"Das könnte man so formulieren."
"Musst du mir beim Frühstück erzählen. Ich bin ganz gut in Traumdeutung. Ich kann dir sicher sagen, was dahintersteckt."
"Der Traum war selbsterklärend. Ehm... bist du schon lange auf?"
"Nö, aber ich habe zumindest schon geduscht. Ich mach das Frühstück, hetzen brauchst du jetzt auch nicht. Auch wenn mich der Gedanke daran schon ganz hitzig macht."
Daran? Spielte sie damit auf die Nacht an? Wie war das, ich durfte sie alles fragen?
"Hitzig, weil..."
"Ich Baumärkte liebe, das habe ich dir doch erzählt. Los jetzt, quatschen können wir auch noch beim Frühstück. Sonst komm ich rein und ziehe dir die Decke weg. Hm, würde ich eine Überraschung erleben? Soll ich?"
"Untersteh dich. Und ich denke, dich kann nichts überraschen?"
"Dafür habe ich mich selbst immer in Reserve. Also los, Soldat, auf, auf, marsch, marsch."
Also gut, jetzt war sie weg. Verdammt, war das ein lebensechter Traum gewesen. Okay, das davor nicht. Dafür gab es zureichend krustige Beweise und verhärtete Taschentücher. Und im Bad lag tatsächlich das Buch. Das brachte ich jetzt wirklich vor dem Duschen in mein Zimmer. Und sperrte sorgsam ab.
"Du weißt also genau was wir brauchen?", wollte sie wissen, während sie in ihrem Kaffee rührte.
"Ja, ich denke schon. Wenn du jetzt hoffentlich wieder vom Baumarkt sprichst. Ich habe die Maße im Kopf, glaube ich. Du hast nur wenig Übergrößen. Dafür reservier ich dir ein Eckchen auf einem meiner Bretter."
"Oh, du hast meine Maße im Kopf? Von nur einmal hinsehen... erstaunlich. Hast du gut geschlafen?"
"Ehm.. durchaus."
"Und von mir geträumt? War der Traum deshalb selbsterklärend?", fragte sie mit undefinierbarem Gesichtsausdruck.
"Ich habe davon geträumt, dein Buch, was ich im Bad vergessen hatte, vor Stockflecken zu retten."
"War das vor oder nachdem du mich vernascht hast?"
"Soweit ist es nicht gekommen. Ich wurde brutal geweckt."
"Wieso, was hattest du denn gerade gemacht?"
"Dich eingeseift."
"Wir haben zusammen geduscht?"
"Auf deine Initiative hin. Wie du ja irgendwie alles initiierst. Außer unserem gemeinsamen Projekt."
"Das hast du doch gut im Griff. Ich greife dir dabei gern unter dir Arme. Und du hilfst mir bei meinem Projekt."
"Das wäre?"
"Ich darf nicht darüber sprechen, ich bin Geheimnisträgerin. Es läuft unter dem Codenamen Projekt Immanuel."
"Wie soll ich dich bei etwas unterstützen, von dem ich nicht weiß, worum es geht?"
"Ja, das muss frustrierend für dich sein. Du hältst dich aber sehr wacker. Wie war das in deinem Traum? War ich da ebenfalls zufrieden mit dir?"
"Du machtest den Eindruck und hieltst meine Hände für überzeugend", erinnerte ich mich.
"Oh... das glaube ich gern. Sie scheinen dir selbst ja auch einige Freude zu bereiten."
"Ich habe Grund zu der Vermutung, dass dir deine ebenfalls nicht gleichgültig sind."
"Eigentlich nur die linke, da habe ich mehr Gefühl drin. Deshalb kriegen Männer auch immer die rechte."
"Männer brauchen kein Gefühl?"
"Manche scheinen das zu glauben. Vor allem die Männer selbst. Wollen wir jetzt los?"
"Meinethalben. Vielleicht kannst du mir das ja verraten: Warum hast du dich auf das Projekt eingelassen?"
"Ich verstehe es als eine einmalige Gelegenheit. Es liegt mir am Herzen. Ich fühle mich berufen."
"Und ich fühle mich berufen, den Bio-Müll mit runterzunehmen. Hast du noch etwas, was du loswerden willst, vielleicht leere Umzugskisten? Wir haben einen Pappen-Container unten", setzte ich sie von den Möglichkeiten in Kenntnis.
"Die habe ich schon in den Keller gebracht. Es war ja ursprünglich erwartet worden, dass ich sie in absehbarer Zukunft noch einmal brauchen könnte. Warte, ich schließ ab."
"Macht es dich traurig, dass das von Tag zu Tag unwahrscheinlicher erscheint?"
"Es macht mir Sorge, dass ich keinerlei Traurigkeit oder Trauer mehr fühle. Und stattdessen so viele andere Sachen. Vertraute und neue."
"Warum macht dir das Sorge? Ist das nicht schön?", wunderte ich mich.
"Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass ich mich von den negativen Empfindungen dissoziiere, anstatt mich ihnen zu stellen. Und sie zu verarbeiten. Mich beunruhigen solche Sachen. Dich ja wohl eher andere."
"Täglich weniger."
"Das wiederum freut mich zu hören. Fehlt dir deine Mutter?"
"Meine Mutter? Nein... bevor du eingezogen bist, schon. Weil ich mit ihr gut reden konnte und den Alltag teilen und so etwas."
"Das ist eine rationale Begründung. Hast du bei ihrer Beerdigung geweint?"
"Ehm... nein. Jetzt verstehe ich, du vermutest, dass ich genau dasselbe tue, meine negativen Empfindungen nicht an mich heranlasse."
"Könnte das so sein?"
"Ich kann es nicht ausschließen. Ich werde darüber nachdenken müssen."
"Manchmal reicht Nachdenken nicht. Es kann den Zugang nicht verschaffen, oder nur sehr schwer."
"Und was wäre die Alternative?"
"Lese einfach den Dychtwald, der ist als Einführung in den Themenbereich eigentlich sehr gut. Emotionale Zustände graben sich in den Körper ein, erzeugen Verhärtungen und Verspannungen, Schutzhaltungen, Panzer. Körperarbeit kann diese lösen und die darunterliegenden Gefühle freisetzen. Das kann zum Teil dramatische Erfahrungen auslösen, wenn der Zugang zu ihnen ermöglicht wird. Beispielsweise durch Rolfing. Es ist einer Massage nicht unähnlich, aber viel tiefer, man manipuliert das Bindegewebs-Netzwerk. Leider stehen in Deutschland die Krankenkassen dieser Methode eher skeptisch gegenüber, bezahlen sie nicht und damit ist die Anzahl der wirklich qualifizierten Therapeuten, die sich dieser Methode bedienen, hier ziemlich gering. Ich habe diese Ausbildung allerdings genossen."
"Und du würdest das bei mir versuchen wollen?", fragte ich etwas alarmiert. War das ihr Projekt? Wollte sie mich therapieren?
"Erst, wenn du mir vertraust. Und vor allem willst."
"Ist Yoga für dich auch eine Therapieform?"
"Ja und nein. Es verstärkt mein Körperbewusstsein und reinigt meinen Körper und meinen Geist."
"Machst du eigentlich auch Atemübungen?"
"Ja, manchmal, wieso, wie kommst du darauf?"
"Jetzt wirst du lachen, es war Bestandteil meines Traums."
"Heute Morgen? Dann hast du eventuell nur im Traum verarbeitet, was du gehört hast, ich habe tatsächlich Atemübungen gemacht."
"Das wird es sein. So, da sind wir."
"Du musst auf mich aufpassen, bitte. Lass mich vor allem nicht in die Farbenabteilung. Am besten bindest du mich irgendwo fest, wenn meine Augen einen irren Glanz bekommen."
Das war tatsächlich kein Spruch. Sie war in ihrem Element und es kostete mich einige Mühe und Überzeugungskraft, ihr die gemeinsame Anschaffung einer Kreissäge auszureden, und uns stattdessen gleich dort einige Bretter zuschneiden zu lassen. Was für eine ungewöhnliche Frau.
Auch was ihre Fähigkeiten mit der Bohrmaschine anging, hatte sie nicht übertrieben. Überhaupt arbeitete sie ruhig und sicher und wir waren handwerklich schon nach kurzer Zeit ein tolles Team. Weit früher als erwartet konnten wir am Nachmittag unser gemeinsames Werk bestaunen und feiern.
Insgeheim hatte ich befürchtet, dass sie die Gelegenheit nutzen würde, wieder ihre Spielchen mit mir zu spielen und mir auf diese Weise unangemessene Schwellungen zu bescheren. Das tat sie nicht, obwohl wir oft genug sehr dicht nebeneinanderstanden und knieten. Sie erzählte mir ein wenig von ihren Eltern und Birgit, ihrer Schwester. Ich von meinen Eltern. Ansonsten konzentrierten wir uns nur auf die Arbeit.
"Ein herrlicher Anblick, nicht wahr?", kommentierte ich unser Meisterwerk auf das wir wirklich stolz sein konnten. "Und der Geruch. Ich liebe den Geruch von Naturholz."
Sie lächelte und fuhr mit der Hand über ein Regalbrett.
"Es fühlt sich auch toll an. Wollen wir gleich einräumen, oder eine Pause machen?"
"Du möchtest gerne die Kisten aus deinem Zimmer kriegen, versteh ich. Wie du willst. Es ist halb sechs... ich könnte dir beim Rübertragen noch helfen und dann räumst du ganz in Ruhe ein, während ich mich ums Kochen kümmere."
"Oder wir machen es gemeinsam und gehen heute zur Feier des Tages mal Essen. Kennst du den kleinen Italiener um die Ecke? Der hat ganz hervorragende Pasta-Gerichte, aber auch anderes."
"Das ist allerdings ebenfalls eine gute Idee. Und ich kenne ihn tatsächlich noch nicht, ich bin seit meiner Bundeswehrzeit noch nicht wieder Essen gegangen. Alleine macht das auch nicht wirklich Spaß."
"Ja, zu zweit ist vieles schöner. Hm... vielleicht sollten wir vorher nochmal unter die Dusche. Wir haben beide vor allem beim Raufschleppen ganz schön geschwitzt", gab sie mit einem neutralen Gesichtsausdruck bekannt.
Aha. Schonzeit zu Ende. Sie wusste natürlich genau, was das für Assoziationen in mir auslöste.
"Du kannst es nicht lassen...", kommentierte ich ihren erneuten Einstieg ins Spiel.
"Was meinst du? Hygiene ist wichtig, hat mir jemand erzählt, dem ich da völlig vertraue."
"Dein Vertrauen ehrt mich. Gut, dann lass uns ranhauen. Und ich lass dir dann den Vortritt unter der Dusche", versuchte ich mich herauszuwinden.
"Du bist echt ein Kavalier der alten Schule. Der offenbar noch nicht so weit ist, seine Träume wahr werden zu lassen...", gab sie schmunzelnd zurück, als wir in ihr Zimmer wanderten.
Oh? Kein Rückzugsgefecht? Das hatte sie doch aber wohl ohnehin nur so dahingesagt, oder nicht? Was, wenn nicht? Verdammt, das würde mich jetzt einige Zeit beschäftigen. Wie machte sie das nur? Sie brachte mich so mühelos zum Schwingen, es war unglaublich. Minimaler Aufwand, maximales Ergebnis. Totale Effizienz. Bewundernswert. Und sie lockte mich damit aus der Reserve.
"Bedauerst du das?", fragte ich vorsichtig, als wir mit je einer Kiste bewaffnet auf dem Weg zu unserer Bibliothek waren.
"Dass du noch nicht soweit bist? Nein, keineswegs. Selbstfindung ist kein Wettkampf, kein schneller, höher, weiter. Es ist ein Prozess, der seine eigene Zeit braucht, seine eigene Dynamik entwickelt. Überlege doch mal, wieviel näher du dir selbst in der vergangenen Woche bereits gekommen bist. Und im Zuge wir uns."
"Also ist das dein Projekt? Dass ich zu mir selbst finde?"
"Vielleicht auch nur ein Teil davon. Ich bin wie gesagt zu Stillschweigen verpflichtet."
Sie hatte natürlich völlig Recht. Die Veränderungen, die ihre Anwesenheit und der Umgang mit ihr auch und gerade in mir ausgelöst hatten, waren wirklich erstaunlich. Mir wurde in diesem Moment klar, dass ihre Spielchen viel an meinem Kopf vorbei mich direkt emotional ansprachen und ich einfach reagierte, natürlich reagierte. Und nicht nur die.
"Okay, jetzt die letzte", riss sie mich aus meinen Gedanken, nachdem wir eine Kiste nach der anderen ausgepackt und in ihrer Seite des Regals untergebracht hatte.
"Ja, die großen Bände leg ich erstmal nur flach hin, die arrangiere ich dann mit meinen sinnvoll."
"Nur dass du jetzt keine Angst bekommst... die feministische Literatur stammt aus einer bestimmten Phase meines Lebens. Für den Fall, dass du Titel erkennst."
"Die meisten davon habe ich selbst", gab ich lächelnd bekannt. "Wobei meine Sammlung vermutlich sogar etwas umfangreicher ist."
"Stimmt ja, die rätselhafte Claudia und ihre Folgen", erinnerte sie sich. "Davon hattest du mir erzählt."
"Diese Literatur hat einiges in Bewegung gesetzt... nicht nur bei mir. Nicht nur positiv."
"Was meinst du damit?"
"Nun, die empfindsameren Männer sahen sich Forderungen ausgesetzt, denen sie versuchten zu entsprechen und nicht konnten, ohne sich dabei zu verlieren. Es hat eine ganze Generation von Männern verunsichert, wie eine Waage, wo auf der anderen Seite auf einmal mehr Gewicht war, rationale, logische Argumente, denen sich viele nicht verschließen konnten und wollten. Viel Kritik, die angenommen wurde, weil sie zutreffend war. Wenig Vorschläge, wie ein Mann denn idealerweise zu sein hätte, verstehst du? Ich war nicht der Einzige, der irgendwann frustriert aufgegeben hat. Während ich mich einfach komplett aus der Sache rauszog, scheiterten andere so gründlich, dass sie wieder in die andere Richtung schwangen. Bis sich dann alles langsam von selbst austarierte."
"Du bist der Ansicht, das Gleichgewicht wäre nun hergestellt?"
"Nein, sicher nicht. Wobei ein Stillstand vielleicht nicht einmal wünschenswert ist, oder möglich. Ich denke jede Zeit hat ihre besonderen Erfordernisse, wo das Schwingen in die eine oder andere Richtung mehr Sinn macht."
"Das ist faszinierend, weil das genau meine Einschätzung ist. Du siehst das aber nur auf der gesellschaftlichen Ebene, nicht wahr?"
"Wie sollte man das sonst sehen?"
"Nun, auf der persönlichen Ebene. Ich greife jetzt deiner Lektüre vor, aber das ist ein Konzept, was dir bald immer öfter über den Weg laufen wird... jeder Mensch hat eine männliche und eine weibliche Seite..."
"Ach, du meinst diese Yin Yang Geschichte, aus der östlichen Philosophie?"
"Auch, aber nicht nur. Das ist kein philosophisches Konzept, es ist eine Tatsache. Dokumentiert sich beispielsweise auch an unseren Körpern, das wirst du ja hoffentlich bald lesen. Warte..., ich zeige es dir mal an einem schönen Beispiel."
Sie holte ein Buch aus der Kiste.
"Was ich dir nebenbei auch als Lektüre empfehle. Aus anderen Gründen...", gab sie mit einem hintergründigen Lächeln bekannt. Ich schaute auf das Cover, wo eine Frau mit kurzem blonden Haar lächelnd die Hände in die Hüften gestützt hatte. Nancy Friday. "Women on top".
"Wieso, was ist das?", wunderte ich mich.
"Eine Sammlung sexueller Fantasien von ganz normalen Frauen. Aber darum geht es wie gesagt jetzt nicht. Schau dir mal ihr Gesicht an. Fällt dir irgendetwas Besonderes auf?"
Ich betrachtete sorgfältig das Gesicht der abgebildeten Frau, konnte aber nichts Außergewöhnliches entdecken, außer dass sie recht selbstbewusst wirkte und grinste.
"Nein, nicht wirklich."
"Genau. Schau mal jetzt", meinte sie und deckte die linke Hälfte mit einem anderen flachen Band ab. "Und jetzt", während sie das Buch auf die andere Seite verschob. Verblüffend. Zwei völlig unterschiedliche Gesichtshälften. Eine sah deutlich weicher und femininer aus, die andere hatte tatsächlich eher maskuline Züge. Ich griff nach dem Buch, dass sie zum Abdecken benutzt hatte und vollzog das noch einige Male nach. Faszinierend.
"Bei ihr sieht man das sehr schön, aber man kann das bei vielen, die beide Seiten ihrer Persönlichkeit auch leben und sich nicht in einer davon einkerkern, in mehr oder weniger deutlichen Ausprägungen sehen."
"Das ist wirklich interessant. Warum nehmen wir es aber nicht wahr, wenn wir sie ohne diese Trennung sehen? Da wirken ihre Züge eigentlich sehr harmonisch."
"Das siehst du völlig richtig. Da macht unser Bewusstsein etwas Interessantes... es stellt dir ein Gesamtbild zu Verfügung, wo es die eine oder andere Hälfte so vervollständigt, wie die, die dich in dem Moment mehr anspricht. Sagen wir, du triffst diese Frau und ihre intellektuellen Kapazitäten beeindrucken dich. Du wirst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihr Gesicht mehr von maskulinen Zügen dominiert sehen. Wenn dich ihre Emotionalität anspricht, das genaue Gegenteil."
Stimmt, diese Tendenz der Autovervollständigung war mir in der psychologischen Literatur schon öfter begegnet, wie beim Kindchen-Schema und ähnlichem. Wow. Langsam konnte ich ihre Faszination und Beschäftigung mit diesem Themenkreis nachvollziehen.
"Wie gesagt, fang mit dem Dychtwald an, dann kannst du dich durch diese Reihe hier durcharbeiten, wenn es dich weiter interessiert. Die hast du übrigens thematisch perfekt eingeräumt, ohne dass ich dir das vorgegeben habe. Die Werke von Alexander Lowen, da geht es los und dann bis runter zu dem Taschenbuch von Feldenkrais."
"Du hattest sie sicher ähnlich in deiner alten Wohnung stehen, das ist nicht wirklich meine Leistung... aber da hast du meine Neugier jetzt wirklich geweckt, das klingt hochinteressant."
"Wie gesagt, nimm dir die Friday ruhig mit aufs Zimmer. Nicht nur ihr Gesicht ist interessant. Auch wenn es hier wieder um den anderen Themenkreis geht, an den ich dich gerne heranführen möchte."
Neugierig blätterte ich ein wenig durch das Werk und las eine kurze Passage. Hoppla. Das war... richtig explizit. Und nicht weniger interessant. Da hatte sie völlig Recht.
"In Ordnung, auch damit werde ich mich beschäftigen. Danke", gab ich dem neben einer leichten Erregung dominierenden Gefühl Ausdruck. Sie stand ganz dicht neben mir und lächelte fein. Dann tat ich etwas für mich selbst Überraschendes. Ich umarmte sie kurzerhand und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange. "Für alles."
Und erlebte im gleichen Moment zum allerersten Mal das Gefühl, dass sie ganz genau verstand, was ich damit ausdrücken wollte, dass wir zum allerersten Mal auf einer Ebene miteinander kommunizierten, die absolut nichts mit Worten oder Rationalität zu tun hatte. Intuitiv erfassten, was den anderen bewegte und zum Ausdruck brachte.
In meinem Fall wirklich eine tiefe Dankbarkeit, Vertrauen und Zuneigung. In ihrem Freude darüber, über diesen Durchbruch, aber ebenso Vertrauen und Zuneigung. Nicht mehr. Hier war kein Zweck, kein Hintergrund, kein um zu. Es war einfach ein natürlicher, authentischer Ausdruck dieses Gefühls einer Bewegung, aufeinander zu. Die aber auch die moderat schnelle Auflösung diktierte, weil die Situation nur dies natürlich und in sich selbst rund geschlossen erscheinen ließ.
"Du machst es mir nicht leicht", setzte ich an, was sie die Stirn krausen ließ.
"Was meinst du?"
"Du versorgst mich mit wirklich interessantem Lesestoff und darüber hinaus einer Menge von Dingen, über die ich nachdenken muss. Aber gleichzeitig mit dem Bedürfnis, möglichst jede Minute mit dir zu verbringen, mich mit dir zu unterhalten, auszutauschen, zu essen, zu lachen, zu trinken, deine Nähe zu fühlen, sogar... mich von dir beunruhigen zu lassen."
"Das ist ein Dilemma, das verstehe ich. Und das ist erst der Anfang. Wie das, was gerade geschehen ist. Du kommst aus dir heraus", sagte sie und lächelte sanft. "Gut, wollen wir deine Bücher rüberbringen? Wir könnten sie in meine Kisten packen, dann brauchen wir nicht so oft zu laufen."
"Du steckst voller guter Ideen. Ja, das machen wir so. Und ich denke, ich kann mich revanchieren, zumindest was Lesestoff-Empfehlungen betrifft. Ich glaube langsam einschätzen zu können, was dich interessieren... und vielleicht auch weiterbringen könnte."
"Gern, da bin ich gespannt."
Wir wechselten in mein Zimmer und packten die Bücher schon vorsortiert in die Kisten, die sich so zwar nicht optimal füllen ließen, aber meine vorhandene Grundordnung für den neuen Standort erhalten würde.
"Denk aber dran, dass ich auch und sehr gerne etwas von dir lesen würde", reagierte sie auf eine weitere Literaturempfehlung meinerseits.
"Oh... das kann natürlich nicht mit solchen Werken hier mithalten. Aber, ja, ich suche dir was raus. In vielen Fällen wirst du die erste sein, die es liest. Ich habe bis jetzt jedes Publikum gemieden, vieles ist auch sehr persönlich, oder gibt eine Menge über mich preis. Das stört mich in deinem Fall überhaupt nicht, im Gegenteil, es ist mir sogar ein Bedürfnis."
Sie lächelte sanft. Langsam fing ich an, aus ihrem Lächeln auf ihren emotionalen Zustand schließen können. Das gerade war reine Freude. Man konnte dann förmlich sehen, wie ein anderer Gedanke am Horizont aufzog.
"Hast du eigentlich auch erotische Geschichten verfasst?"
"Oh... nein. Nicht wirklich. Es gibt... ein paar Stellen, in einer längeren Kurzgeschichte, wo die Fantasie etwas mit mir durchging. Das... ist wahrscheinlich für jemanden der diese Dinge realiter erlebt hat... vermutlich ein fragwürdiges Vergnügen... oder auch einfach nur zum Totlachen."
"Die dann auf jeden Fall. Wie du weißt, lache ich für mein Leben gern. Aber bin mir ziemlich sicher, dass es nicht dazu kommen wird. Und wer weiß, vielleicht bringt dich Nancy Friday auch auf den Geschmack, selbst etwas in dieser Richtung zu versuchen."
"Hm. Wir werden sehen. So, schau mal, diese Reihe hier. Das sind die größten Denker westlicher Philosophie. Ich denke am besten ist, mit dem Brückenschlag zu der dir vertrauten zu beginnen. Und damit gleich auch dem vielleicht genialsten Denker der nahen Vergangenheit: Heinrich Rombach."
"Sagt mir jetzt erstmal nichts."
"Ein Schüler Heideggers, der dessen Gedanken aber nur als Ausgangspunkt für eine völlig eigene und völlig eigenständige Philosophie genutzt hat, Phänomenologie ist es auch, neu und einzigartig ist sein Strukturgedanke. Die Schlüsse und Schritte die sich aus alle dem ergeben, bringt ihn aus dieser völlig anderen Herangehensweise heraus in die Nähe der östlichen Philosophie, er stand in regem Austausch mit Vertretern der Zen-Philosophie, Suzuki und anderen. Daher spreche ich vom Brückenschlag, denn das wurde auch von den beiden so empfunden."
Ihr Finger glitt über die Buchrücken, bewies einmal mehr ihre taktile Ausrichtung.
"Mit welchem davon fange ich an? Das sind ja eine Menge."
"Mit "Substanz, System, Struktur". Darin hat er sein Denken erstmals entwickelt. Den Grundstein gelegt. Und sich dann in fantastische Höhen gearbeitet. Wie gesagt, jeder der dort stehenden Denker hat Außergewöhnliches gedacht oder geleistet. Rombach übersteigt sie alle, indem er ihre Gedanken weiterführt und Horizonte eröffnete, die andere nicht mal erahnen konnten. Dazu seine sprachliche Präzision... die findet man sonst nur bei Kant und Heidegger in dieser Form."
"Was dich so sehr erregt und begeistert, muss ja richtig gut sein... alles klar, dann fange ich damit an. Recht umfangreich... zwei Bände... aber wir haben ja Zeit. So löst sich vielleicht irgendwann dein Dilemma, was übrigens dann wahrscheinlich meins in gleicher Weise werden würde. Wir verbringen einfach Abende auf dem schönen Sofa zusammen, trinken dabei Wein und lesen was Schönes. Das lässt sich schon alles wunderbar miteinander verbinden."
"Das klingt himmlisch", entfuhr es mir, dann stimmte ich in ihr einsetzendes Lachen ein. Wann hatte ich das letzte Mal so befreit gelacht? Begleitet von einem Gefühl reiner und tiefer Freude?
Die Antwort war ganz einfach. Vielleicht als Kind. Als Erwachsener noch nie. Noch nie war ich jemanden wie ihr begegnet. Noch nie war so etwas mit einem anderen Menschen möglich gewesen.
"Das waren nun alle, nicht wahr? Und noch Platz für die Zukunft... wunderbar. Es soll hier nämlich ein gutes Antiquariat in der Nähe geben. Dann jetzt Duschen und Essen gehen? Ich kriege langsam wirklich Hunger...", gab sie bekannt.
"Ja, ich merke es langsam auch. Wir waren wirklich fleißig, kein Wunder also. Wie gesagt, du darfst zuerst. Aber erst bekommst du noch ein Kompliment..."
"Oh? Ich bin ganz Ohr..."
"Man merkt, dass du Bücher liebst. Kein Stäubchen darauf, keine Eselsohren, keine Kaffeeflecken. Lach nicht, das ist ein sicheres Indiz, dass sie dir etwas bedeuten, dass du eine besondere Beziehung zu ihnen hast. Dass du weißt, was für Schätze du da in den Händen hältst. Das ist ein unglaublich attraktiver Charakterzug für mich..."
"Und eine weitere Gemeinsamkeit, das willst du doch damit sagen?"
"Ja, genau."
"Und nicht das Einzige, was du attraktiv an mir findest?"
"Keineswegs. Da wären zum Beispiel deine grandiosen Brüste...", versuchte ich mich mit einer albernen Bemerkung gegen die Erkenntnis zu wehren, dass ihre Attraktivität mittlerweile so umfassend war, dass sie mich völlig überwältigten konnte, wenn dies nicht sogar schon geschehen war.
"Oh... ja, dann verrate ich dir gern ein Geheimnis", meinte sie mit verschwörerischer Miene und trat ganz dicht an mich heran. "Der Rest ist sogar noch spektakulärer", hauchte sie mir ins Ohr.
Daran gab es für mich keinen Zweifel. Sie grinste kurz, als sie mich verdutzt und verwirrt zur Salzsäule erstarrt in unserem nun gemeinsamen Gedanken-Pool zurückließ, mit klopfendem Herzen. Nein, ich stellte mir den Rest nicht vor, das war es nicht, was mich verwirrte. Es war der Gedanke, der mir durch den Kopf geschossen war. Der eine Gewissheit, keine Hoffnung war. Nämlich, dass ich dies bald von eigenem Augenschein bestätigen könnte. ___
Das Essen war wirklich lecker, zudem hatte das Restaurant eine tolle Atmosphäre, wirkte authentisch italienisch. Inklusive dort anwesenden italienischen Großfamilien, die sich lebhaft und in einiger Lautstärke miteinander unterhielten. Eine wunderbare Sprache, die ich mir immer schon vorgenommen hatte zu lernen. Mit meinem Latein von der Schule würde mir das eventuell sogar nicht besonders schwerfallen.
Und dann Claudia, die alles überstrahlte, für mich der Fokalpunkt dieser Erfahrung war, die ich wie ein Schwamm aufsaugte. Ihre Gesten, ihr blitzendes Lächeln und Lachen, ihre geistreichen, warmen und manchmal auch wieder herrlich schlüpfrigen Kommentare und Statements. Ihre Augen, die mich mehr und mehr verzauberten.
Sie hakte sich bei mir auf dem Rückweg ein, während wir auch durch reichlich genossenen guten Wein in gelöster Stimmung nachhause marschierten. Unserem Zuhause. Wie wunderbar das doch war.
"Und was fangen wir mit diesem angebrochenen Abend weiter an?", erkundigte ich mich nach ihren Plänen, als wir unsere Jacken auszogen und an der Garderobe anhängten.
"Es war ein wunderschöner, aber auch sehr anstrengender Tag, findest du nicht?", kam ihre Antwort, die bei mir schon eine leichte Enttäuschung auslöste. Wollte sie sich etwa schon zurückziehen?
"Wohl für uns beide ungewohnte körperliche Arbeit und müde Muskeln. Daher hätte ich einen Vorschlag für dich", setzte sie jedoch schnell fort. "Ich biete dir an, dir den Rücken zu massieren. Keine Angst, ich werde nicht heimlich versuchen, Rolfing-Techniken einzustreuen, eine ganz einfache Massage, das kennst du doch sicher aus deiner Sportler-Zeit?"
"Da überschätzt du den Grad der Betreuung, wenn man nicht zur absoluten Spitze zählt und entsprechend gefördert wird. Ich war auch nur bis zum Jugendbereich aktiv. Nein, da bin ich nie in den Genuss einer solchen gekommen."
"Dann wird es Zeit. Und um dich da gleich zu beruhigen: Das ist jetzt kein Versuch, dich zu verführen, oder sexuell zu stimulieren. Wobei du dir keine Sorgen machen solltest, wenn du doch manchmal eine gewisse Erregung dabei fühlst, das ist nicht ungewöhnlich, völlig natürlich sogar. Nein, ich möchte dir einfach nur helfen, dich zu entspannen, dich körperlich wohl zu fühlen, nicht mehr und nicht weniger."
Das klang ebenfalls himmlisch. Das sagte ich allerdings nicht. Sondern knüpfte wieder an unsere kleinen Wortgefechte an, die uns wohl beiden so viel Freude bereiteten.
"Von wegen, du willst doch nur wieder meinen Luxuskörper bewundern, glaub bloß nicht, dass mir entgangen ist, wie gut er dir gefällt."
"Oje, erwischt. Das macht dann zwei, deine Blicke sind mir ebenfalls nicht entgangen. Das ist also ein Ja? Prima, dann lass dich mal von meinen Händen bewundern. Du wirst feststellen, dass auch ich damit sehr überzeugend sein kann. Dann komm bitte mit in mein Zimmer, wir brauchen eine feste, aber bequemen Unterlage, die ich mit meinen Sitzkissen am besten herstellen kann."
Ich nickte und folgte ihr auf ihr Zimmer, setzte mich auf ihr Bett und sah ihr zu, wie sie die Sitzkissen in der gewünschten Form arrangierte. Darüber legte sie dann wieder mehrere dieser indisch anmutenden Baumwolltücher, von denen sie einen unerschöpflichen Fundus zu besitzen schien.
"Hast du die aus Indien mitgebracht?", sprach ich sie direkt darauf an.
"Ja, manche, nicht alle. Es gibt in der Nähe einen indischen Laden, wo man neben Lebensmitteln auch so etwas kaufen kann. Auch einer dieser Läden, wo man mich am besten nicht alleine hineingehen lässt. Bei meinem letzten Besuch kam ich unter anderem mit einem 10 kg Sack Basmati Reis raus, spottbillig und in einer Qualität, die man in Supermärkten hier nicht findet. Die isst man allerdings nicht so schnell weg, irgendwann fanden wohl auch diverse Tierchen Geschmack daran und ich musste 2/3 davon wegschmeißen. Dann mach mal deinen Luxuskörper frei und leg dich hin."
"Ehm... doch wohl nur meinen Oberkörper, oder?"
"Nein, natürlich alles, damit ich endlich die Validität der Aussagen über deinen Schwanz überprüfen kann", kriegte sie noch mit einem echten Pokerface raus, bevor sie dann in Gelächter ausbrach, als sie meine Reaktion sah. "Oh, ich liebe es, wenn du wie ein verschrecktes Reh aussiehst. Du kannst deine Hose ruhig anlassen, mache sie aber bitte auf, damit wir sie ein wenig runterziehen können, der Bund ist relativ hoch... ich komme sonst nicht vollständig an die Muskelpartien des unteren Rückens heran. Du liebst diese Cordhosen, nicht wahr?"
"Ja, sie sind warm und bequem. Nicht unbedingt modisch, aber zweckmäßig. Reicht das so?", fragte ich, nachdem ich die Hosen etwas nach unten gezogen und mich schnell auf den Bauch gelegt hatte.
"So ist das prima. Den Kopf gerade nach vorn, die Arme entspannt seitlich neben den Körper", wurde ich angewiesen, während Claudia sich mit einer Sammlung verschiedener kleiner Fläschchen beschäftigte und in einer leeren dann etwas zusammenmixte.
"Oh, du stellst das Öl selbst her?"
"Ich mische es, Grundlage ist Jojoba, dann mische ich aber Duftöle je nach Einsatzzweck dazu, also ob es entspannend, revitalisierend oder sexuell stimulierend wirken soll. Man kann schließlich sehr unterschiedlich massieren."
"Und in diesem Fall..."
"Wird es entspannend werden, keine Bange. Vertrau mir einfach", fügte sie grinsend hinzu und zog sich ihren Pullover über den Kopf. Und beömmelte sich über meinen betretenen Blick.
"Ich massiere grundsätzlich mit freien Unterarmen, schon allein um kein Öl dranzukriegen. Meine grandiosen Brüste kriegst du nicht zu sehen, tut mir leid, ich lass das T-Shirt an. Außerdem wirst du mich eh gleich nicht mehr sehen... aber umso mehr fühlen. Warte, ich schalte die Heizung noch höher."
Mir war allerdings alles andere als kalt. Dafür hatte schon dieser kurze Moment gereicht, wo ich im Ungewissen über ihre Intentionen gewesen war. Wie es nun weiter ablaufen würde, war mir auch nicht hundertprozentig klar, sie postierte sich hinter mir, also konnte ich nicht mehr sehen, was sie tat. Überrascht war ich daher total, als ich ihren Griff an meinem rechten Fuß bemerkte.
"Schön lockerlassen. Ich richte deinen Körper aus, ziehe dich sozusagen gerade", erklärte sie. Das tat sie dann ebenfalls an meinem linken Fuß und beiden Händen. Ich hörte ein reibendes Geräusch und wie sie nebenher offenbar eine dieser Atemübungen machte.
"So, jetzt sollten meine Hände warm genug sein, wenn nicht, schrei einfach, aber versuche möglichst die Lage dabei nicht zu verändern."
"Ich werde mir Mühe geben."
Ich spürte, wie sie Öl an mehreren Punkten auf meiner Wirbelsäule auftropfte. Dann, wie sie sich auf mein Gesäß setzte. Ihre Hände waren in der Tat wunderbar warm, als sie begann, das Öl auf meinem Körper zu verteilen.
"So, bevor ich richtig anfange, werde los, was du loswerden möchtest. Für die Dauer der Massage möchte ich absolute Stille. Versuch möglichst auch, deinen Geist zu beruhigen und dich auf deinen Körper zu konzentrieren. Versuche nicht, dich willentlich zu entspannen, um mich zu unterstützen, das funktioniert nämlich eh nicht. Noch irgendwelche Fragen?"
"Ja. Gefällt dir mein Rücken auch? Du hattest ja bis jetzt nur eine Frontalansicht."
"Er sieht nach einer Menge Arbeit aus, du bist ganz schön muskulös. Da werde ich richtig heftig kneten müssen. Davon ab, ja, du griechische Statue, auch dein Rücken kann entzücken. Das wolltest du doch wohl hören, oder?"
"Dabei sieht der Rest noch viel spektakulärer aus", drehte ich den Spieß von vorhin um, bevor mir die Luft wegblieb, weil sie mich mit beiden Handballen gleichzeitig von den unteren Muskeln aufwärts in die Kissen presste.
"Mag alles sein. Hm, vielleicht meinte die Dame aber auch nur, dass du hart wie Marmor bist. Gute Güte, das habe ich in dieser Form allerdings auch noch nicht erlebt. Okay, alles geklärt? Dann ist jetzt Funkstille. Genieße es einfach."
Das war gar nicht so einfach. Was nicht daran lag, dass mich der weiche, warme weibliche Körper auf mir erregte, denn dazu kam es erst einmal nicht. Was sie mit meinem Rücken anstellte, war nämlich alles andere als zärtlich. So hatte ich mir die Massage nicht vorgestellt. Sie presste, walkte, knete und klopfte an meinem "Panzer", dass mir Hören und Sehen verging.
Erst nachdem dieses erste Früchte trug, und zumindest die äußeren Muskelpartien weicher und durchlässiger wurden, ging sie zum Reiben und sanfteren Berührungen über. Und es wurde so himmlisch, wie es mir erhofft hatte. Es schien aber einige Punkte zu geben, denen sie besondere Aufmerksamkeit schenkte, in dem sie vorsichtig um sie herum arbeitete und dann mit den Daumen gezielt länger anhaltenden Druck ausübte.
Ich merkte sehr wohl, dass sich dort "Knoten" befanden, wie sie diese später nannte, wo ich öfter auch mach Schmerzen verspürt hatte, wenn ich länger gesessen hatte, oder im Sitzen eingeschlafen war, was vor ihrer Ankunft gar nicht selten vorgekommen war. Diese Knoten lösten sich nach und nach in ihren magischen Händen, passten sich der allgemeinen und schlicht vollkommenen Entspannung an.
Sie arbeitete mit einer Engelsgeduld weiter an meinem wirklich verspannten Nacken, was an diesem Tag mit der Arbeit zusammenhing, und meinen Schultern weiter, ließ auch meine Arme und, zu meiner Überraschung, selbst meine Hände nicht aus. Dabei veränderte sie oft ihre Position, kniete seitlich neben mir, auch vor mir und für einige Aktionen stand sie mit gespreizten Beinen über mir.
Erst als ich den Eindruck hatte, ihr Ziel hätte sie erreicht, gab es ein da Capo, dass es in sich hatte. Sie nahm wieder auf meinem Gesäß Platz und verteilte ein weiteres Mal Öl auf meinem Rücken. Ich hatte sehr wohl gefühlt, dass sie zuvor sehr sparsam damit umgegangen war, damit die Friktion und daraus resultierende Wärmeentfaltung ihren sicherlich harten Kampf unterstützen.
Nun war es nur noch ein sanftes Gleiten über meinen Körper, was sich unglaublich gut anfühlte und, was ich sehr schnell spürte, eine sehr sinnliche Komponente hatte. Ich hatte den Eindruck sie verschob Energien in nun freigelegten Bahnen, mit langen, unaufhörlichen und ununterbrochenen Bewegungen, ein sanfter Fluss.
Der viel zu schnell endete. Ich musste aber eingestehen, dass die gesamte Massage bestimmt eine Stunde gedauert hatte. Das himmlische Gefühl klang jedoch noch nach, als sie von mir abstieg und meinen wirklich vollständig entspannten Rücken mit einem dieser Tücher abdeckte.
"Bleib jetzt einfach eine Weile still liegen, versuche dich möglichst nicht zu bewegen und genieße das Gefühl. Du kannst aber jetzt deinen Kopf zu Seite drehen, wenn du möchtest."
Was ich tat und sie damit in mein Gesichtsfeld bekam. Sie wischte sich gerade überschüssiges Öl von ihren Händen und sah mich prüfend an.
"Ach so, du kannst jetzt natürlich auch gerne sprechen. Und? Wie hat es dir gefallen?"
"Wahnsinn, absolut himmlisch. Na, nicht der Anfang, da hast du mich ein paarmal kurz vorm Schreien gehabt. Du hast ganz schön Kraft, nicht wahr?"
"Passt nicht zu deinem Bild von der schwachen Frau, nehme ich an. Ja, das war Schwerstarbeit, aber ich hoffe, die hat sich gelohnt."
In der Tat sah sie verschwitzt aus, eine vorwitzige Haarsträhne klebte richtig an ihrer Stirn, ihr Gesicht war leicht gerötet.
"Absolut, du hast echt magische Hände. So entspannt habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Aber du siehst wirklich erschöpft aus."
"Das bin ich auch, aber mach dir darüber keine Gedanken."
Die machte ich mir aber doch. Und hatte plötzlich eine Eingebung.
"Und wenn ich mich revanchiere? Dich auch etwas massiere? Ich habe natürlich keinerlei Vorerfahrung oder Wissen um Techniken..."
Sie sah mich überrascht an.
"Oh... ja, warum nicht, das ist eine gute Idee. Aber nicht gleich, das ist jetzt erst einmal dein Moment, koste ihn aus. Bei mir brauchst du nebenbei nicht so hart zu arbeiten, ich verspanne nicht so leicht. Es wäre mehr, mir die Müdigkeit aus den Muskeln zu schieben. Ich zeige dir dann schnell ein paar Handtechniken, die dafür geeignet sind, aber kannst selbstverständlich auch experimentieren."
"Gerne. Und für eine schwache Frau habe ich dich noch nie gehalten, nur um das klarzustellen. Aber du hast richtig Kraft..."
"Das täuscht etwas, ja, die habe ich zwar auch, aber ich arbeite viel mit Gewichtsverlagerung auf die Hände, das kommt dir dann so vor, als ob ich manche Bewegungen mit reiner Armkraft abwickle, aber in Wahrheit ist es hauptsächlich Technik", meinte sie mild lächelnd. "Und Hingabe."
Sie schien eine Weile nachzudenken und lächelte dann.
"Okay, dass du mich nicht als schwach eingeschätzt hast, glaube ich dir auch ohne weiteres. Jetzt verrate ich dir noch ein kleines Geheimnis. Das ist, was ich besonders an dir schätze, dass du mir relativ vorurteilsfrei gegenübertrittst. Nicht frei von Ängsten, aber frei von vorgefassten Meinungen über Frauen und dabei mit einer fast kindlichen Neugier."
"Nun, mein Erfahrungsschatz ist wie du weißt eher dürftig", gab ich zu, wobei ich nicht wusste ob ich mich über das kindlich ärgern oder freuen sollte. "Ganz frei von Vorurteilen war ich aber sicher zu Beginn nicht. Ich habe dich erst einmal in die New-Age-Ecke gesteckt und vor deinen Räucherstäbchen gefürchtet."
Sie lachte fröhlich.
"Fürchte dich nicht, ich hab zwar sicher noch irgendwo welche, aber bestimmt seit fünf Jahren keine mehr abgebrannt und da war es auch nur auf dem Klo, um den Gestank meines werten Gatten rauszukriegen. Den Halter habe ich aus Indien, er ist einfach wunderschön gearbeitet und ein Erinnerungsstück. Nein, mit New Age habe ich wirklich nicht viel am Hut, wie du vielleicht gemerkt hast interessieren mich mehr wissenschaftlich fundierte und praktisch erprobte Ansätze, denn Wortgeläut und Schwingungen aller Art."
"Also bist du im Gleichgewicht, zwischen Emotionalität und Rationalität, weiblicher und männlicher Seite?"
"Im Gleichgewicht sicher noch nicht, aber ich versuche dorthin zu gelangen, ja. Es ist ein langer, schwieriger Prozess und dieses Pendeln, der Situation angemessene Pendeln macht eine richtige Selbsteinschätzung gar nicht einfach, insbesondere wenn man kein echtes Feedback bekommt. Was leider in meiner Ehe der Fall war."
"Wie meinst du das?"
Sie seufzte leise.
"Das ist ein ziemlich umfangreicher Themenkomplex, das können wir gerne mal zu einer anderen Zeit besprechen. Du wirst lachen, aber jetzt reizt mich mehr dein Angebot, mich zu massieren. Mich gut zu fühlen. Erinnerungen an meine gescheiterte Ehe würden deine Aufgabe sicher nicht erleichtern."
"Gern. Darf ich mich denn jetzt aufrichten?"
"Ja, aber langsam, du bist diese Art von Entspannung nicht gewöhnt. Dreh dich erst einmal auf die Seite und komm dann langsam hoch."
Ich folgte ihrer Anweisung und war gerade in einer sitzenden Haltung angekommen, als sie sich schon das T-Shirt über den Kopf zog. Oh Jammer. Das war einer dieser fast durchsichtigen BHs, die mich schon auf dem Wäscheständer erschreckt hatten. Es entging ihr nicht, dass ich mir auf die Lippe biss.
"Den BH ziehe ich dann besser erst im Liegen aus. Mit zitternden Händen massiert es sich nicht so gut. Oder vielleicht doch? Vielleicht könntest du so eine völlig neue Technik kreieren?"
"Ja, mach dich nur lustig. Warum gestaltet man diese Dinger denn so, dass sie fast nichts verbergen? Läuft das denn nicht dem eigentlichen Sinn zuwider?"
"Du bist echt niedlich. Der eigentliche Sinn ist meinen Brüsten Halt zu geben. Die relative Durchsichtigkeit ist dafür gedacht, dass Männer bei dem Anblick ihren Halt verlieren. Quod erat demonstrandum."
"Nun denn, aber wenn ich es richtig verstanden habe, wolltest du mir nicht deine grandiosen Brüste, sondern Handtechniken für die Massage zeigen."
"Genau. Warte, ich komm zu dir, brauchst nicht aufzustehen."
Ihre Demonstration hatte es in sich. Sie zeigte mir die unterschiedlichen Handbewegungen und Haltungen nämlich kurzerhand auf meinem Oberschenkel, damit ich sie auch richtig gut sehen und verstehen konnte, wie sie spitzbübisch lächelnd mitteilte. Gar nicht so einfach, Dinge mental abzuspeichern, wenn alles Blut gen Süden zieht. Sie sah natürlich genau, was das bei mir anrichtete. Und amüsierte sich köstlich.
"Ehm... musst du dafür ein neues Öl ansetzen?"
"Nein, da ist noch einiges in dem Fläschchen. Ich war mir nicht sicher, wieviel ich bei dir brauchen würde und es blöd, wenn man mittendrin trockenläuft. Außerdem dachte ich daran, dass dies bestimmt nicht die letzte Session war."
"Na hoffentlich nicht. Es war... ist noch immer ein wundervolles Gefühl."
"Gut, dann rann an den Speck, guter Mann, auch wenn es, wie du siehst, es davon eigentlich keinen gibt. Wie gesagt, probiere die Sachen, die ich dir gezeigt habe, aber versuche einfach ein Gefühl dafür zu entwickeln, zu improvisieren. Wenn du irgendwas machst, was mir wehtut oder unangenehm ist, melde ich mich schon."
Sprachs, legte sich hin, öffnete ihren BH, streifte ihn in einer fließenden Bewegung ab. Und zog ihre Hose ein Stück nach unten. Was mich Gott sei Dank noch rechtzeitig daran erinnerte, dass meine immer noch geöffnet war. Das änderte ich schnell nach dem Aufstehen und sah den vor mir liegenden Körper unschlüssig an.
"Ehm... soll ich an dir auch rumzerren? Das sieht eigentlich perfekt symmetrisch aus."
Sie kicherte leise.
"Nein, bei mir brauchst du das nicht. Die Symmetrie, die du da siehst, ist das Ergebnis von zehn Jahren Yoga und erhöhtem Körperbewusstsein."
Ich setzte mich vorsichtig auf ihr Gesäß, so wie sie das zuvor bei mir getan hatte, achtete darauf, dass ich dabei nicht wirklich mein ganzes Gewicht auf sie verlagerte. Ich träufelte ein paar Tropfen Öl auf ihrem Rücken, der seltsam zart und zerbrechlich wirkte.
Ich konzentrierte mich zunächst nur auf die Aufgabe, versuchte mich an ihrer Handtechniken zu erinnern und wo sie mir welche davon empfohlen hatte. Im Gegensatz zu meiner Massage hielt sie Stille hier nicht für zwingend erforderlich, denn sie gab mir einige Rückmeldungen, um mich zu unterstützen.
"Da nicht ganz so fest... ja, so machst du das richtig. Eh, du machst das schon richtig gut... hier etwas langsamer, das ist kein Wettrennen... perfekt... jetzt einfach immer so weiter."
Es machte wirklich Spaß und es war ein tolles Gefühl ihren Körper so zu fühlen und bearbeiten zu können. Ihre Rückmeldungen wurden immer spärlicher, offenbar machte ich einiges richtig. Fing an zu improvisieren, wie von ihr gewünscht.
"Mmmh...", war ihre einzige Rückmeldung hierzu. Offenbar auch eine positive. Sie schien es zu genießen.
Das tat ich dann langsam auch. Immer mehr. Meine Hände hatten noch nie so viel Gefühl in ihnen gehabt. Ob das an ihrer Massage zuvor lag? Auf jeden Fall fühlte es sich großartig an, auf ihrem Rücken entlangzugleiten, die Bewegung bis zu ihren Schulterblättern zu bringen und von dort auswärts in Richtung der Schultern zu ziehen, so, wie sie es auch bei mir getan hatte.
Es fühlte sich langsam nicht nur gut an. Durch die Gewichtsverlagerungen drückte mein Unterleib mal mehr und mal weniger an ihrem Gesäß. Und das hatte spürbare Folgen. Für beide spürbare Folgen. Verdammt. Ich wurde hart. Erschrocken hielt ich für einen Moment inne.
"Hey. Nicht aufhören. Untersteh dich. Du machst das wunderbar", kam ihr leiser Protest.
Und damit die Rückversicherung. Sie fühlte es selbstverständlich, aber es störte sie nicht. Störte sie nicht, oder... Meine Berührungen bekamen plötzlich eine andere Qualität, ich hörte auf, mich zu zensieren, tat einfach nur, was sich gut anfühlte. Ging so in der Sache auf, dass mir erst nach einiger Zeit aufging, dass ich mein geschwollenes Glied an ihrem Gesäß rieb.
Weiter kein Protest von ihr, nur ab und zu ein schärferes Ausatmen und leise, wohlige Laute. Doch das Bewusstsein dessen, was ich da tat, brachte mich raus, verunsicherte mich. Zögernd suchte ich eine stationäre Position und versuchte ihren Abschluss zu emulieren.
"So... reicht das?", frage ich unsicher. So lange wie sie das durchgehalten hatte, kriegte ich das keinesfalls hin.
"Ja, das war wunderbar", kam ihre zufriedene Antwort. "Du hast Talent."
Und eine Erektion. Das Gefühl ihres Körpers in meinen Händen würde mich sicher in den Schlaf verfolgen. Bevor ich mich damit der Folgen erleichterte natürlich. Ich versuchte mich abzulenken, nachdem ich von ihr abgestiegen war. Betrachtete ihren wundervoll symmetrischen Körper.
Nein, das trug nicht zur Beruhigung bei, im Gegenteil. Spektakulär hatte sie gesagt. Das ließ sich trotz ihrer etwas weiteren bequemen Hose nachvollziehen. Das hatte ich in den engen Yoga-Hosen ja auch schon einmal vorgeführt bekommen. Uff. Man gut, dass sie...
In diesem Moment war es mit ihrem Nicht-Sehen-Können aber schon vorbei, denn sie drehte sich langsam um. Räkelte sich, wie nach dem Schlafen. Richtete sich etwas auf und stützte sich auf ihren Unterarmen auf, wie Badegäste am Strand. Donnerschlag. Nicht nur, dass sie so die äußerste Spannung in meiner Cordhose zu sehen bekam, ich konnte nicht anders, als ihre Brüste anzustarren.
"Du hast das Abdecken vergessen", meinte sie schmunzelnd. "Das macht man, damit der Massierte hinterher nicht auskühlt."
"Oh... das... tut mir leid."
"Dir muss nichts leidtun. Verstehst du? Gar nichts. Alles natürlich. Alles im Einvernehmen. Ich sag jetzt nicht so gewollt, weil das Prämeditation voraussetzen würde."
Dann zog sie sich langsam wieder an. Mein Verkrampfen löste sich. Sie empfand das Geschehen als natürlichen Vorgang, war nicht abgestoßen, nicht einmal überrascht gewesen. Hatte den Eindruck erweckt, dass sie es sogar genossen hatte. Als könnte sie meine Gedankengänge erraten, gab sie mir noch eine weitere Rückversicherung.
"Du hast deinen Kopf außen vor gelassen und bist völlig in deinen Gefühlen und Regungen aufgegangen. Das habe ich deutlich gespürt. Dass dein Körper darauf reagiert ist natürlich. Und das hat meiner auch getan. Wenn dich das beruhigt. Es war sehr schön. Du hast nichts Verbotenes getan. Okay?"
Ich nickte nur, konnte mich nicht von ihrem Blick lösen. Und was alles darin lag. Verständnis, Vertrauen, Wärme, Zuneigung. Echte Zuneigung.
"Was hältst du von einem Glas Wein?", frage sie in die wohlige Stille hinein.
Das fiel mir in diesem Moment auf. Diesmal war es kein unbewusster Ausstieg gewesen, keine Sprachpause, die mir unangenehm war. Wir konnten einfach still sein, uns anschauen und uns dabei nah fühlen. Uns so miteinander wohl fühlen. Aber ihr Vorschlag war grandios. Fast so grandios wie ihre Brüste.
"Exzellente Idee. Wollen wir rüber ins Wohnzimmer?"
"Gern. Bist du müde? Eine gute Massage kann auch schläfrig machen. Jonas ist sogar oft genug dabei eingeschlafen."
Das konnte ich nicht nachvollziehen. In solch einem Meer von Sinnesempfindungen einzuschlafen.
"Nein, ich fühle mich eher erfrischt. Revitalisiert. Eigentlich total energiegeladen."
Wir standen gemeinsam auf, ich zog meinen Pullover über und wir machten uns auf dem Weg zum Wohnzimmer.
"Nun, das war von mir nicht beabsichtigt, aber könnte damit zusammenhängen, dass durch die Entspannung vorher eingeschlossene Energie freigesetzt wurde. Der Körper ist ein komplexes System, manche Effekte erreicht man durch gezielte Manipulation, andere sind Sekundäreffekte einer Aktion. Du strahlst nebenbei richtig."
Das konnte ich selbst zwar nicht sehen, aber ich konnte es fühlen. Und wusste im selben Moment, dass es falsch und unpassend sein würde, zu versuchen, dass jetzt zu analysieren, nach dem wie und warum zu fragen. Diesmal suchte ich den Wein aus und brachte ihn ins Wohnzimmer. Wir prosteten uns andeutungsweise zu und genossen das sehr ansprechende Tröpfchen.
"Und was möchtest du jetzt tun?", fragte ich, als wir die Gläser auf dem Tisch abgestellt hatten.
"Bei dir sein", sagte sie und kuschelte sich an mich. Ich legte sofort meinen Arm um sie.
Mein Kopf meldete sich mit der Frage, ob Sein Handeln sein könnte, die ich allerdings nicht aussprach, denn einfach nur Claudias Nähe zu genießen war in sich eine durchaus aktive Tätigkeit. Generierte ein Wohlbefinden und ein Glücksgefühl, das alles bisher Erlebte in den Schatten stellte. Kein Verkrampfen mehr auf meiner Seite.
Im Gegenteil. Auch diesmal streichelte ich sanft ihr Haar, war im siebten Himmel, als sie mit ihren Fingerkuppen die Innenseite meiner linken Hand zärtlich berührte.
"Du hast wunderschöne Hände, hat dir das schonmal jemand gesagt?", durchbrach sie leise die Stille.
"Ehm... da ich meist von Männern umgeben war, nein. Das zählt nicht unbedingt zu der Art Komplimenten, die wir untereinander austauschen", was sie zu einem fröhlichen Kichern brachte.
"Nun, es ist so. Sehr empfindsame Hände nebenbei."
"Ich hatte allerdings das Gefühl, das da deine Massage eine Rolle spielte, sie empfindsamer gemacht hat, so fühlte es sich jedenfalls an. Also dein Verdienst."
"Ja und nein. Ich kann nur freisetzen, was bereits dort ist. Das gilt nicht nur für die Empfindsamkeit deiner Hände."
"Dann ist dein Geheimprojekt eine Befreiungsmission?"
"Auch das. Schließlich kann man nur jemanden gefangen nehmen, der wirklich frei ist."
"Und wenn ich dir jetzt sage, dass ich dich nie mehr loslassen möchte, wäre dann deine Mission dann nicht schon jetzt ein voller Erfolg?"
"Nein, kein voller, aber es macht mich trotzdem glücklich, das zu hören. Jetzt musst du mich aber loslassen, sonst komme ich nicht an mein Glas", gab sie lächelnd zurück. "Auch das gehört dazu. Loslassen können."
Da sie mir im Zuge auch gleich mein Glas reichte, bekam ich die Vorteile gleich vorgeführt. Die Rücknahme des leeren Glases war im Service inkludiert. Dann spürte ich ihren warmen, weichen Körper wieder auf meinem. Ihren Kopf auf meiner Brust ihre Hand suchte erneut meine linke. Diesmal streichelte ich sie zurück, begannen unsere Hände einen wundervoll zärtlichen Reigen.
Da sie weiterhin nur das T-Shirt trug, weitete ich meine Liebkosungen auf ihren nackten Unterarm aus. Sie hob ihr Kinn an, so dass sie mich ansehen konnte. Dann nahm sie meine Hand und führte sie an ihr Gesicht. Sie schloss die Augen, als ich ihrer stummen Aufforderung folgte und fasziniert die zarte Haut ihrer Wangen streichelte, wie in Trance mit den Fingerkuppen über ihre Mundwinkel und Lippen strich.
Sie küsste meine Finger und öffnete wieder die Augen, begann nun ihrerseits mein Gesicht zu streicheln. Dann wanderte ihre Hand hinter meinen Kopf und zog mich leicht zu ihr hinab, während sie sich gleichzeitig etwas höher schob, bis unsere Lippen sich trafen und ich tatsächlich zum ersten Mal in meinem Leben von einer Frau auf den Mund geküsst wurde.
Nur ganz leicht und zärtlich und doch verging ich fast vor Wonne, war dies trotz meiner sexuellen Erfahrungen das intimste Erlebnis, das ich je mit einem Menschen gehabt hatte. Sie rieb noch leicht ihr Gesicht an meiner Wange und kehrte dann in ihre Ausgangsposition zurück, ergriff meine Hand und verschränkte unsere Hände.
Und doch war da nicht die Spur von Enttäuschung, dass sie den zärtlichen Austausch auf diese Weise beendete. Ahnte, fühlte sie, wie überwältigend das für mich gewesen war? Dass ein mehr mich vielleicht überfordert hätte, ich Zeit brauchte, dass gerade Erlebte zu verarbeiten? Oder war es der Rahmen, den sie für sich selbst gesetzt hatte, eingedenk ihrer Situation?
"Nicht denken", wurde ich von ihr aus meinen Gedanken gerissen. "Einfach nur fühlen und sein."
Eine anspruchsvolle Aufgabe für einen Kopfmenschen für mich. Doch durch ihre seligmachende Nähe gelang mir selbst die. Wie lange wir so dort saßen, konnte ich nicht mehr einschätzen. Als ihr Kopf dann etwas abrutschte, bemerkte ich, dass sie tatsächlich so eingeschlafen war. Kein Wunder nach all der harten Arbeit vom Tage, inklusive der sicherlich ebenfalls anstrengenden Massage.
Vom Gefühl her hätte ich so die ganze Nacht verbringen können und wollen, aber es setzte sich doch Sorge um ihre Bequemlichkeit und meine Vernunft durch und ich rüttelte sie leicht, um sie zu wecken.
"Hey, schönes Fräulein. Zeit ins Bett zu gehen."
Sie schien einen Moment zu brauchen, um die Situation zu erfassen, dann war sie wieder sortiert und hellwach.
"Oh, okay. Gehen wir zu dir oder zu mir?"
"Sehr witzig. Vielleicht du zu dir und ich zu mir?"
"Auch möglich. Aber nicht das, was ich möchte. Und bevor du jetzt in Panik ausbrichst, sage ich lieber was das ist: bei dir sein. Nicht mehr und nicht weniger."
"Oh... ja, das klingt... wiederum himmlisch. Natürlich, gern."
"Ich würde dich allerdings bitten, heute Nacht auf das Masturbieren zu verzichten. Wenn das nicht zu viel verlangt ist", kitzelte sie mich verbal. "Und ich lasse dir den Vortritt im Bad, ich würde gerne noch mein Zimmer aufräumen, bevor ich... hm, zu dir komme? Ordnung ist das halbe Leben, hat mir jemand gesagt, dem ich in allem völlig vertraue."
"Einverstanden."
Mehr als das. Ich war ekstatisch über ihre Idee. Erstaunlicherweise nicht im Mindesten sexuell erregt, auch nicht als sie dann mit einem ähnlichen Nachthemd, wie dem weißen, das ich zuvor zu Gesicht bekommen hatte, also was eher wie ein überlanges T-Shirt aussah, mein Zimmer betrat, das Licht löschte und unter meine Decke kam.
Es dauerte eine Weile, bis ich vom Restlicht der Straße die Konturen ihres Gesichts wieder ausmachen konnte. Wir sahen uns einen Moment in die Augen, dann küsste sie mich auf die Stirn und sagte "Gute Nacht". Sie wartete noch meine Erwiderung ab und drehte sich dann von mir weg. Bevor dies auch nur den Hauch einer Enttäuschung auslösen konnte, rutschte sie dann allerdings etwas zurück, so dass sich unsere Körper berührten.
Gar nicht mal eng aneinandergepresst, einfach nur in einer herrlichen, warmen und weichen Verbindung. Ein Symbol für unsere Beziehung? Vielleicht. Auf jeden Fall eine wundere Position, um gemeinsam ins Land der Träume zu gelangen, was überraschend schnell geschah.
Erwachen
Im Verlaufe der Nacht schienen wir uns allerdings noch näher gekommen zu sein, denn ich wurde davon wach, dass sie meinen Arm vorsichtig von ihr zu lösen versuchte, den ich um sie geschlungen hatte.
"Schlaf weiter, es ist erst kurz nach fünf", begrüßte sie mich, als sie dies bemerkte. "Wir sehen uns um 6:45 zum Frühstück."
Sie gab mir noch einen kurzen Kuss auf die Stirn. Und hatte damit die Gewissheit, dass ich das diesmal nicht alles nur geträumt hatte. Obwohl es wie ein schöner Traum war. Aus dem ich nicht aufwachen würde, musste. Also schlief ich zufrieden wieder ein.
Und wachte zu meiner Standardzeit um zehn nach sechs wieder auf. Wickelte meine Routine wie gewohnt ab, auch wenn ich eine gewisse Ungeduld bei mir feststellte. Ich konnte es einfach kaum erwarten, wieder bei ihr zu sein.
"Guten Morgen... oh, du hast tatsächlich schon wieder das ganze Frühstück vorbereitet. Vorsicht, Männer gewöhnen sich unglaublich schnell daran, verwöhnt zu werden", sprach ich eine gutgemeinte Warnung aus.
"Guten Morgen, und das ist mir nicht ganz unbekannt. Ich renne also sehenden Auges in mein Verderben."
"Ich werde trotzdem versuchen, mehr beizutragen. Du kommst mit sehr wenig Schlaf aus, kann das sein?"
"Ja, durch Yoga und Meditation brauche ich im Schnitt nur vier bis fünf Stunden. Vor allem wenn ich wie gestern Nacht wie ein Baby schlafe. Dein Verdienst, das war deine Massage und vor allem deine Nähe."
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich das als Kompliment verstehen kann, dass ich auf Frauen eine einschläfernde Wirkung habe."
"Ich glaube nicht, dass du irgendwie einschätzen kannst, welche Wirkung du auf Frauen hast. Oder zumindest auf eine sehr spezifische."
"Ich meine aber, immer besser einschätzen zu können, welche Wirkung diese spezifische Frau auf mich hat."
"Sie beunruhigt dich?"
"Nicht mehr wirklich, sie bewegt mich. Erweckt mich zum Leben. Lässt mich aus einem langen Schlummer erwachen."
"Ich denke aber, sie würde es dir nicht übelnehmen, wenn du noch weiterschlafen möchtest. Frauen sind geduldige Wesen. Falls dir das noch nicht bekannt war. Manche brauchen halt ihren Schlaf."
"Mir war so vieles noch nicht bekannt. Auch über mich selbst. Und ja, diese spezifische Frau wird auch allein deshalb ihre Geduld benötigen. Ich habe aber eher das Gefühl, dass ich nie wieder in diesen Schlummer zurückfallen kann. Oder will. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie aufregend das alles für mich ist."
Sie brachte das Kunststück zustande gleichzeitig zu kauen und zu grinsen. Wahrscheinlich hielten sie nur ihre guten Manieren zurück, mit der Antwort bis zum Runterschlucken zu warten.
"Manchmal kann man das schon sehen", kam dann ihre so leicht verspätete Replik. "Nun, das sicher auch. Aber kannst du dir vorstellen, wie das ist, mit fünfundvierzig zum ersten Mal von einer Frau geküsst zu werden?"
Jetzt hielt sie verblüfft in der Bewegung, ihre Kaffeetasse an den Mund zu führen, inne.
"Daran hatte ich gar nicht gedacht, das war dein allererster Kuss?"
"Ja. Und er war wundervoll. So schön hätte ich mir das nie ausmalen können."
"Das freut mich. Und macht mich neugierig. Ich habe tatsächlich auch noch nie eine Frau geküsst. Ich werde mir eine Erinnerung für meinen fünfundvierzigsten Geburtstag in meinen mentalen Kalender schreiben. Direkte Erfahrung schlägt immer jede Vorstellungskraft."
Nur mit Mühe gelang es mir, den soeben getrunkenen Kaffee im Mund zu behalten und nicht über den Frühstückstisch zu prusten.
"Du bist unbezahlbar, Claudia."
"Stimmt, mich kann man nicht kaufen. Nicht besitzen. Auch nicht erobern, nicht besiegen, nicht einnehmen und nicht besetzen. Aber trotzdem du Soldat warst oder irgendwie immer noch bist, bist du vermutlich der erste Mann in meinem Leben, dem ich das gar nicht sagen hätte sagen müssen, nicht wahr?"
"Ja, das ist so. Ich verstehe auch, dass du möchtest, dass ich in deiner Ganzheit erlebe und begreife. Und dass du dir auch von meiner Seite Geduld wünschst. Was ich nicht verstehe, ist wie dein Mann eine Frau wie dich gehen lassen konnte. So dumm kann doch niemand sein."
Sie ließ ihre gerade angebissene Brötchenhälfte auf den Teller fallen, sprang auf und tauchte neben meinem Stuhl auf, kaute ungeduldig, schluckte und schlang mir dann ihre Arme und dem Hals. Ehe ich mich versah, erlebte ich den zweiten Kuss meines Lebens. Bei dem sie diesmal alle Zurückhaltung fahren ließ. Ihre Zunge auf die Reise schickte. Mich kurz, aber leidenschaftlich küsste, mit einem schmatzenden Abschluss. Seufzte und dann auf ihren Platz zurückkehrte.
"Sorry, aber da hast du in wenigen Sätzen alles gesagt, was ich hören wollte. Alle richtigen Knöpfe gedrückt. Vor solchen Ausbrüchen wirst du bei mir nie sicher sein, wenn du so weitermachst. Ich hoffe das erschreckt dich nicht? Nein?", setzte sie zur Erklärung an und nahm mein Kopfschütteln mit Befriedigung zur Kenntnis. Was ehrlich war, obwohl ich das Gefühl hatte, auch hier gerade Zeuge einer Explosion geworden zu sein. Kein Tinnitus dabei, aber durchaus ein vergleichbarer Schock.
"Gut, damit du verstehst, was du da angerührt hast. Du hast meinem tiefsten und sehnsüchtigsten Wunsch getroffen: Dass mich jemand in meiner Ganzheit versteht und liebt. Auch begehrt. Und nicht nur ein Bild, eine Vorstellung von mir, eine Reduktion auf das Gewünschte oder eine Funktion. Alles, so wie ich wirklich bin, alle Facetten, das Licht und den Schatten. Und was die Dummheit meines Gatten betrifft... das ist natürlich Balsam auf meiner wunden Seele... sollte man bei einem IQ von 150 nicht vermuten. Aber Dummheit hat manchmal eben nichts mit Intelligenz zu tun."
"Oh? Das geht ja in Richtung Genie?"
"Auf seinem Gebiet ist er das, sicherlich. Er ist Physiker, hatte auch schon eine Nominierung für den Nobel-Preis, ihn aber dann nicht bekommen. Versteh das jetzt nicht falsch, er hat auch noch viele weitere Qualitäten, die ihn von der Masse abheben. Aber ebenfalls eine Menge Unbeweglichkeiten, geistig und emotional. Unzulänglichkeiten, wie wir alle. Wie gesagt, das ist ein komplexes Thema. Was ich im Moment trotz des Vertrauens dir gegenüber, das immer weiterwächst, noch nicht wirklich aufgreifen kann und will. Da ist die von dir angesprochene Geduld gefragt. Nicht nur dort, aber auch."
"Was ich wie gesagt verstehe. Obwohl ich mir nie hätte träumen lassen, das einmal von einer Frau bestätigt zu bekommen. Das haut mich fast so sehr um, wie dein Kuss eben. Der möglicherweise durchaus eine kontraproduktive Komponente hatte."
Wie auch die anderen Details ihrer Aussagen, die langsam in mein Bewusstsein eindrangen. Bedeutete das, dass sie mich tatsächlich als potentiellen Partner betrachtete? War das schon die Bestätigung meines eigenen Wunsches, den ich mir noch nicht einmal einzugestehen getraut hatte? Dass diese wunderbare Frau von mir geliebt und verstanden werden wollte?
Dass sie mit mir nicht nur spielte, sondern das alles völlig ernst meinte? Von mir begehrt werden wollte? Mich, trotz meiner Unerfahrenheit, Verschrobenheit und Ängste ernsthaft für eine Liebesbeziehung in Betracht zog? Als Nachfolger eines Beinahe-Nobelpreisträgers? Mir wurde heiß und kalt.
"Wir müssen diese Geduld eben nicht nur mit dem anderen, sondern auch mit uns selbst haben", meinte sie in meine chaotischen Gedanken hinein. "Wachsen lassen, was wachsen will."
"Auch wenn das manchmal durchaus schmerzhaft sein kann", versuchte ich sie zum Spielen zu verführen. Dass ich daran einmal so viel Freude haben könnte...
"Da mach dir keine Gedanken. Ich mag vieles sein, aber grausam bin ich nicht. Glaube ich. Hoffe ich. Wenn es unerträglich wird, nehme ich... hm...die Sache... in die Hand. Versprochen."
Ich verschluckte mich an meinem letzten Bissen und trank schnell etwas Kaffee hinterher. Gütiger Gott, dieses Frühstück hatte es wirklich in sich.
"Hm... vielleicht ist ein gemeinsames Frühstück nicht ideal für solche Eröffnungen", erkannte sie messerscharf. "Bist du okay?"
"Mehr als das. Vielleicht ein anderes Thema. Du sagtest, du meditierst? Ich habe etliche Zen-Bücher bei dir gesehen. Bist du Buddhistin?"
"Nein, ich folge keiner organisierten Religion. Ich glaube auch nicht an irgendeinen Gott, ein höheres Wesen oder irgendetwas in der Art. Schon, dass es eine Art Potential, ein Sein und Wahrnehmung auf höherer Ebene gibt, die einem Menschen nur auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung zugänglich ist. Dass es dieses Satori gibt, diese Erleuchtung, oder wie auch immer man das nennen will. Aber das ist nicht etwas, auf das ich hinarbeite, ich habe da viel bescheidenere Ziele. Ausgeglichenheit, Einklang, das Erkennen und Entwickeln eigener Potentiale, Körperbewusstsein und Körperkontrolle, so etwas halt. Da hilft auch Meditation. Es hilft mir, zur Ruhe zu kommen, zu mir selbst zu finden, meine Mitte zu finden, auch wenn das jetzt schrecklich nach dem New Age Zeug klingt. Die Techniken, die ich dabei verwende, stammen allerdings vom Zen. Ich finde auch die Philosophie, die dahintersteht, sehr attraktiv. Aber es ist wie bei vielen Dingen so, dass ich mich mit Elementen identifizieren kann, andere mich hingegen stören oder zumindest nicht überzeugen. Nimm diese Körperbewusstsein-Geschichte zum Beispiel. Die Erkenntnisse und die Methoden sind valide, aber sie kommen aus einer Zeit und einem Ort, wo mit vielen Therapieformen experimentiert wurde. Die Herangehensweise der Amerikaner, die Einstellung, diese Enklave in Kalifornien, die sich geschaffen hatte, wirkt übertrieben, unnatürlich, auf schnelle Ergebnisse ausgerichtet. Selbstfindung als Konsumgut, als Außenleistung von besonders talentierten Therapeuten und nicht das, was sie wirklich ist, wenn sie erfolgreich sein soll: Ein langsamer, fortwährender Prozess, der Willen, ein Bewegungsmoment und eine klare Richtung braucht, dann aber von selbst läuft und nur noch unwahrscheinlich viel Geduld und Aufmerksamkeit braucht. Sie haben richtig gedacht und Wege gefunden, Werkzeuge, die Umsetzung allerdings... Nun, vielleicht bin ich zu sehr Individualistin, oder ich habe einfach noch niemanden gefunden, der mich von seiner Sache vollständig und rückhaltlos überzeugen konnte."
"Wenn du jetzt wieder den Eindruck gewinnst, dass ich mich verpanzere, liegt das nur daran, dass ich gerade vor Bewunderung und Ehrfurcht vor dir erstarre", trug ich bei. "Du bist mehr wie nur eine Individualistin, du bist ein Unikat. Unikum trifft Unikat, na wenn das nicht der Stoff für eine großartige Geschichte ist."
"Dann schreib sie doch. Vielleicht finde ich sie so überzeugend, dass ich mich völlig und rückhaltlos darauf einlassen möchte... Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals jemand für meine Lebenseinstellung und Auseinandersetzung mit mir und meiner Umwelt bewundert hat, oder vor Ehrfurcht vor mir erstarrt ist. Ich müsste aber lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das Kompliment kalt lässt. Weil ich spüre, dass du das voll ehrlich meinst. Junge, Junge, für jemanden der vorgibt, überhaupt keine Ahnung von dem Spiel zu haben, landest du aber erstaunlich viele Treffer. Ich könnte dich schon wieder abknutschen."
"Ehm... tu dir keinen Zwang an. Aber vielleicht heben wir uns solche Sachen wirklich für nach dem Frühstück auf. Was sind denn deine Pläne für heute?"
"Oh... eigentlich nur weiter an meinem Projekt arbeiten. Also bei dir sein, mit dir den Tag zu genießen. Wollen wir vielleicht ein bisschen an die frische Luft? Du siehst aus, als ob das nicht zu deinen Routinen gehört... ich kenne aber einige Ecken hier, wo man sehr schön Spazierengehen kann."
"Eine wundervolle Idee. Ganz so ist es allerdings nicht, ich laufe ab und zu mal, gehe nicht nur ins Fitness-Studio. Anders als das ist es jedoch eine unregelmäßige Geschichte, eben, wenn es mich halt mal packt. Einfach nur Spazierengehen habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Aber wirklich Lust dazu, vor allem, weil es mit dir zusammen ist... auch wenn ich jetzt langsam wie ein verliebter Pennäler klinge, jede Sekunde mit dir ist eine Offenbarung für mich."
"Du bist echt niedlich... na dann komm, du verliebter Pennäler, das Zeug weggeräumt, abgewaschen und ab die Post."
Das Wetter war nicht ideal, es war kühl und windig, aber ich hätte vermutlich sogar genossen, mit ihr durch einen Hurrikan zu spazieren. Es gab eine kleine Begebenheit, die anzeigte, wie anders ich jetzt auch auf meine Umwelt reagierte. Ich mochte Hunde, wirklich, aber meine Eltern hatten sich immer gegen Haustiere verwahrt und ich früh in meiner Kindheit den aussichtslosen Kampf dafür aufgegeben.
Wenn wir allerdings meine Oma in Norddeutschland besuchten, verbrachte ich viele glückliche Stunden mit ihrem Hund Jasper, die mich für einiges entschädigten. Auf dem Spaziergang kam uns eine Frau mit ihrem Hund entgegen, der ohne Leine lief. Was mir vor wenigen Tagen noch nicht im Traum eingefallen wäre, tat ich dann.
Ich stellte mich hin, wie ich Jasper früher angelockt hatte, wenn er in ähnlicher Entfernung von mir herumtollte, leicht gebeugt, die Hände auf die Oberschenkel klopfend und lockte "Na komm, mein Guter, komm", eigentlich so leise, dass bei der Entfernung von fast vierzig Metern selbst ein Hund mit seinem ausgezeichneten Gehör das nicht hören konnte.
Aber die Geste schien ihm vertraut zu sein, denn zu Claudias und der Verblüffung der Besitzerin tat er genau das, raste freudig und schwanzwedelnd auf mich zu und sprang an mir hoch, ließ sich von mir ausgiebig streicheln und leckte mir dann die Hand. Die herbeieilende Besitzerin verstand die Welt nicht mehr.
"Das hat er noch nie gemacht, normalerweise hat er sogar Angst vor Fremden. Tragen Sie Schnitzel in der Hose bei sich?", fragte sie mit sprödem Humor.
Claudia bekam einen Lachanfall, der sie dem Hund wohl eigenartigerweise sympathisch machte, denn fortan beschäftige er sich ebenfalls mit ihr und ließ sich auch von ihr streicheln.
"Ich liebe einfach Hunde", gab ich die Erklärung, die vermutlich doch nichts für sie, aber in diesem Moment alles für mich erklärte, in einem eigenartigen Moment vollständiger, non-rationaler Klarheit. Claudia sah mich überrascht an und nickte. Sie hatte es verstanden.
Obwohl wir uns ausgiebig unterhielten, waren es auch und gerade Momente wie dieser, die den Spaziergang zu einem fantastischen Erlebnis machten. Wir mussten gegen Ende einem nach starken Regenfällen in der Nacht überschwemmten Weg durch die Besteigung eines kleinen Hügels ausweichen, rasten ihn anschließend Hand in Hand wie übermütige Kinder wieder herunter.
Rutschten natürlich bei unserer hohen Geschwindigkeit auf dem nassen Gras aus und fielen gemeinschaftlich in Pfützen und Matsch, wo wir dann nun ohnehin völlig verdreckt ineinander verklammert herumrollten, bis wir anstatt nur nasse Füße zu bekommen, den Heimweg schließlich völlig durchnässt und wie nach einer Schlammschlacht antreten mussten.
Bleibt zu erwähnen, dass ich bei dieser Gelegenheit den beim Frühstück angekündigten dritten Kuss bekam, während wir auf dem nassen Boden lagen, der bis dato intensivstete und längste von ihnen, zudem deutlich der Erregendste davon. Beim Bund hatte ich oft genug im Dreck gelegen, die Erektion dabei war allerdings ein Novum.
Diesmal war es Claudia, die bei unser Rückkehr meinte, wir sollten am besten duschen, dies aber vielleicht doch besser getrennt tun, weil sie sich solch einem Test ihrer Selbstkontrolle, in der momentanen Stimmung und nach allem, was in den letzten Tagen und an diesem geschehen war, nicht gewachsen fühlte. Ich beeilte mich ihr zuzustimmen, das war rational sicher absolut richtig.
Der Funkenflug war schon beeindruckend genug, es musste ja nicht gleich in einen Flächenbrand ausarten. Seligmachend war die Beantwortung meiner Fragen des Frühstücks ohnehin. Es gab keinerlei Zweifel mehr, sie fand mich attraktiv, als Mensch und als Mann. Sie war dabei, sich in mich zu verlieben. Und ich mich in sie.
"Wachsen lassen, was wachsen will", hatte sie gesagt. Und damit im Grunde die Antwort ihrer Namensvetterin positiv umformuliert. Liebe wächst, aus sich heraus, aus dem Vertrauen in und dem echten Erkennen und Verstehen des anderen. Sie lässt sich nicht erzwingen. Nicht forcieren, nicht beschleunigen, aber auch nicht wirklich sublimieren.
Und, das hatte ich bei Maslow glaube ich damals gelesen, sie setzte etwas anderes darüber hinaus voraus. Dass man in der Lage war, sich selbst zu lieben. Also jetzt nicht autoerotisch, oder narzisstisch. Also wiederum, erkennen, verstehen, vertrauen. Nichts ausklammern, nichts verdrängen, verstecken, um einem illusorischen Selbstbild zu entsprechen. Die negativen wie die positiven Seiten, das reale Ich. Sich annehmen, so, wie man war.
Jetzt machte auf einmal alles Sinn. Während wir bei einer guten Tasse Tee mit Rum auf dem Sofa saßen und tatsächlich mit der Lektüre unserer ersten gegenseitigen Empfehlungen begonnen hatten, dabei klassische Musik aus dem Radio hörten, gab ich ihr in einer kurzen Lesepause den Stand meiner Überlegungen bekannt.
"Aber... soweit kannst du in dem Buch doch noch gar nicht sein...", gab sie verblüfft zurück. "Wenn es dort überhaupt so klar formuliert wird, daran kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern..."
"Oh, das sind meine eigenen Überlegungen, die nebenherlaufen", erklärte ich ihr. "Puzzlestücke aus vergangener Lektüre, zum Beispiel von Maslow, die sich nun einfacher zusammensetzen lassen... aber ich denke, man kann mit gesundem Menschenverstand auch sicher alleine zu diesen Schlussfolgerungen kommen..."
Weiter kam ich nicht, weil sie mich küsste, zärtlich, sichtlich bewegt und glücklich.
"Oh Immanuel, du bist unglaublich... und ja, du liegst meiner Ansicht nach völlig richtig. Du hast das Warum begriffen. Und liest dich gerade in das Wie ein. Erkenntnis ist nur der erste Schritt, die Basis, auf der man aufbauen kann. Was danach kommt... ist ein langwieriger, schwieriger Prozess... wo du Unterstützung, Hilfen, Mittel, Techniken benötigen würdest. Vor allem aber zunächst den Willen, diesen Weg zu gehen. Es ist alles andere als leicht..."
"Da ich glaube, dass du und deine Liebe mich am Ende des Weges erwarten, will ich ihn gerne bis zum Ende gehen", gab ich mit bebender Stimme zurück, denn das schon deutlich spürbare Gefühl der Verliebtheit überwältigte mich in diesem Moment.
Und nicht nur mich. Claudia brach in Tränen aus, schlang erneut ihre Arme um mich und irgendwie sank ich auf meinen Rücken, während sie auf mir zu liegen kam. Sie küsste mich, ohne mit dem Schluchzen aufzuhören, in das ich nach kurzer Zeit tatsächlich einstimmte, ohne erklären zu können, warum. Es dauerte einige Zeit, bis wir uns beruhigten.
Ich trocknete ihre Tränen und strich ihr zärtlich über ihr Gesicht.
"Am Ende des Weges warte aber nicht nur ich auf dich, sondern auch und vor allem du selbst. Nicht nur meine Liebe, sondern deine, auch für dich, wie du richtig bemerkt hast, aber noch für viele andere und vieles mehr. So glücklich mich das macht, dass du es für mich tun willst, es ist wichtiger, dass du es für dich selbst tust, dir diese Horizonte eröffnetest, Zugang zu dir selbst findest. Hab keine Angst, denn ich fühle, erkenne dich schon in einer Weise, die dir jetzt noch nicht zugänglich ist... du bist ein wunderbarer Mensch, so voller Liebe und Vertrauen, aber auch voller Schmerz, Wut und Angst. Stell den Kontakt zu dir her, alles andere geschieht von selbst...", dozierte sie mit leiser, vibrierender Stimme.
"Wie heute mit dem Hund", sinnierte ich.
"Genau, das war wie eine Vorschau... ich habe gefühlt, dass du es begriffen hast, in dem Moment, wo du es aussprachst. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich mich das macht."
"Es war wie... Verstehen über das Rationale hinaus...", versuchte ich mein Erleben einzuordnen.
"Volltreffer. Direktes Wissen, intuitives Wissen, das dir mehr und mehr zugänglich werden wird. Ein Teil unseres Selbst, unseres Potentials, das jeder einmal in der einen oder anderen Form erlebt... die meisten aber wegrationalisieren, oder als merkwürdige Zufälle, Kuriositäten ohne besondere Bedeutung abtun."
"Wie die Frau mit ihrer Schnitzel-Erklärung."
"Exakt. Dabei ist Frauen diese Ebene meist zugänglicher, weil sie stärker auf ihre Intuition und emotionalen Eingebungen vertrauen. Der Magnet für den Hund war deine Liebe und deine Freude und nicht, was du ja auch tatsächlich nicht in deiner Hose hattest. Obwohl... was du da tatsächlich hast, durchaus auch eine magnetische Wirkung haben kann...", schloss sie mit einem sardonischen Grinsen.
"Ja, bring mich nur in Wallung. Dann wirst du schneller dein Versprechen einlösen müssen, als du denkst."
"Du verstehst, warum ich noch nicht völlig auf dich einsteigen kann und will, auch wenn das vom Gefühl sicher schon möglich wäre?"
"Natürlich. Deine unabgeschlossene Geschichte mit Jonas. Aber vielleicht auch, dass du vermeiden willst, dass wir laufen, bevor wir vernünftig miteinander gehen lernen?"
"Jetzt wirst du mir langsam unheimlich... ja, absolut präzise. Ich hatte in der Vergangenheit die Tendenz, von einer Beziehung in die nächste zu hüpfen, ohne mir selbst Gelegenheit zu geben, rauszufinden, was in der vorherigen falsch gelaufen war. Es war ja nicht immer nur die Schuld des anderen, das Ende oder die Abschwächung des Gefühls für den anderen. Es war auch immer zu einem großen Maß mein Verhalten, meine Fehler, mein Versagen. Mein fehlender Zugang zu mir selbst genauso oft. Ich hatte nicht einmal ausformulieren können, was ich wirklich wollte, einfach gehofft, dass ich es in der nächsten Beziehung dann irgendwie bekam, dass der Nächste der Richtige ist. Wie Jonas, da habe ich es lange Zeit wirklich geglaubt."
"Das verstehe ich nicht nur und halte es für absolut vernünftig, es kommt mir sogar entgegen. Für mich ist das alles so neu und so überwältigend... ich bekomme von dir schon jetzt so viel, was mich glücklich macht, mich völlig ausfüllt... wie soll ich das sagen, ja fast zum Überlaufen bringt... wie wenn man Cola in ein Glas schüttet, und wenn das zu schnell tut, läuft es über... und darüber hinaus, deine... wie soll ich sagen, Spielchen... unsere Wortgefechte... das macht einen Heidenspaß. Also, mach dir keine Gedanken, du hast nicht nur meine Einwilligung, mich in jeder nur denkbaren Weise zu beunruhigen, sondern auch mein Vertrauen, dass du am besten einschätzen kannst, was angemessen ist und in welchem Tempo die richtige Entwicklung vollzogen wird. Und, das muss ich dir auch gestehen... ich habe eine Heidenangst, dass ich in der Beziehung eine Enttäuschung für dich werden könnte, weil ich da so unerfahren bin... also bin ich alles andere als böse darum, dass die Stunde der Wahrheit da in der ferneren Zukunft liegt."
"Ja, leg mich mit deiner Unschuldsnummer nur aufs Kreuz, damit ich dir vor lauter Rührung und Mitleid jetzt gleich beweise, dass du dir da keine Sorgen machen musst. Das hätte fast funktioniert, Glückwunsch. Aber auch nur fast."
"Man kann es ja mal probieren", gab ich grinsend zurück. Natürlich hatte sie verstanden, dass ich das völlig ernst gemeint hatte. Was für eine wunderbare Frau.
"Mach nur so weiter. Aber jetzt möchte ich mich gerne weiter mit deinem Freund Rombach auseinandersetzen. Ich verstehe deine Faszination mit seiner Denkweise und der Klarheit seiner Gedanken schon jetzt. Vor allem die Sprache... jedes Wort ist mit Bedacht und absoluter Präzision gewählt... völlig genial."
"Genau, so empfinde ich das auch. Dafür muss ich dich jetzt knutschen, darf ich dich so lange noch von der Lektüre abhalten?"
"Ausnahmsweise darfst du das immer", gab sie lachend zurück. "Weil du so lieb fragst." ___
Wie kann ich die folgenden Tage am besten beschreiben? Es war ein Erwachen am Beginn eines wundervollen Tages, ein Erblühen der wundervollsten Blume dieser Welt, die sich Liebe nennt, zugleich. Während wir mit unserem Verstand in die Gedankenwelt des anderen vordrangen, durch unsere Gespräche, aber gleichfalls die Lektüre der Bücher, die wir uns gegenseitig empfahlen, Verstehen und Verständnis aufbauten.
Dabei zärtlich und forderungslos miteinander körperlich umgingen, jede Nacht miteinander im Bett verbrachten, uns nicht nur körperlich wärmten, sondern auch und gerade mit unserem Gefühl.
Es war der Freitag der zweiten Woche unseres Zusammenlebens. Am Abend wollte Claudia erstmals Yoga mit mir probieren, nachdem ich dieses Bedürfnis angemeldet hatte. Bei allem war sie darauf bedacht, dass ich danach fragte, oder gab mir bei direkten Vorschlägen immer die freie Wahl, versuchte nicht, mich in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Wofür ich ihr dankbar und was auch absolut nicht notwendig war. Sie machte mich immer noch fassungslos, was die Tiefe ihres Denkens und ihre intellektuellen Kapazitäten anging. Wie sie Rombach nicht nur las, sondern auf Anhieb verstand und mir dabei bei Detailfragen aufzeigte, dass ich mich an manchen Stellen viel zu oberflächlich damit beschäftigt hatte, war mehr als nur erstaunlich.
Noch erstaunlicher allerdings, wie wenig ihr das eine Genugtuung zu sein schien, wie bescheiden und mit was für einer Anmut sie diese, und das konstatiere ich ohne jede Übertreibung als objektive Tatsache, intellektuelle Überlegenheit mir gegenüber, als unwesentlich empfand und darstellte. Das meinte sie so, dass war keine Bauchpinselei.
Ich fragte mich langsam, wer in ihrer Ehe das tatsächliche Genie gewesen war. Es erschütterte mein Selbstbewusstsein, und, das sage ich ganz ehrlich, das vorherige Gefühl einer geistigen Elite anzugehören, die mich von meinen Mitmenschen abhob. Und diese Frau, dieses Fabelwesen, das mir da ins Haus geflattert war, wollte mich? Es war ein Mysterium, was ich vielleicht niemals lösen konnte, aber was mich über alle Maßen glücklich machte.
"Entschuldigen Sie bitte, vor einigen Wochen war hier ein Aushang, wo ein Zimmer angeboten wurde. Hat der Vermieter das Zimmer schon vergeben, weil der Aushang nicht mehr da ist, wissen Sie das vielleicht?"
Der ältere Herr, der damals davorgestanden hatte, ohne sich die Kontakt-Info mitzunehmen.
"Ja, bedauerlicherweise. Es war ein Zimmer in meiner Wohnung und ich habe schon vermietet, das tut mir wirklich leid."
"Das muss es nicht, so ist das halt bei uns alten Leuten, wir brauchen unsere Zeit, um uns mit einer neuen Idee überhaupt anzufreunden. Ich lebe schon so lange allein... nun, das soll Sie nicht weiter belasten, ich freue mich für Sie, dass Sie so schnell Erfolg hatten und einen Mitbewohner gefunden haben."
"Eine Mitbewohnerin. Was das Letzte war, was ich mir gewünscht hatte und sich nun als der absolute Glücksgriff und Wendepunkt meines Lebens herauskristallisiert hat. Mit ihr ist die Liebe in mein Leben eingezogen, wenn ich das so sagen darf..."
"Oh... wundervoll, das freut mich umso mehr für Sie. Meine Frau ist schon fast zwanzig Jahre verstorben, aber ich vermisse sie heute noch. Sie war ein Teil von mir... mit Sicherheit sogar der Bessere davon. Nun, ich wünsche Ihnen und Ihrer Mitbewohnerin alles erdenklich Gute. Man sieht Ihnen das Glück übrigens an. Das muss ja eine außergewöhnliche Frau sein."
"Das ist sie, absolut, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr Sie da die Wahrheit getroffen haben", gab ich zurück. Ich sah, dass er im Begriff war, sich zurückzuziehen und wusste im selben Moment, dass ich ihm noch mehr geben konnte. Und wollte.
"Wie ist das, ich habe gerade frischen Kaffee aufgesetzt... Möchten Sie sich vielleicht zu mir setzen und ein wenig von Ihrer Frau und Ihrem Leben erzählen, während wir ein Käffchen trinken? Hier ist, wie Sie sehen, nicht gerade die Sturm und Drang Zeit..."
"Oh, freilich, sehr gerne sogar. Dann müssen Sie mir aber auch von der jungen Dame erzählen. Die Neugier im Menschen stirbt zuletzt. Weiß gar nicht mehr, wer das mal gesagt hat."
Wir redeten fast drei Stunden. Sebastian war eine faszinierende Persönlichkeit, ein Biologe im Ruhestand, der meine Liebe zur Literatur und Philosophie teilte, wie wir rasch herausfanden. Also im Grunde tatsächlich nach meinem damaligen Wissensstand eine absolute Bestbesetzung für das Zimmer gewesen wäre, was ich ihm so auch mitteilte.
Fasziniert hörte er sich meine Erzählungen über Claudia an, aber auch seine Frau schien wirklich eine großartige Frau gewesen zu sein, die leider früh an Krebs verstorben war. Am Ende bot ich ihm an, unser Plauderstündchen zu einer regelmäßigen Geschichte zu machen und ihn vielleicht auch einmal Claudia vorzustellen, wenn er das wollte.
"Unbedingt, unbedingt. Und beim nächsten Mal bringe ich Kuchen mit", meinte er mit verschmitztem Lächeln. "Es klingt so, als bräuchtest du dir in absehbarer Zukunft keinerlei Gedanken um möglichen Fettansatz zu machen. Ich bin darüber hinaus, also können wir nach Herzenslust schlemmen."
Er würde bereits am folgenden Montag wiederkommen. Ich erzählte Claudia von dieser netten Begegnung und sie freute sich mit mir und für mich. Es war eines von vielen Indizien, dass einiges bei mir in Bewegungen geraten war, was mein Leben verschönerte und bereicherte. Ich sah mich und die Welt mit anderen, wacheren Augen. Und sie schaute plötzlich zurück.
Die erste Yoga-Stunde. Eigentlich hatte ich aufgrund meiner Fitness und der wahrgenommenen Ähnlichkeit zu mir bekannten Dehnungsübungen aus meiner Aktiven-Zeit keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass es nicht so leicht sein könnte, wie es aussah. Eher, dass mich ihre enge Kleidung nachhaltig ablenken könnte.
Doch außer einer Bewunderung für ihre Beweglichkeit drang nichts dergleichen in mein Bewusstsein, dafür sorgte sie schon mit, nun, einer Härte und Unerbittlichkeit, wie ich sie noch von keinem meiner Trainer in der Vergangenheit oder Gegenwart erlebt hatte.
Korrekt in die von ihr gezeigten Asanas, wie diese Positionen genannt wurden, zu kommen war schon schwierig genug. Die von ihr geforderten Zeiten darin zu verharren, ging zum Teil an die Grenzen meiner Möglichkeiten. Und genau das war das Geforderte und Gewünschte.
So viel hatte ich noch nie beim Sport gezittert und mich gequält und ich fragte mich oft, ob sie diesen Spruch von "grausam bin ich nicht" vielleicht nicht doch etwas vorschnell und unreflektiert hervorgebracht hatte. Aber es hatte einen Sinn und Zweck, wie ich zum Abschluss dieser anderthalb Stunden dann erlebte. Die Entspannung, die ich hernach erlebte, war unglaublich.
Ganz anders als nach der Massage, tiefer und eindrucksvoller, dabei umfassender. Sie dehnte sich nicht auf den Körper und dort tatsächlich jeden meiner Muskeln, sondern auch auf den Atem und den Geist aus. Noch nie hatte ich so tief und leicht geatmet, noch nie hatte ich so ein Gefühl von Ruhe und Frieden in mir selbst empfunden.
"Und? Wie fühlst du dich?", fragte Claudia mit einem sanften Lächeln.
"Unglaublich. Total entspannt und gleichzeitig total energiegeladen. Was nach dieser Tortur an ein Wunder grenzt."
"Ich hoffe, ich habe dich nicht überfordert?"
"Ehm... es gab Zeiten, wo ich nahe am Schreien war. Gute Frau, du hättest ohne Weiteres eine Karriere beim Bund als Ausbilderin machen können. Wobei die im Vergleich zu dir fast zärtlich mit uns umgegangen sind. Und das ist bei Frauen so beliebt? Meine Bewunderung für das ach so schwache Geschlecht wächst von Minute zu Minute."
"Na, so wie das hier praktiziert wird, ist es auch nicht so hart. Was du gerade erlebt hast, habe ich bei meinem ersten Aufenthalt in Indien erlernt. Richtiges Yoga, so wie gedacht ist, nicht was hier so angeboten wird. Mir ging es trotz zweijähriger Vorbildung nicht viel anders als dir. Obwohl du sicher noch härter zu kämpfen hattest, mit deinen ganzen Muskelpaketen, das muss eigentlich eher hinderlich sein."
"Und das tust du dir jeden Morgen an? Gibt es da vielleicht einen masochistischen Zug an dir, von dem ich noch nichts weiß?"
"Spinner. Nein, das ist nur ganz am Anfang so, dann wird es immer leichter. Jetzt ist es nur noch ein absolut natürliches und schmerzfreies Geschehen, was ich beobachte. Du würdest es erleben, wenn dich das jetzt nicht schon abgeschreckt hat. Willst du es weiterhin probieren? Es ist wie bei vielem die Regelmäßigkeit, die die gewünschten Effekte bringt."
"Natürlich, so leicht gebe ich nie auf. Vor Schmerzen hatte ich noch niemals Angst."
"Solltest du aber haben. Das noch zur Warnung: Es gibt einen guten und einen schlechten Schmerz. Der gute ist der, wenn du an deine Grenzen stößt, diese achtest und ihn zulässt. Der schlechte ist, wenn du dein Grenzen versuchst zu schnell zu erweitern, die Stimme deines Körpers ignorierst und dann den Preis dafür zahlst. Das kann nämlich zu Verletzungen führen, auch zu schweren. Also, wie bei allem, das rechte Maß finden. Die Entwicklung geschieht von selbst, die Grenzen verschieben sich von selbst, wenn man achtsam und geduldig vorgeht, aber auch mit allem Einsatz und aller Konzentration. Verstehst du?"
"Ja, ich glaube schon. Falscher Ehrgeiz schadet mehr, als das er nützt, bei diesen Dingen."
"Exakt. Da hast du das wichtigste Konzept verstanden. Du hast dich übrigens nebenbei großartig gehalten. Ich hatte auch befürchtet, dass du deutlich steifer wärst, als das wirklich der Fall war. Alles, was du brauchst, ist die richtige Anleitung und dass du den notwenigen Fleiß mitbringst, glaube ich bereits zu wissen. Lass es uns zu Anfang nicht gleich übertreiben, aber was hältst du von zwei Sessions pro Woche von jetzt an?"
"Einverstanden. Was hältst du von indisch Essen gehen, um den Abend stilecht abzuschließen?"
"Eine Menge. Was hältst du von einem Kuss, um dich für deine Tapferkeit zu belohnen?"
"Noch mehr. Komm her, mein Schatz", sprach ich und nahm sie in meine Arme.
"Oho, ich bin dein Schatz?", gab sie kichernd zurück.
"Und was für einer. Der ironischerweise mich ausgräbt, anstatt dies selbst zu erfordern."
Selbst das Küssen war anders, entspannter, aber auch irgendwie intensiver. Der Blutfluss? Die erhöhte Aufmerksamkeit? Aber dabei auch viel zu schön, um sich lange über solche Nebensächlichkeiten Gedanken zu machen.
Beim Rausgehen erlebte ich dann eine weitere Überraschung.
"Huch, sogar gehen fühlt sich anders an."
"Ja. Jetzt, mein lieber Kamerad, erlebst du zum ersten Mal den aufrechten Gang. Du gehst total weich, geschmeidig und natürlich, die leichte Außenstellung deiner Füße kriegen wir auch noch weg, aber dein Rechtskippen ist durch diese eine Stunde zumindest für die Dauer des Effekts schon ausgeglichen."
Was sie damit meinte, hatte ich im Verlauf der Woche durch die Lektüre der von ihr empfohlenen Bücher bereits gelernt. Mein Hang zur Rationalität hatte auch eine körperliche Manifestation gefunden, indem ich die Welt mit der rechten, männlichen Seite anging und tatsächlich meine Körperachse sich dementsprechend nach rechts gedreht hatte. Vor dem Spiegel hatte ich das verblüfft nachvollziehen können.
Ich glaubte auch, diese Möglichkeit das Gelesene durch sofortige visuelle Beweise an mir selbst erkennen zu können, erleichterte mir den Zugang und generierte den Wunsch zur Korrektur. Von dem die Körperarbeit nur Teil des notwendigen Prozesses war, auch das hatte ich bereits begriffen.
Es galt zusätzlich, mich meinen Emotionen mehr zu öffnen, meine weibliche Seite zu entdecken und zu ihrem Recht zu verhelfen. Ausgewogener mir selbst und meiner Umwelt gegenüberzutreten.
"Falls du jetzt allerdings glaubst, es geht in diesem rasanten Tempo weiter, muss ich dich leider enttäuschen. Das wird Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis du dich dem "Ideal" auch nur annähern kannst. Und dann kommt der schwerere Teil. Sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern weiterzumachen, die subtilen Effekte zu erfühlen und sich gegen den Rückfall in alte Muster zu wehren. Wieder auszubalancieren, wenn man die Mitte verloren hat. Nie die Aufmerksamkeit und die Achtsamkeit zu verlieren. Verstehst du?"
"Ja. Das heißt, wir schlafen möglicherweise erst in ein paar Jahren miteinander?"
So herzlich hatte ich sie selten lachen sehen.
"Oh nein, deine Gnadenfrist läuft bereits ab, das geht vielleicht schneller als du denkst."
"Das heißt, auch du kommst mit deiner Aufarbeitung gut voran?"
"Ich glaube schon, ich würde mich gerne mit dir im Verlaufe des Wochenendes über meine Ehe und Jonas mit dir unterhalten. Das ist dann für mich natürlich längst nicht der Abschluss, aber könnte mir auf dem Weg dahin helfen."
"Ich unterstütze dich gerne nach besten Kräften. Ich fühle mich eh ein bisschen nutzlos, weil du mich wie eine weise Lehrerin an die Hand nehmen musst und ich trotz meiner längeren Lebensspanne wie ein Kind durchs Leben laufe."
"Eh, sag mal, was hast du denn da für ein Selbstbild? Gut, du hast bestimmte Erfahrungen nicht, aber das entwertet doch nicht all die anderen, die du gemacht hast? Um die ich dich zum Teil nicht beneide, um ganz ehrlich zu sein. Wie Krieg erlebt zu haben, den endgültigen Verlust von geliebten Menschen, wie deinen Eltern zum Beispiel. Meine leben beide Gott sei Dank noch. Aber auch und gerade diese Sachen erweitern doch ein Leben, prägen und testen eine Persönlichkeit. Und was du alles gelesen und erlebt hast... ich würde jetzt wirklich auch gerne mal deine Sachen lesen, damit hältst du dich immer noch etwas feige zurück, glaub ja nicht, dass mir das nicht aufgefallen ist. Ich kann ohne weiteres mehrere Sachen gleichzeitig lesen, da musst du nicht warten, bis ich deine komplette Rombach-Sammlung durchgelesen habe. Okay?"
"Ja, es ist nur... ich hätte niemals vermutet, was für eine beeindruckende Persönlichkeit du wirklich bist... was du an neben deinem überragenden Intellekt an menschlicher Größe und Erfahrungsschatz aufweist... ich komme mir neben dir wirklich klein vor..."
"Nun hör aber mal auf. Mach das bitte nie wieder, hörst du? Versuch nie mich auf irgendeinen Sockel zu stellen, denn da gehöre ich schlicht und ergreifend nicht hin. Ich bin eine ganz normale Frau, mit allen Schwächen und negativen Seiten, die du auch noch erleben wirst. Ich lerne von dir genauso viel wie du von mir, das ist schon jetzt so, und das wird sich sicher noch steigern. Weil ich mich für bestimmte Sachen interessiert habe und diese mit meinen bescheidenen Möglichkeiten und einer gewissen Ausdauer weiterverfolgt habe, macht mich das zu keinem größeren oder besseren Menschen als andere. Allein zu vergleichen finde ich falsch. Das Leben ist kein Wettkampf, es gibt keine Bestenliste, auch wenn viele versuchen, das zu suggerieren. Es gibt kein oben oder unten, hopp oder top, aber es gibt Bewegung und Stillstand. Wer sich im Stillstand wohl fühlt, soll das auch tun. Verstehst du? Ich habe meine Ideale, meine Ziele, aber das heißt doch nicht, dass die richtig oder allgemeingültig sein müssen."
"Gut, selbst das ist für mich ein Zeichen deiner Größe, aber ich glaube ich verstehe, wie du das meinst. Nimm es mir bitte nicht übel, aber das sind meine authentischen Empfindungen in diesem Moment. Und ich dachte, Komplimente hörst du durchaus gern?"
"Ja, sorry, ich wollte dich jetzt auch nicht angreifen. Aber ich kriege schon wieder Angst, dass du nicht wirklich mich, sondern ein idealisiertes Bild von mir siehst, verstehst du das?"
"Doch... aber lass mir doch wenigstens die Möglichkeit zu sagen, dass du die klügste, schönste, beste und großartigste Frau der Welt für mich bist... ist das akzeptabel?"
Sie hielt an und küsste mich lange.
"Ja, das ist akzeptabel. Und da kommt sicher hoffentlich bald noch eine Eigenschaft hinzu", meinte sie, als sie durch die von mir geöffnete Restaurant-Tür schritt.
"Aha, welche?", fragte ich neugierig.
Sie wartete mit der Antwort, bis wir nebeneinander an einem Tisch Platz genommen hatten. Dann flüsterte sie mir ins Ohr: "Die geilste." ___
Nun, in dieser Nacht bekam ich noch keinen Anlass für ein Lob dieser mir noch unbekannten Seiten von ihr, aber war fast so weit, sie um die Einlösung ihres Versprechens zu bitten, weil der Austausch von Zärtlichkeiten und langen Küssen diesmal nicht vor ihrem Bett, in dem wir uns zur Abwechslung mal befanden, Halt machten. Und nicht ohne Folgen blieben.
Bei beiden, denn kalt ließ es sie sicher nicht, meine Erektion an ihrem Hintern zu spüren, als wir versuchten einzuschlafen. Ich konnte spüren, wie es in ihr arbeitete, sie die Möglichkeiten abwog, ohne dass wir darüber sprachen. Das langsame Abschwellen beruhigte uns dann aber beide und machte ihre hinausgezögerte Entscheidung unnötig. Wir schliefen selig ein.
Und wiederholten aufgrund des wirklich schönen Wetters am Samstagmorgen das Spazierengehen, wobei diesmal unser Gespräch im Mittelpunkt stand.
"Tja, wie fange ich an? Als ich Jonas kennenlernte, bei der Party einer Freundin, war ich am Anfang nicht einmal besonders beeindruckt. Er riss Witze, die ich überhaupt nicht lustig fand und wirkte insgesamt übertrieben auf sich und sein Äußeres bedacht, wie ihn andere wahrnahmen, weiß nicht, ob du verstehst, was ich meine?"
"Doch, ich glaube schon. Ein Selbstdarsteller."
"Exakt. Dass er damit versuchte, die Unsicherheit zu kompensieren, die er bei gesellschaftlichen Anlässen dieser Art empfand, ging mir dann aber auf, als wir uns irgendwann alleine unterhielten. Da war er nämlich völlig anders. Und wirklich interessant. Sogar sein Humor war erträglicher", meinte sie mit sanftem Lächeln.
"Und er interessierte sich für mich. Stellte mir tausend Fragen, ließ alle anderen links liegen, obwohl da sicher interessantere Leute auf der Party waren. Seine akademischen und beruflichen Erfolge teilte er mir in Nebensätzen mit. Er war schon zu dieser Zeit auf seinem Gebiet eine gewisse Berühmtheit."
"Wie alt war er da?"
"Zweiunddreißig, er ist fünf Jahre älter als ich, wir waren ein Jahr zusammen, bevor wir geheiratet haben."
"Und du hast dich schnell in ihn verliebt?"
"Blitzschnell. Noch an dem Abend auf der Party. Ich... hätte auch schon in der Nacht mit ihm geschlafen, aber er schien nicht mal auf die Idee zu kommen, wollte lediglich meine Telefonnummer. Na ja, wir trafen uns in der Woche darauf, sind Essen gegangen, und danach dann tatsächlich auch ins Bett. Und das war... anders. Er ist ein wirklich guter Liebhaber, aufmerksam, geduldig, stellte meine Bedürfnisse voran. Und befriedigte die wirklich gründlich. Am Anfang zumindest."
"Verstehe. Aber das war nicht alles, was dich an ihm reizte?"
"Nein, natürlich nicht. Er erweckte den Eindruck, mich wirklich zu verstehen, wirklich um mich bemüht zu sein. Mir den Himmel auf Erden bereiten zu wollen. So war es auch für mich, vielleicht die ersten zwei oder drei Jahre. Egal wie eingespannt in seiner Arbeit er war, fand er immer ausreichend Zeit für mich, war liebevoll und aufmerksam, hatte viele der Eigenschaften, die ich in einem Mann wünschte. Und wünsche", fügte sie hinzu und sah mich an. "Die du ebenfalls hast."
"Danke für die Blumen. Was änderte sich dann?"
"Wir beide änderten uns. Seine Karriere wurde ihm wichtiger, er war einer großen Sache auf der Spur, die Arbeit, die ihm später die Nominierung einbrachte. Ich verstand und akzeptierte, dass er deshalb weniger Zeit für mich hatte. Und das bedeutete für mich, dass ich mich wieder mehr mit mir selbst beschäftigen konnte. Mit Körperarbeit und Meditation, Lesen und ich habe sogar an der Uni ein paar Vorlesungen als Gasthörer besucht, die mich interessierten. Mein Job forderte mich nicht wirklich, also konnte ich mir dies zeitlich und von der Energie her ohne Weiteres leisten. Er fand das gut, obwohl er bei den Themengebieten, die mich interessierten, schon anfing mit seinem "kein Kommentar" eine gewisse Enttäuschung und Genervtheit bei mir auszulösen."
"Er konnte deine Faszination nicht nachvollziehen."
"Nicht nur das, er äußerte sich nicht dazu, weil ihm klar war, dass sein Standpunkt hierzu mir nicht gefallen würde. Er drückte sich davor, sich mit mir auf Diskussionen darüber einzulassen. Aber das war nicht alles, was sich änderte. In der knapper werdenden Zeit, die wir miteinander verbrachten, war er ziemlich auf Sex fixiert. Nur, dass du das jetzt nicht falsch verstehst: Unterschätz da bitte nicht meine Libido, ich brauche da schon selbst so einiges, um mich wirklich wohl und befriedigt zu fühlen. Genau das bekam ich aber nicht mehr. Denn wenn wir miteinander Sex hatten, ging es ihm nun plötzlich fast nur noch um seine "Entspannung" nach einem langen Arbeitstag. Seine "Rückkehr in die physische Welt" nannte er das immer. Im Gegensatz zu früher hieß das, er vögelte mich wie ein Wilder, verausgabte sich dabei und schlief kurz darauf ein. Nicht unbedingt das, was ich mir von einem erfüllten Sexualleben wünschte und vorher ja auch bekommen hatte."
"Und du hast das nicht angesprochen?"
"Doch, natürlich. Er machte auf verständnisvoll und entschuldigte sich, gelobte Besserung und gab sich die nächsten Male wieder mehr Mühe. Und dann ging das Spiel wieder von vorne los. Bis ich dann irgendwann einmal sagte, dass ich das so nicht wollte. Entweder hatten wir beide was davon, oder wir ließen es halt. Er war ziemlich beleidigt, dass ich ihm "sein gutes Recht" verwehren wollte. Das führte dann zu längeren Diskussionen, aber auch dazu, dass wir uns wieder annäherten. Beide Willens waren, zu akzeptieren, dass es nicht nur um uns ging. Wir liebten uns schließlich und wollten beide unsere Ehe nicht sauer werden lassen. Es ging dann irgendwie weiter, allerdings schliefen wir nach und nach immer seltener miteinander. Wobei wir dabei eben versuchten, beide was davon zu haben."
"Verstehe. Aber sonst lief die Beziehung so, wie du sie dir gewünscht hattest?"
"Nein. Es fehlte mir der Austausch über Dinge, die mir wichtig waren. Er erzählte mir gleichfalls nicht viel von seiner Arbeit. Ich hatte mal versucht mich einzulesen, damit er das tun könnte, bin aber kläglich gescheitert. Das war mir alles zu abstrakt und abgehoben. Wenn ich ganz ehrlich bin, waren meine Versuche auch eher halbherzig. Und endeten, als ich ihm von einer Vorlesung erzählte, die mich beeindruckt hatte, mit einem amerikanischen Gastdozenten, einem Bioenergetiker. Originalton von ihm: "Lass mich doch mit diesem Kinderkram in Ruhe. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun."."
"Na toll. Das hat dich sicher verletzt?"
"Ja und wie. Es war das letzte Mal, dass ich versucht habe, ihm meine Geschichten näherzubringen. Und mich um Verständnis für seine Arbeit zu bemühen. Das versuchte er auch gar nicht mehr mir abzuringen, nachdem er mir einmal sagte, es gäbe eine gute Einführungsvorlesungsreihe an der Uni, die sich mit seinem Arbeitsfeld beschäftigte. Da habe ich es ihm heimgezahlt und gemeint, er solche mich mit seinem unwesentlichen abstrakten Quatsch verschonen. Den doch irgendein anderer Halbtrottel in fünf Jahren dann widerlegt. Er hat geschluckt, aber nicht einmal eine Diskussion gewagt. Es hätte zu einer Eskalation geführt und vielleicht auch sollen, aber wir begnügten uns mit einem Waffenstillstand. Wir rührten einfach nicht mehr an den Sachen, die uns bewegten und beschäftigten. Es gab aber eben noch viele andere Dinge, die wir miteinander tun konnten und taten."
"Das ist wirklich schade, wenn das ausgeklammert wird, man dort nicht teilen kann."
"Ja, aber ich konnte mich trotzdem ohne weiteres über seine Erfolge und letztlich seine Nominierung freuen. Das reichte ihm scheinbar auch. Dass ich ihn so annahm, wie er war. Mit ihm litt, als er den Preis dann doch nicht bekam. Er hat es nie zugegeben, aber es traf ihn ganz furchtbar. Erst war er total überrascht, unter den Nominierten zu sein, auch und gerade, weil er ja noch so jung war. Als er dann die anderen Nominierten sah, hat er sich wohl doch echte Chancen ausgemalt, den Preis zu bekommen. Umso größer war die Enttäuschung, als das nicht geschah. Ich hab versucht ihn aufzufangen, mit meiner Liebe aufzufangen. Habe mich völlig zurückgenommen, ohne großes Aufheben darum zu machen. Und hatte das Gefühl, es wäre auch mein Verdienst, dass er sich zu rappeln schien."
"Vielleicht war es das auch."
"Nein, er hat sich Ablenkung verschafft. Mit meiner Schwester. Mit Birgit."
"Oh, verdammt."
"Ja, verdammt. Davon hatte ich natürlich keinen blassen Schimmer. Freute mich darüber, dass er wieder ausgeglichener war. Sich wieder mehr um mich kümmerte. Ich nahm das als gutes Zeichen. Vermutlich war es nur das schlechte Gewissen, weil er mich betrog."
"Und davon hast du nie etwas bemerkt?"
"Doch, vor circa zwei Jahren kam er nachhause und ich war einfach so gut drauf, dass ich ihn umarmte und küsste, obwohl auch das immer seltener geschah. Er roch nach Muschi im Gesicht. Für einen Moment war ich geschockt. Ich habe ihn zur Rede gestellt und einfach gefragt, ob er mit einer anderen Frau im Bett war. Ihm war zwar wohl nicht klar, woher ich das wissen konnte, aber nach einigem Herumdrucksen hat er es dann zugegeben."
"Das hat dich natürlich total verletzt?"
"Nein, nicht wirklich. Ich habe eigentlich erwartet gehabt, dass es früher oder später einmal passiert. Er ist charmant, sieht gut aus, ist brillant, warum sollte das nur mir auffallen? Und warum sollte das so ein großes Thema sein? Ich empfand es als normal, da für ihn Sex und Liebe eben nicht untrennbar miteinander verbunden waren, das hatte er mir natürlich zu Beginn unserer Beziehung erzählt. Und ich hielt mich für offen und verständnisvoll genug, ihm so kleine Fehltritte durchaus zugestehen zu können. Das sagte ich ihm dann auch. Was mich hätte irritieren sollen war, dass er nicht wirklich erleichtert wirkte."
"Weil es eben nicht nur Sex war? Oder weil es mit deiner Schwester und eine länger anhaltende Affäre war?"
"Beides. Erst vor einem Monat dann rückten sie mit der Sprache raus. Gemeinsam. Sie lieben sich. Sein Spruch dazu: "Immerhin jemand in deiner Familie, der meinen Wert und seinen Platz wirklich korrekt einschätzen kann und damit zufrieden ist"."
Uff. Das machte ihn mir nicht sympathischer. Im Gegenteil. Dafür hätte ich ihn mir am liebsten gleich vorgeknöpft. Das schien sie zu fühlen.
"Immanuel... ich sehe, was da gerade in deinem Köpfchen herumspukt. Denk nicht mal dran. Es kann durchaus sein, dass ihr zwei mal aufeinandertreffen werdet. Jonas hat mir wehgetan, ja. Auch mit diesem Spruch, aber nicht nur. Aber deshalb möchte ihn keineswegs in der Intensivstation sehen, verstanden? Das ist ohnehin etwas, worüber wir noch miteinander reden müssen, wo ich dich nicht so ganz verstehe. Okay?"
"In Ordnung. Ich würde nie etwas tun, was du nicht möchtest. Nur dass wir uns da verstehen, wie unter aller Sau so ein Spruch ist, ist dir doch aber schon bewusst?"
"Ja, aber jetzt pass auf. In einer Ehe kommen solche Sachen einfach auch mal vor. Ich bin nicht der Engel, für den du mich hältst. Er hat regelmäßig bereut, mich mal auf dem falschen Fuß mit einem dummen Spruch zu erwischen. Bitter bereut. Ich wehre mich schon, wenn man mich verletzt. Ich will und ich brauch keinen Ritter, der sich für meine Ehre schlägt. Ich habe sehr schöne Zeiten mit ihm gehabt, ich hab ihn wirklich geliebt und vielleicht tue ich das jetzt immer noch. Nur die Basis, um Liebe und eine Beziehung zu erhalten, das Vertrauen, hat er verspielt. Er hat menschlich nicht das gehalten, was ich mir von ihm versprochen hatte. Er hat mich niemals als Ganzes gesehen oder auch nur sehen wollen. Ich hoffe, er kann mit meiner Schwester glücklich werden, obwohl ich das bezweifle. Dafür kenne ich beide zu gut. Meine Geschichte mit ihm ist in jedem Fall abgeschlossen."
"Was aber in dir noch weiterläuft, ist die Auseinandersetzung damit, was zum Scheitern geführt hat, und wie deine Rolle darin zu sehen ist."
"Ja. Weil ich Fehler nicht wiederholen möchte, Muster erkennen will, die immer wiederkehren, die es auch in früheren Beziehungen gegeben hat. Was da alles falsch gelaufen ist, kann ich nicht mehr ändern, aber mich schon. Und vor allem jetzt, da du in meinem Leben bist. Ich bin keine Cassandra, auch wenn ich unter dem gleichnamigen Komplex zu leiden scheine, aber ich kann unsere gemeinsame Zukunft wirklich sehen."
"Da bin ich mir jetzt nicht sicher, was du meinst. Auf welchem Komplex du da anspielst, das mit der gemeinsamen Zukunft absolut. Auch deine Ängste verstehe ich total."
"Der Cassandra Komplex - wer Cassandra war, ist dir bekannt?"
"Ja natürlich. Eine Seherin in Troja. Deren Visionen und Warnungen nicht beachtet wurden."
"Genau, in der moderneren klinischen Psychologie versteht man darunter, dass Dinge, die gemeinhin der Weiblichkeit zugeschrieben werden, wie Intuition, Emotionalität, Wahrnehmung von non-rationalen Zusammenhängen oder eben auch Visionen in der patriarchalischen Gesellschaft ignoriert oder marginalisiert werden und Frauen und ihre Erfahrungen so abqualifiziert, unsichtbar, weil irrelevant. Was natürlich zum Leiden führt."
"Also in gewisser Hinsicht ein Spiegelbild deiner Ehe."
"Ja, und im übertragenen Sinn das Spiegelbild unserer Gesellschaft, die immer noch patriarchalisch ist, machen wir uns trotz der Fortschritte in der Emanzipation doch nichts vor. Die gedankliche Ausrichtung hat sich noch in keiner Weise verschoben, die Überbetonung des Rationalen und männlicher Werte führt in meinen Augen zu vielen von den Problemen, mit denen wir uns alle konfrontiert sehen."
"Absolut."
"Äh, was? Du stimmst mir zu?"
"Vorbehaltlos. Auch wenn ich die Hoffnung habe, dass die Entwicklung sich noch rechtzeitig in die richtige Richtung beschleunigt, zu dem Ergebnis war ich schon vor mehr als zwanzig Jahren gekommen. All meine Lebenserfahrung hat diese Einsicht zementiert."
"Aber... also gut, dann lass uns jetzt darüber sprechen. Warum Bundeswehr? Warum hast du dich zum Töten und zur Gewalt ausbilden lassen? Ist das nicht ein fundamentaler Widerspruch zu deinen Erkenntnissen und dem, was ich sonst von dir und deiner Persönlichkeit wahrgenommen habe?"
"Ja, das muss so erscheinen. Mein Verhältnis dazu war von jeher ambivalent. Bevor ich eingezogen wurde, hatte ich ernsthaft daran gedacht, den Wehrdienst zu verweigern. Ich wusste nicht wirklich, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, von dem ich wusste, dass es irgendwann im Laden meiner Eltern enden würde. Ich hatte überlegt, ob ich Philosophie studiere, oder Germanistik, aber mir war unklar, wie ich davon danach meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Als Lehrer oder Dozent habe ich mich nie gesehen. Zudem habe ich lange darüber nachgedacht, ob es ehrlich wäre, wenn ich sagen würde, dass ich nicht bereit wäre, andere vor Leid und Tod notfalls mit der Waffe in der Hand zu schützen. Ich kam zu einem klaren Nein. Also habe ich mich zum Grundwehrdienst eingefunden. Und schaffte mir so noch eine Gnadenfrist, um darüber nachzudenken, was ich beruflich machen könnte."
"Du hast dich erst nach dem Grundwehrdienst dazu entschlossen, Berufssoldat zu werden?"
"Nein, schon während. Es hing damit zusammen, dass ich schon in dieser Zeit in den Stab kam. Und mich dort wohlgefühlt habe, ein Talent für das hatte, was ich tat. Und Männern begegnet bin, die ich dort nicht erwartet hatte. Männer mit Format, von höchster moralischer Integrität. Einer von ihnen hat mir mal gesagt, solange es Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen gibt, braucht es eine Armee. Und in dieser Armee Menschen mit Charakter, die die richtigen Befehle geben oder die falschen verweigern. Die nicht nur eine anfällige und wandelbare Idee eines politischen und geographischen Konstrukts verteidigen, sondern zunächst und zuvörderst die Menschen, die ihnen anvertraut sind. Sein Großvater hatte das getan und ist dafür hingerichtet worden, weil er am Attentat an Hitler beteiligt gewesen war."
"Und das hat dich beeindruckt."
"Es hat nur das zusammengefasst, was ich ebenfalls so empfunden hatte. Als er mir dies sagte, war ich längst Berufssoldat. Es hatte ja auch anfänglich mehr den Charakter einer imaginären Landesverteidigung und humanitärer Einsätze. Eine Routine von Manövern und Planspielen. Logistik. Wir hatten so viel mit Krieg zu tun, wie die Stadtverwaltung. Eine strukturierte Umgebung, klare Regeln und Vorschriften. Wobei ich hier Struktur nicht im strikten rombachschen Sinne meine. Ich hatte einfach einen Platz gefunden, wo ich mich weitestgehend wohlfühlte, meine Fähigkeiten einsetzen konnte und dafür anerkannt, ge- und befördert wurde."
"Und dann kam Afghanistan."
"Dann kam Afghanistan. Wenn du gesehen hättest, was der Taliban angerichtet hat, hättest du dich wie ich mich zunächst bestätigt gefühlt. Dem musste Einhalt geboten werden. So etwas darf es nicht geben. Erinnerst du dich an den Kameraden, von dem ich erzählt habe, den ich gehalten habe, weil er unter Schock stand? Es gab zwei Kinder, die uns Obst und Gemüse von ihrem Bauernhof verkauft haben, ein Junge von zehn Jahren und seine zwölfjährige Schwester. Trotzdem wir uns kaum mit ihnen verständigen konnten, hatten wir sie alle ins Herz geschlossen und ihnen Süßigkeiten und sowas zugesteckt. Zwei Kilometer von unserem Camp entfernt hat er sie dann enthauptet neben der Straße gefunden."
"Oh mein Gott."
"Ja, das muss furchtbar für ihn gewesen sein. Und das war Alltag. Aber nicht nur der Taliban mordete Unschuldige, Kinder und Greise, mal abgesehen davon was sie Frauen angetan haben. Es gibt keinen sauberen Krieg, keine intelligenten Waffen, die zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden. Wir haben gesehen, was die Luftangriffe der Alliierten angerichtet haben. In einem Dorf haben sie vielleicht zehn Taliban-Kämpfer erwischt und dreißig Zivilisten. Darunter viele Kinder. Uns wurde hinterher gesagt, es wurde ein falsches Ziel ausgegeben, das Gros der Truppen, die angegriffen werden sollten, befand sich im Nachbardorf. Keiner von uns hat das geglaubt, nebenbei. Die Wut, die du angesprochen hast, ja, die fühlte ich da, kalte, ohnmächtige Wut."
"Und... warst du auch gezwungen, auf andere Menschen zu schießen?"
"Wir hatten keinen Kampfauftrag. Wir sind einmal in einen Hinterhalt mit unserem Konvoi geraten und wurden beschossen, zum Teil auch mit schwereren Waffen. Unser Kommandeur hat die Entscheidung getroffen, durchzubrechen und die war in dem Moment richtig, sonst wären wir dort zermalmt worden. Also sind wir abgesessen haben wir das Feuer erwidert. Ich war Soldat. Auch dafür bin ich ausgebildet worden. Ich habe wie alle anderen auch zurückgeschossen, wobei man in dem Gelände mit unseren Waffen höchstens Zufallstreffer hätte landen können, aber zumindest haben wir sie so eine Weile beschäftigt. Es gelang uns dann relativ schnell uns abzusetzen, weil wir Unterstützung aus der Luft bekamen und uns der Weg sozusagen freigeschossen wurde. Auf unserer Seite gab es nur zwei Leichtverletzte."
"Und was hast du dabei empfunden?"
"Ehrlich gesagt nicht viel. Es war wie ein tausendmal geübter Vorgang, nur dass uns diesmal echte Kugeln und Granaten um die Ohren flogen. Es hat mich nicht sonderlich beeindruckt. Ich war froh, dass ich mit heiler Haut rausgekommen bin und meine Kameraden auch. Das war das, worauf ich vorbereitet gewesen bin. Auch ein Ziel zu werden. Ein anderes Mal wurde unser Konvoi von einer IED erwischt, da hat es Tote gegeben, aber nicht unter uns deutschen Soldaten. Es war ein Schock, weil es so völlig unerwartet kam, aber selbst das irgendwie mit dem vereinbar, worauf wir vorbereitet gewesen waren. Schlimmer war es zu sehen, wenn wir Flüchtlinge aus den Kampfgebieten zu sichern hatten und sie in Lager verlegten. Verwundete, Verstümmelte, zerstörte Leben und Familien, die nicht einmal sagen konnten, in wessen Feuer sie da geraten waren. Sie waren einfach im Weg gewesen, als die Auseinandersetzungen begannen. Keine der beiden Seiten hat auf sie Rücksicht genommen."
"Das muss furchtbar gewesen sein."
"Ja, weil wir uns so hilflos fühlten. Und dann... Auf einem Basar, wo wir zu dritt nach Dienstschluss in einer kleinen Stadt Andenken vor dem Ende unserer Tour kaufen wollten, hat sich am anderen Ende ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und dreißig andere Menschen mit in den Tod gerissen. Das war das Andenken, was wir mit nachhause genommen haben, den Anblick zerfetzter Leiber, sterbender Verwundeter, und wir standen ohnmächtig dabei, konnten ohne unsere Sanitäter absolut nichts tun, nicht einmal vernünftig erste Hilfe leisten."
"Komm, setz dich auf die Bank, du zitterst total", drang ihre besorgte Stimme aus großer Entfernung in mein Bewusstsein.
"Das ist das Gesicht des Krieges heutzutage, da gibt es keine richtigen oder falschen Befehle, wo es moralisch einwandfreie Charaktere braucht. Es ist nur noch das Grauen zu verwalten und zu ertragen. Der Tod kommt aus der Luft und aus ferngezündeten und lebenden Bomben. Menschen sterben und töten aus Fanatismus, oder Angst vor der Veränderung. Kämpfen gegen eine andere Idee. Das ist Afghanistan. Es wird dort noch lange so weitergehen, der Konflikt wird nicht durch Landgewinn oder Verlust entschieden, nicht durch Strategie oder Enthauptungsschläge gegen die Führung des Gegners."
"Und deshalb hast du die Bundeswehr verlassen? Weil sie dort nichts verloren hatte?"
"Nein, weil diese Konflikte nicht mit Waffengewalt zu lösen sind. Die Situation hat sich insgesamt geändert, es ist unwahrscheinlich, dass wir noch einmal unser Land verteidigen müssen. Und der jetzige Konflikt... Die Lage ist paradox. Einerseits muss jemand für diese Menschen dort eintreten, ihnen Schutz vor der grausamen Willkür der Fanatiker bieten, andererseits ist das gar nicht möglich. Eine Idee kann man auch mit der bestausgerüsteten Armee nicht einkesseln und besiegen. Die Front sieht man nicht, sie ist immer und überall. Sie wird auch hier in Deutschland ankommen, aber die Bundeswehr wird nicht die sein, die die Verteidigung übernehmen kann."
"Also sahst du deine Prämissen nicht mehr gegeben?"
"Ich sah die Klarheit des Auftrags, aber auch der übergreifenden Strukturen nicht mehr gegeben. Zumindest dieser Krieg ist Chaos, Anarchie. Ich sage nicht, dass die Bundeswehr nicht auch wieder in anderen Konflikten eine Rolle spielen kann, die dem eigentlichen Auftrag nahekommt, aber in diesem kann sie ihn nicht erfüllen. Ich hatte für zwanzig Jahre unterschrieben, also lief meine Verpflichtung ab. Ich habe gar nicht lange nachdenken müssen, um zu wissen, dass eine Verlängerung für mich nicht in Frage kommt. Meinem Vater ging es zu der Zeit auch gesundheitlich schon schlechter, meiner Mutter auch, aber das wusste ich da noch nicht. Es war Zeit für mich zurückzukehren. Ich weiß, all das wird für dich schwer nachzuvollziehen sein, aber ich habe selbst nach den Erlebnissen in Afghanistan nicht das Gefühl gehabt, einen Fehler gemacht zu haben, mich zu verpflichten. Es gab wie gesagt großartige Menschen dort, eine Kameradschaft, die mir sehr viel gegeben hat. Ich habe mein dort entdecktes Planungstalent gut einsetzen können und mich in diesem Rahmen ausgelebt und bestätigt gesehen. Und vielleicht... wenn ich wirklich das Gefühl gehabt hätte, den mir anvertrauten Menschen Schutz und Sicherheit durch meine Tätigkeit bieten zu können, hätte ich die Möglichkeit dort zu verbleiben, länger abgewogen. Aber das hatte ich nicht mehr."
"Du verstehst, warum es mir schwerfällt, deine Denkweise hier zu verstehen?"
"Ja und ich denke, die Richtung in die du eher denken wirst, also dass man eher dafür sorgen sollte, dass solche Konflikte überhaupt nicht entstehen, ist sicher richtig. Vielleicht wird die Menschheit sich wirklich weiterentwickeln und dies einmal so sein. Aber wie man jetzt, aktuell etwas tun kann, wo man mit friedlichen Mitteln ansetzen kann, entzieht sich wirklich meiner Vorstellungskraft. Ich habe aber tatsächlich die Hoffnung, dass eine stärkere Einflussnahme der Frauen in Gesellschaft und Politik hier einen Wendepunkt herbeiführen kann, das ist meine tiefste Überzeugung und nicht etwas, was ich dir erzähle, damit du dich von mir angenommen und bestätigt siehst. Wollen wir langsam weiter? Zum Sitzen ist es wirklich etwas zu kühl."
"Ja. Und ich sage dir ganz ehrlich: So, wie du die Sache betrachtest, habe ich nie darüber nachgedacht. Vielleicht habe ich es mir auch zu einfach gemacht, in dem ich Gewalt in jeder Form kategorisch ablehne. Ich denke, dieses Schwarz und Weiß-Denken ist eine Vereinfachung, die bei den vielen Grautönen unserer Wirklichkeit vielleicht dieser nicht gerecht wird. Ich habe mich gerade auch gefragt, was ich tun würde, wenn ich beispielsweise die Enthauptung der Kinder mit einer Waffe unterbinden könnte. Darauf gibt es für mich nur eine Antwort: Ja, ich würde es tun. Aber deine Bereitschaft, auch in persönlichen Konflikten Gewalt einzusetzen... das kann ich noch schwerer nachvollziehen."
"Oh... auch das verstehe ich, aber es gibt manchmal Situationen... hm, wirklich angewendet habe ich sie nur einmal. Wir waren mit einigen Kameraden in einer Art Dorf- beziehungsweise Kleinstadt-Disco, wo sich ein junger Uffz sehr ungebührlich über dort anwesende Damen mit Migrations-Hintergrund geäußert hat und dies auch nach verbalen Ermahnungen weiter tat. In seinem alkoholisierten Zustand schien er nur noch... hm... schlagenden Argumenten zugänglich zu sein. Ich habe ihm eine Backpfeife verpasst und eine Vertiefung der Lektion in Aussicht gestellt. Dies schien in diesem Rahmen angemessen und erfolgreich. Nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte, blieben jedwede weitere unpassende Kommentare aus. Auch später wiederholte er das nicht."
"Uffz? Aufgerappelt?"
"Unteroffizier. Hm, ja, die Backpfeife hatte etwas mehr Wucht, als vielleicht beabsichtigt und fegte ihm vom Stuhl. Es war allerdings nicht wirklich meine Intention, ihn zu verletzen. Selbsterziehung nannten wir sowas. Seine Äußerungen und sein Verhalten waren eines deutschen Offiziers nicht würdig."
Claudia kicherte.
"So quer und antiquiert du das eben formuliert hast, wo sich bei mir doch ein paar Nackenhaare sträuben, aber eben gleichzeitig meine Lachmuskeln gekitzelt werden, kann ich das sogar irgendwie nachvollziehen."
"Nun... es gibt einen Ehren- und Verhaltenskodex, das mag für dich antiquiert oder archaisch klingen und ist es vielleicht auch, aber in dieser Umgebung machte er Sinn. Ich hätte aber einem Mannschaftsgrad diese... Erziehungsmaßnahme ebenfalls zukommen lassen, so ist das nicht. Vielleicht auch einem Zivilisten."
"Es ist eine Welt, mit der ich mich nie auseinandergesetzt habe, mit Geschichte allerdings schon. Okay, das können wir irgendwann sicher vertiefen, es macht mich neugierig, da mehr drüber zu erfahren. Aber es klärt für mich schon im Moment, wie ich dich da einzuschätzen habe und dass du wahrscheinlich kein wilder Schläger bist, oder irre ich mich da?"
"Nein, keine Bange, ich verfüge über ein gerüttelt Maß an Selbstkontrolle. Obwohl sicher so einige fallweise eine Backpfeife brauchen könnten, um aufzuwachen. Ich könnte allerdings nie eine Frau oder ein Kind schlagen, falls dir dies Sorge bereitet."
"So hätte ich dich auch nie eingeschätzt. Ein Kind... das ist jetzt ein anderes Thema, aber könntest du dir vorstellen, Vater zu werden, ein Kind in die Welt zu setzen?"
"Darüber habe ich nie nachgedacht, weil das in der Regel eine Partnerin voraussetzt, aber ich würde spontan sagen, mit dir ja."
Ihr glückliches Lächeln informierte mich darüber, dass dies die Antwort war, die sie sich erhofft hatte, aber ich fragte trotzdem nach.
"Du möchtest gerne ein Kind?"
"Ja, eigentlich schon, im Grunde müsste ich vom Gefühl her sagen, früher oder später schon... aber die biologische Uhr tickt, daher wäre es eher früher denn später. Wenn ich das so sage, fürchte ich aber, dich und natürlich auch mich selbst damit potentiell unter Druck zu setzen... was ich nicht will, also würde ich sagen, es wäre schön, aber vielleicht ist es jetzt doch leider schon etwas zu spät..."
"Wider jede Vernunft würde ich sagen, von mir aus können wir gleich heute mit dem Versuch starten."
"Ja, das könnte dir so passen, das ist mir klar. Mir vielleicht auch... aber so gerne ich auch mit dir den Kopf verlieren möchte..."
"Komm, ich glaube, wir verstehen beide, ohne dass wir das weiter ausführen, was für eine wichtige Lebensentscheidung das wäre, die man sicher nicht übers Knie brechen sollte. Und dass wir ähnlich empfinden, dass wir uns das miteinander trotzdem vorstellen könnten, vom Gefühl her..."
"Ja, du musst aber auch verstehen, wie froh mich deine Antwort macht. Jonas wollte keine Kinder, er hatte ein ziemlich pessimistisches Weltbild und hielt sich für nicht als Vater geeignet... letzterem würde ich sogar bedingt zustimmen. Das hat jetzt nichts mit dem Fremdgehen zu tun. Er ist einfach... viel zu sehr mit sich und seiner Arbeit involviert... was ich ihm nicht einmal vorwerfen möchte, wahrscheinlich muss er sich dort so extrem einbringen, um sein Vermögen wirklich bestmöglich nutzen zu können. Das war schon für mich nicht einfach, damit umzugehen, aber ein Kind... braucht doch einen Vater der ansprechbar ist, und nicht erst von seinem Olymp der reinen Quantität herunterkommen muss, wenn es schreit, der erreichbar ist, seine Liebe zeigt und Zeit für es hat."
"Ja, natürlich, so sehe ich das auch."
"Ich glaube wir sollten langsam umdrehen... Sonst laufen wir noch bis München durch, so vertieft, wie wir in unser Gespräch sind."
"Soll eine schöne Stadt sein, da war ich leider noch nie. Mit dir würde bis ans Ende der Welt gehen. Und zurück."
"Das klingt wunderbar, wäre aufgrund der Kugelform der Erde aber gar nicht nötig", gab sie spitz zurück.
"Oh Gott, die Welt ist rund? Erleuchte mich weiter, Erhabene, mit dem Reichtum deines Wissens..."
"Gut, Er mag mich Cassandra nennen, und ich habe eine gar nicht mal so komplexe Vision: Ich sehe zwei nackte Leiber, die sich im fahlen Mondlicht im Schweiße ihres Angesichts auf den Gipfel der Lust quälen... warte Er, ich sehe noch mehr... ein Antlitz ist das Seinige..."
"Hätte sie solche Visionen von sich gegeben, hätte sie vermutlich durchaus Beachtung gefunden... Wann, Erhabene, wann, kannst du das sehen?"
"Die Götter geben mir solche Informationen nicht... ich schätze allerdings irgendwann zwischen 23:07 und 6:15."
"Das Datum zeigen dir die Götter ebenfalls nicht? Die Götter sind grausam, Erhabene."
"Die Erhabene ist es jedoch nicht, vergesse Er dies niemals. Wo wir gerade von Göttern sprechen... da habe ich gar nicht zurückgefragt. Wie sieht das bei dir mit Religion aus?"
"Oh, lange Zeit bin ich von meinen Eltern mit in die Kirche geschleift worden, obwohl die später auch nur U-Boot-Christen waren. Ich bin nominell wohl noch in der Kirche registriert, aber ich glaube ebenfalls nicht an höhere Wesen, wohl aber, dass es Menschen gegeben hat, die Außergewöhnliches geleistet haben, oder das noch tun."
"U-Boot-Christen?"
"Na ja, die halt einmal im Jahr zu Weihnachten in der Kirche auftauchen. Ich habe mich vor ein paar Jahren im Zuge meiner Rombach-Lesungen allerdings mal mit einem christlichen Mystiker auseinandergesetzt, Meister Eckhardt, weil er dort öfter Erwähnung fand. Ein hochinteressanter Mann, auch bei ihm gibt es durchaus Berührungspunkte zum Zen. Seine Erfahrungen klangen durchaus glaubwürdig."
"Gehört habe ich von ihm auch, gelesen aber noch nichts."
"Du findest eine Auswahl seiner Schriften in unserer Bibliothek. Eigenartig, nicht, dass sobald Religion involviert ist, Visionen und Grenzerfahrungen Männern wie Frauen gleichermaßen zugestanden werden, ich glaube in der christlichen Tradition schon seit dem frühen Mittelalter. In den herrschenden Strukturen hingegen durften sie keinerlei Rolle spiele, außer in den ihnen zugewiesenen Nischen, also als Äbtissin und dergleichen. Sagt dir Hildegard von Bingen etwas? Auch eine Visionärin mit Zugang zu intuitivem Wissen, die nebenbei wundervolle Hymnen geschrieben und sich mit Heilkunst beschäftigt hat. Wie gesagt, mit der Religion konnte ich allein schon aufgrund der Dogmatik nie etwas anfangen, aber solche Sachen, über das Leben und Wirken außergewöhnlicher Persönlichkeiten zu lesen, habe ich immer genießen können. Eine solche war sie auf jeden Fall. Sie hat mich fast so sehr beeindruckt wie du."
"Okay, das gestatte ich dir, wenn sie schon ein paar hundert Jahre tot ist..."
"Schon fast tausend, ich glaube mich zu erinnern, dass sie im 11. Jahrhundert geboren wurde, ganz sicher bin mir jetzt nicht. Und bei mir kannst du dich völlig sicher fühlen. Mein persönlicher Codex mag dir vielleicht so archaisch und rigide wie der unserer Offiziersgemeinschaft erscheinen, aber einen Fehltritt oder gar eine Affäre mit einer anderen Frau könnte ich mit meiner persönlichen Ethik und meinem Selbstbild nicht vereinbaren. Das stände für mich nicht einmal zur Debatte."
"Und andersherum?"
"Würde ich der Liebe meines Lebens jede Schwäche und jeden Fehltritt vergeben, so habe ich das glaube ich mal in einer meiner Geschichten ausgesponnen. Ob das in der Realität so wäre, weiß ich nicht, aber ich glaube, ich würde es zumindest versuchen. Ich hoffe natürlich, dass du das nie austesten wirst."
"Was macht dich so sicher, dass ich die Liebe deines Lebens bin? Wir kennen uns zwei Wochen, sind uns nahegekommen, ja. Aber ich bin die erste Frau, die du an dich heranlässt, was sagt dir, dass da nicht noch andere sind, die dir mehr geben können, dich noch besser verstehen, dich für deinen apollonischen Körper, deinen scharfen Verstand und vor allem deinem reinen und unverdorbenen Herzen vergöttern würden?"
Huch?
"Apollonischer Körper? Aber hallo. Wenn du nicht auf einen Sockel gehörst, dann ich doch wohl erst recht nicht. Ich will auch nicht vergöttert, sondern nur geliebt werden, für das, was ich bin. Reines und unverdorbenes Herz, das kann ich nicht beurteilen, aber ich bin mir sicher, dass du das auch noch nicht kannst, zumindest nicht auf rationaler Ebene. Und da... kommt meine Sicherheit ebenfalls nicht her. Ich teile deine Vision, obwohl es kein Bild für mich ist, nur eine Gewissheit. Ich weiß, dass du es bist. Ich weiß es. Ich frage mich nicht einmal, woher dieses Wissen kommt, ich...", bekam ich noch heraus, bevor sie ihre Arme um mich schlang und mich drückte und küsste, bis mir die Luft wegblieb.
"Habe ich versehentlich wieder Knöpfchen gedrückt?", fragte ich nach diesem erschütternden Kuss.
"Du hast den Knopf gedrückt."
"Und was habe ich damit angerichtet?", fragte ich vorsichtig, denn das Glimmen in ihren Augen sah nicht ganz ungefährlich aus.
"Meine Aufarbeitung ist abgeschlossen. Ich weiß jetzt, was in all meinen Beziehungen falsch gelaufen ist, warum sie nicht funktionieren konnten."
"Ehm... erstaunlich. Wie... was... ist das Ergebnis?"
"Weil sie nicht mir dir waren. So einfach ist das."
So einfach ist das. Oh.
"Und das bedeutet..."
"Das findest du in Kürze heraus."
Cassandra komplett
"Worauf hättest du für heute Abend Appetit? Wir haben noch nichts eingekauft", unterbrach sie die eigenartige Stille, die ihrem Ausbruch gefolgt war.
"Wir können das ja gleich auf dem Weg machen. Hm. Gar nicht so einfach sich auf solch profane Dinge zu konzentrieren... ich habe irgendwie das Gefühl, gerade auf eine völlig lautlose IED getroffen zu sein."
"Das kann man so sagen. Sammele dich. Konzentriere dich. Ab heute wird dir einiges abverlangt. Also? Irgendeine Idee? Was ist dein Lieblingsessen?"
"Oh... das wäre jetzt sicher zu aufwendig und könnte auch nicht ganz billig werden, daher..."
"Lass hören, kein wäre, hätte, würde, könnte mehr. Wir trennen uns heute vom Konditional."
"Lammkeule. Du wirkst... wild entschlossen. Sollte mir das Angst machen?"
"Nein. Lammkeule kann ich nicht nur, die liebe ich auch über alles. Ich hätte es wissen müssen. Warum frage ich überhaupt noch?"
"Ehm... für ein paar Erklärungen wäre ich dir schon dankbar."
"Nicht alles kann und sollte man mit Worten erklären. Haben wir noch einen passenden Wein? Wenn wir einen kleinen Umweg machen und über die erste Brücke gehen, könnten wir zu dem kleinen Weinladen neben dem Fahrradgeschäft."
"Wir haben zwar noch welchen da, aber den besten haben wir weggetrunken. Es scheint ein besonderes Festmahl anzustehen?", versuchte ich noch einmal, sie zu irgendwelchen Erklärungen zu verlocken.
"Der Tragweite des Ereignisses entsprechend", kam die wenig erhellende Antwort. Eigentlich konnte sie ja nur meinen, dass sie sich jetzt wirklich auf eine Beziehung mit mir einlassen würde. Obwohl ich noch nicht so weit war?
"Man könnte ja meinen, du planst mir heute meine Unschuld zu rauben", versuchte ich den spielerischen Ansatz.
"Ja", speiste sie mich einsilbig ab.
"Könnte man meinen, oder planst du?"
"Deshalb brauchst du jetzt nicht deinen Schritt zu beschleunigen. Teil dir deine Kräfte ein. Du wirst sie brauchen."
"Du... möchtest... mit mir... schlafen?"
"Was sagt deine Intuition dazu?"
"Dass ich froh sein kann, wenn ich diese Nacht überleben werde?", versuchte ich die immer größer werdende Spannung mit Humor aufzulockern.
"Siehst du, auf deine Intuition kannst du dich verlassen", gab sie schmunzelnd zurück. Ihr entschlossener Gesichtsausdruck war aber trotzdem noch vorhanden.
"Oh mein Gott. Du meinst das ernst. Du meinst das völlig ernst."
"Mit so etwas scherze ich nicht. Das Spiel ist aus. Du hast verloren. Und mich gewonnen."
Ah. So fühlte sich wahrscheinlich ein Herzinfarkt an. Sie war noch fünf Schritte weitergelaufen, bevor sie bemerkte, dass ich stehengeblieben war.
"Ist was?", fragte sie amüsiert.
"Ich glaube, ich muss mich erstmal irgendwo setzen."
"Unsinn. Du bist Soldat, ein deutscher Offizier. Nimm gefälligst Haltung an. Augen geradeaus, und dann los, marsch, marsch."
Ich setzte mich in Bewegung, wie befohlen.
"Also hast du jetzt das Kommando?"
"Ja, und ich habe den Durchbruch befohlen. Und wenn du wirklich der Mann von Charakter bist, für den du dich hältst, wirst du diesen Befehl befolgen."
"Aha, und das ist ein Kommando auf Lebenszeit?"
"Nein, nur bis du deine Ausbildung abgeschlossen hast."
"Oh. Meine Ausbildung. Wo du so zärtlich mit mir umgehst, wie beim Yoga?"
"Ich werde zärtlich mit dir umgehen. Aber ja, du wirst wie beim Yoga deine Grenzen kennenlernen. Und nach und nach erweitern. Die Planung für heute überlasse bitte auch mir", fügte sie mit sanfter Stimme hinzu. "Es wird nicht zu deinem Schaden sein."
"Claudia, bist du dir sicher, dass du... das willst?"
"Ja. Ich bin mir sicher. Hundertprozentig, tausendprozentig sicher, dass ich nicht nur das, sondern dich will. Mit jeder Faser meines Seins. Von ganzem Herzen, ganzer Seele, mit meinem ganzen Körper, in Gleichklang von Kopf, Herz und Bauch, so, wie ich es noch nie für irgendeinen Menschen empfunden habe. Ich liebe dich. Ich bin nicht in dich verliebt. Ich liebe dich bereits. Habe dich immer geliebt, bevor ich überhaupt wusste, dass es dich gibt. Du bist meine verlorene Hälfte, du machst mich komplett. Du bist mein und ich bin dein. Das kann nicht einmal der Tod noch scheiden. Noch Fragen?"
Das war eigentlich eine ziemlich erschöpfende Antwort. Und hätte meine sein können.
"Nö, hätte ja sein können, dass es dir anders als mir geht. Mit Frauen kenne ich mich halt nicht so aus", meinte ich, riss sie von der Tür zum Weinladen zurück und nahm sie in meinen Arm. Küsste sie zärtlich und blockierte so mit ihr die Tür für den nur am Anfang schmunzelnden Kunden, der den Laden gerade verlassen wollte. Dann wurde er langsam ungeduldig und wir entschuldigten uns kurz, als wir den Weg freigaben.
Unsere Einkäufe erlebte ich in einem seltsamen Zustand aus erhöhter und geschärfter Wahrnehmung, wo jedes Detail sich in meinem Bewusstsein einzubrennen schien, und dabei gleichzeitig völlig entrückt, als ob ich uns und sie wie mit einem Weichzeichner sah.
Wir wurden erneut eigenartig still, bei mir zumindest gleichermaßen die Gedanken, es war ein ruhiger, sanfter Fluss, gar kein Vorausdenken mehr, einfach nur ein Verharren in dieser glückseligen Gewissheit, dass alles einfach nur noch geschehen würde. Und alles, was es zu tun gab, war, das in vollen Zügen zu genießen.
Erst in der Wohnung schaltete sich langsam wieder mein Kopf zu. Regulierte sich alles wieder in der vertrauten Umgebung ein. Sank zögernd ein, dass sich mein Leben nun so radikal verändern würde, wie ich es mir nicht einmal hätte erträumen oder vorstellen können. Aber da war keine Spur von Angst. Keine mahnende Stimme im Hintergrund, die "Moment mal" säuselte oder "denk nochmal über alles in Ruhe nach".
Dabei konnten mich, den Kopfmenschen, die kurzen Momente der non-rationalen Gewissheit doch eigentlich rational noch gar nicht überzeugt haben. Ich konnte doch noch gar nicht so weit sein, auch mir selbst da so vollständig zu vertrauen, wie ich es tat. Was war das?
"Du grübelst?", riss mich Claudia aus den Gedanken.
"Ich frage mich, warum mein Kopf sich nicht gegen seine Entmachtung wehrt", erklärte ich zögernd.
"Weil sie das nicht ist. Weil du genau wie ich auch rational wahrnimmst, dass wir uns wunderbar ergänzen und ausbalancieren. Probiere es mal, suche nach einem Argument, warum wir nicht zueinander passen könnten."
"Oh..."
Ich dachte wirklich eine Weile nach, während wir in der Küche saßen und einen Kaffee tranken. Es war tatsächlich schon früher Nachmittag, der Spaziergang und die Einkäufe hatten weit länger gedauert, als uns das vorgekommen war. Wie war das möglich? Mir fiel nichts ein... absolut nichts.
Weil ich noch nicht alles über sie wusste? Ihre Schattenseiten noch nicht kannte? Aber was konnten die sein? Außer normalen Regungen, wie eben auch mal verbal zurückzuschlagen, wenn sie sich angegriffen fühlte, hatte ich nichts von ihr gehört, was in diese Richtung gehen könnte. Hm.
Und selbst wenn sie mir mal wehtun würde... ich fürchtete mich nicht vor Schmerzen, weder körperlichen noch seelischen. Ich selbst... begann mir zu vertrauen, wusste um meine Möglichkeiten, aber ebenfalls meine Grenzen. Traute mir das notwendige Wachstum, die Offenheit gegenüber positiven wie negativen Erfahrungen ehrlich zu. Ich fürchtete mich nicht vor einem Versagen.
"War es das, was du ebenfalls für dich klären musstest? Darum die Fragen, Kinderwunsch, meine Einstellung zu Gewalt, zur Religion?"
"Ja, obwohl ich mir da nur Bestätigungen für meine vorhandenen Vermutungen eingeholt habe. Und es sicher noch tausend andere Dinge gibt, über die wir nicht gesprochen haben. Aber es kommt immer wieder dasselbe Ergebnis: Wir mögen in Nuancen anders über manche Dinge denken, oder aus einer anderen Sichtweise an sie herangehen, aber im Prinzip sind wir immer in einem Bereich, wo es nur geringe Abweichungen gibt. Wo wir den Standpunkt des anderen vielleicht nicht hundertprozentig teilen, aber er dem eigenen doch entweder so nahe ist, oder so akzeptabel ist, dass sie wunderbar miteinander vereinbar sind. Oder wir sie einfach so nebeneinander stehenlassen können."
Das stimmte. Verrückt, aber es stimmte. So unterschiedlich wir auch waren, es gab keine scharfen Trennungen, keine Demarkationslinien.
"Ist das irre."
"Nicht wahr? Ich bin tatsächlich eine Menge von meinen alten Verhaltensmustern durchgegangen und dann kam immer wieder ein ähnliches Ergebnis, wie, nein, da können wir uns nicht reiben, nein, das könnte ich ihm gar nicht antun, nein, da fehlt ihm diese oder jene negative Eigenschaft, die mich dann mit runterzieht, oder zu Reaktionen zwingt. Glaube mir, ich habe angefangen, an meinem Verstand zu zweifeln. Keines der Muster, in die ich immer wieder zurückgefallen bin mit anderen, könnten mir dir überhaupt angefangen werden."
"Bleibt also nur noch der Sex."
"Oh ja. Aber da bist du ja in der Ausbildung. Und ich hab das Kommando. Besser kann die Konstellation für mich da gar nicht sein. Für dich auch nicht. Das wirst du nachher erleben."
"Hm. Ich hab komischerweise nicht mal dort mehr Angst vor dem Versagen... Nur aus Neugier: Gestern Nacht... hast du darauf gewartet, dass ich darum bitte, mir... behilflich zu sein?"
"Das wird dich amüsieren. Nein, ich habe mit mir gerungen, ob ich dich bitte, mir behilflich zu sein."
"Oh, du warst ebenfalls erregt?"
"Erregt ist fast eine zu schwache Umschreibung. Meine grüne Grotte wurde zur Tropfsteinhöhle. Ich habe dir ja mal gesagt, dass nicht die mindeste Ahnung hast, welche Wirkung du auf mich hast. Ich müsste jetzt langsam mit der Lammkeule anfangen, nebenbei, die braucht zweieinhalb Stunden im Ofen, und die Vorbereitung dauert auch noch mal mindestens eine halbe Stunde. Dann wird sie richtig zart."
"Was ich von mir nicht gerade behaupten kann, wenn du mir solche Sachen erzählst. Ganz im Gegenteil."
"Ja, ich weiß. Ich liebe es, dich heiß zu machen. Das hast du nie richtig verstanden. Das hat bei mir nämlich meist sofort denselben Effekt. Nur halt für dich nicht sichtbar. Da sind wir Frauen doch leicht im Vorteil."
"Oh. Kann ich dir irgendwie helfen? Ich meine jetzt tatsächlich nicht mit deiner Erregung, sondern mit der Vorbereitung der Lammkeule."
"Ja, du kannst ein paar Möhren schnipseln, wenn du möchtest. Und Knoblauch schälen. Wir brauchen zwei volle Knollen."
"Vor Vampiren werden wir uns in dieser Nacht dann vermutlich nicht fürchten müssen."
"Nein, was dir heute eventuell noch ausgesaugt wird, hat nichts mit Blut zu tun."
Und durchatmen.
"Oh. Wenn du so weiter machst, schneide ich mir aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Finger und schon kommt Blut ins Spiel."
"Ich halte mich ja schon zurück. Extremst zurück. Blut hat übrigens ebenfalls damit zu tun, dass ich schon heute beginnen will."
"Oh?"
"Es kann sein, dass ich morgen oder Montag meine Periode bekomme", klärte sie mich auf. "Mein Zyklus ist eigentlich sehr regelmäßig, daher erwarte ich eher den Montag, aber Schwankungen gibt es immer wieder. Theoretisch könnte es sogar heute schon sein, aber dann hätte ich bereits erste Anzeichen gefühlt."
"Und dann wäre der Verkehr unmöglich", versuchte ich das wenige, was ich darüber wusste, mir ins Gedächtnis zu rufen.
"Nein, nicht unmöglich, aber blutig. Es fühlt sich auch anders an. Am ersten Tag meiner Periode fühle ich meist insgesamt nicht besonders gut, irgendwie wie aufgebläht. Du brauchst dir allerdings über eine besondere Gereiztheit davor und so weiter keine Gedanken zu machen. An PMS leide ich nicht."
"Mir fällt einmal mehr auf, dass ich vom weiblichen Körper wirklich erschreckend wenig Ahnung habe. Obwohl wir das sicher alles mal in der Schule hatten", erwiderte ich nachdenklich. PMS? Was war das nochmal?
"Prämenstruelles Syndrom", klärte sie mich lächelnd auf, denn sie schien meine unausgesprochenen Fragen sehr wohl zu hören. "Viele Frauen leiden darunter, in unterschiedlichen Ausprägungen, ich glaube sogar mich daran zu erinnern, dass jede vierte davon betroffen ist. Das ist eine mit dem Zyklus zusammenhängende psychische und hormonelle Störung, die sich meist in Angespanntheit äußert, aber tatsächlich auch körperliche Symptome in schwereren Fällen auslösen kann. Nun, heute Nacht wirst du einige praktische Erfahrungen mit dem weiblichen Körper sammeln können, aber ich habe auch Literatur darüber, wenn du dich theoretisch weiterbilden möchtest."
"Ja, bitte. Für jedwede Erweiterung meines geistigen Horizonts wäre ich dankbar."
"Nur zu gern. Gut, um dir da meinen Umgang damit zu erklären, in den ersten Tagen der Periode vermeide ich Sex, einfach, weil es eine ziemliche Sauerei wird, so ab dem vierten Tag geht es, wenn dich ein wenig Blut nicht abschreckt. Ich nehme nebenbei nicht mehr die Pille."
"Verstehe... Oje, Kondome habe ich allerdings nicht. Soll ich noch schnell zur Drogerie? Es gibt in der Nähe glaube ich auch einen Automaten."
Sie kicherte vergnügt.
"Biologie mangelhaft, hm? Die fruchtbaren Tage liegen in der Mitte des Zyklus, bei mir circa vierzehn Tage nach Regelbeginn, ich habe einen achtundzwanzigtätigen Zyklus. Also keine Gefahr. Hast du eine Spicknadel?"
"Nein, ein bisschen mehr Umfang hat er schon", versuchte ich die Betroffenheit über meine peinliche Ignoranz mit dem von ihr so geliebten Humor zu kaschieren. "Wenn du allerdings eine zum Kochen meinst... nein, leider nicht, aber da sind Metallspieße für Schaschlik in der Besteckschublade, die nehme ich für so etwas, geht auch."
"Ja, klar. Und das freut mich zu hören... Ich werde nochmal mit Jonas einen Termin vereinbaren und was von meinem Küchenkram rüber holen. Ich war sehr gut ausgestattet, nur hatte ich beim Umzug nicht mal dran gedacht, dass das jetzt schon brauchen würde. Ich hatte eigentlich nicht vor, bei der Liebe meines Lebens einzuziehen. Jonas wird mit den meisten Sachen eh nichts anfangen können, er ist nicht unbedingt ein passionierter Koch und macht sich auch nicht viel aus gutem Essen. Ach so, die Eigentumswohnung hatten wir uns nebenbei gemeinsam angeschafft, meine Eltern sind da größtenteils für mich eingesprungen. Das heißt, früher oder später wird er mich auszahlen wollen. Vielleicht machen wir einen schönen Urlaub davon, ich würde dir gerne mal Indien zeigen..."
"Das klingt himmlisch. Aber vielleicht solltest du das Geld dann erst einmal zurücklegen... man weiß ja nie, was kommt. Ich habe meine Abfindung komplett verballert und dann starb meine Mutter, und schon musste ich das Zimmer vermieten, also zurückblickend... hm, war das die beste Entscheidung meines Lebens, denn sonst hätten wir uns wahrscheinlich nie getroffen."
"Siehste."
"Ich hatte mir übrigens einen Traum damit erfüllt, einen Oldtimer gekauft und vor lauter Freude gegen eine Hauswand gefahren."
"Du Armer. Dir war nichts passiert?"
"Wie man's nimmt, vier Wochen war ich schon im Krankenhaus."
"Oje. Nun, wenn ich mir meinen Traum erfüllen würde, endet der wohl auch im Krankenhaus."
"Oh nein, tu das nicht, ich finde sie haben exakt die perfekte Größe", gab ich schmunzelnd zurück.
"Du Schlimmer, denkst nur noch an meinen Körper und Sex, oder was?"
"Und du nur noch an die möglichen und dabei im Grunde erwünschten Folgen?"
"Ich versuche mich abzulenken und ebenfalls nur an Sex zu denken. Das Spicken hilft. Wie weit bist du mit dem Knoblauch?", erwiderte sie mit sardonischem Grinsen, während sie genüsslich in das Fleisch mit dem Spieß eindrang.
"Es dauert seine Zeit, zwei so grandiose Knollen aus ihrer Schale zu befreien, wie ich bemerkt habe. Ich bin aber bald soweit", gab ich zurück und präsentierte stolz mein Werk.
"Oh ja, du bist jetzt ganz nah dran. Was mich freut, ist, dass du offenbar deine Nervosität abgelegt hast."
"Ich zittere nur noch inwendig. Hm, vielleicht war es etwas vorschnell, eine Bibliothek in dem halben Zimmer einzurichten."
"Wieso? Ach... du meinst... falls wir mehr als nur geistigen Zuwachs anstreben?"
"Genau. Es sind auch schon Klapperstörche in dieser Gegend gesichtet worden. Was sagen deine Visionen dazu, erhabene Cassandra?"
"Sie lassen mich ebenfalls inwendig zittern."
"Vor Angst?"
"Vor Vorfreude. Die Götter schweigen sich allerdings erneut über die Terminierung aus. Du bist fertig? Dann kannst du schonmal den Backofen vorheizen." "Wie heiß hättest du es denn gern?"
"Richtig heiß. Sagen wir so 200 Grad, müsste bei dem Herd Stufe 4 sein. Dann schieben wir die Keule für circa zweieinhalb Stunden in den Ofen."
"Das klingt allerdings wie eine Herausforderung", meinte ich vorsichtig und brachte sie damit zum Lachen.
"Na, so genau müssen wir nicht auf die Uhr gucken. Das Fleisch ist gut, wenn es zart und saftig ist. Zwischendurch müssen wir es halt mal rausziehen und für Feuchtigkeit sorgen, sonst trocknet alles aus."
"Wenn du mir zeigst, wie du das gerne hättest, übernehme ich das gern. Ich möchte dir alle deine Wünsche erfüllen. Und alle deine Träume."
"Und ich dir deine. Gut... rein damit. Wir haben jetzt einige Zeit für uns... und es gibt etwas, was ich bis jetzt noch gar nicht in Anspruch genommen habe, was mich aber wirklich reizt."
Oh dieser Blick. Jetzt schon? Vor dem Essen?
"Ehm... du meinst..."
"Ein Bad. Bisher habe ich immer nur die Dusche genutzt. Danach habe ich mich eigentlich total gesehnt, seit meiner Kindheit hatten wir immer nur noch Duschen in unseren Wohnungen."
"Oh, ja, verstehe. Natürlich. Soll ich solange auf das Fleisch aufpassen?", gab ich mit milder Enttäuschung zurück. "Ich kann auch schnell den kleinen Abwasch erledigen."
"Nein, du musst mich mit deinen Händen beim Einseifen überzeugen. Wir baden natürlich zusammen. Dann kriegen wir auch den Knoblauch-Gestank von den Fingern."
"Oh."
"Wenn du natürlich lieber duschen möchtest..."
"Ein Sitzplatz erscheint durchaus der Situation angemessen. Dumm, dass die Krankenkasse den Patientenlift abgeholt hat, sonst könntest du mich damit hineinbugsieren, wenn ich vor Ehrfurcht oder schlicht Furcht erstarre. Der Schlag der erzitternden Schau. Auch irgendein christlicher Mystiker, weiß nicht mehr welcher."
"Oh, ich weiß schon genug Mittel und Weg um Starres wieder beweglich zu machen, verlass dich drauf. Du erwartest ein mystisches Erlebnis?", fragte sie gelassen, als sie mich ans Händchen nahm und zum Badezimmer führte.
"Ich bin mir nicht sicher, was ich oder was mich erwartet, um ganz ehrlich zu sein."
"Zwei schöne Körper in warmem Wasser. So viel kann ich dir verraten. Lässt du schon mal das Wasser laufen? Ich hole noch schnell was."
Das tat ich dann, entfernte den Duschvorhang aus der Badewanne und ließ das Wasser ein. Bloß nicht zu heiß, das würde es ohnehin werden. Würde es das? Oder versuchte sie nur mich zu entspannen?
Jetzt, wo sie es gesagt hatte, eigentlich hatte ich Baden auch immer geliebt, aber mir selbst solch kleine Freuden seit Jahrzehnten nicht gegönnt. Duschen ging schneller und war effizienter. Sparte zudem Wasser.
Da war sie schon wieder neben mir aufgetaucht, hielt ein kleines Fläschchen in der Hand und schraubte den Verschluss ab, roch kurz daran und schien einigermaßen befriedigt mit dem Ergebnis. Sie ließ grüne Flüssigkeit aus seinem Inneren in das Badewasser laufen, das sich in abstrakten Mustern dort zunächst verteilte.
"Und was ist das Geheimnisvolles?"
"Ein Schaumbad. Meine Großmutter hat mir dieses sehr sinnvolle Geschenk vor vielen Jahren einmal zu Weihnachten gemacht. Zumindest bisher unglaublich sinnvoll, da ich ja nun keine Badewanne hatte. Sie denkt eben an die Zukunft. Im letzten Jahr war es Faltencreme für die Haut ab Vierzig."
Tatsächlich begann sich nun Schaum zu bilden und ein sehr angenehmer frischer Geruch breitete sich zudem aus. Befriedigt widmete sich Claudia den anderen mitgebrachten Sachen, die auf dem Wäschekorb abgelegt hatte. Kerzen. Dickbauchige weinrote und dunkelblaue Kerzen. Oh, das war allerdings eine wundervolle Idee.
Sie postierte vier davon auf jeder Ecke des rechteckigen Wannenrahmens und entzündete sie mit einem mitgebrachten Feuerzeug, das zunächst etwas Ermunterung brauchte, bis es sich zur Abgabe einer Flamme bewegen ließ.
Ich betrachtete all ihre ruhigen und gelassenen Vorbereitungen wie ein Theaterstück, das vor mir ablief. Irgendwie drang immer noch nicht in mein Bewusstsein, dass dies gleich auch meine Bühne und ich einer der Hauptdarsteller sein würde. Sie platzierte weitere Kerzen im ganzen Badezimmer und ging dann zur Tür, um das Licht auszuschalten.
"Und? Ist das nicht schöner?", fischte sie nach Komplimenten für ihr kleines Kunstwerk.
"Ja, total", erwiderte ich ehrlich entzückt. Das war es.
"Na, dann los, das Wasser ist doch schon fast so weit", meinte sie schmunzelnd, als sie bemerkte, dass von mir nicht die Spur von Initiative zu erwarten war. "Die Stunde der Wahrheit. Runter mit den Klamotten. Schaffst du das allein, oder soll ich dir helfen?"
"Damit bewege ich mich nach vielleicht zweiundvierzig Jahren Training noch auf vertrautem Terrain", gab ich lahm zurück.
Es war eigenartig, so aufgeregt war ich eigentlich gar nicht mehr, zumindest nicht im Sinne von Nervosität oder Beklemmung. War es dieses weiche, sanfte Licht, oder die Ruhe, die sie ausstrahlte? Sie löste ihr Haarband, mit dem sie ihr schönes Haar zusammengebunden hatte und legte es auf dem Waschbecken ab.
Ich zog meinen Pullover aus und ließ das T-Shirt folgen, pausierte dann, weil sie noch keine Anstalten machte, meinem Beispiel zu folgen.
"Ehm... worauf wartest du jetzt?"
"Dass du weitermachst."
Ja, sei ein Mann. Zeig ihr, dass du einer bist. Noch immer blieb das befürchtete Gliederzittern aus, als ich meine Hose öffnete und herunterließ, mich dann bückte, um auszusteigen und effizienterweise in dieser Position gleich die Socken auszuziehen.
Ohne noch einmal zu ihr zu schauen, ließ ich meine Briefs folgen. Ich war nie ein Freund von Boxershorts gewesen. Meine Maus brauchte ein Haus und hing nicht einfach so in der Gegend ab, wie ein Penner. Nun richtete ich mich auf. Mit blitzenden Augen musterte sie mich.
"Machst du bitte das Wasser aus?", fragte sie mit sanfter, aber schon leicht vibrierender Stimme.
Das wurde auch höchste Zeit. Wenn wir nicht schon etwas ablassen mussten. Ich überschlug kurz die zu erwartende Verdrängung durch unsere Körper. Nein, das ging wohl noch. Dicht an den Rand würden wir wohl aber schon kommen. Langsam drehte ich mich um.
Sie stand immer noch regungslos an der derselben Stelle, mit im Kerzenlicht funkelnden Augen und einem Gesichtsausdruck, wie ich ihn bei ihr noch nicht zu sehen bekommen hatte. Dann stieß sie einen wohligen Laut aus. Durch diesen ermuntert, meldete ich mich zu Wort.
"Gefällt dir, was du siehst?"
"Oh ja, Apollo. Das tut es ganz gewiss."
Ja, das waren bewundernde Blicke. Aber nicht nur. Ihr Blick fokussierte sich unterhalb meiner Körpermitte. Ich kannte ihren Ansatz. Vorher hatte sie mich in Ganzheit betrachtet. Nun ging sie ins Spezifische.
"Oh", war zunächst das ganze Ausmaß des Kommentars, zu dem sie fähig schien. Nun, dass ihr auch das gefiel, was sie dort sah, war trotzdem offensichtlich. Und schwoll gerade vor Stolz. Unaufhörlich.
"Kriege ich keine Rezension?", fragte ich nun seltsam ruhig und gelassen. Nun war es plötzlich sie, die erschüttert wirkte. Aber sich sofort rappelte.
"Du bist wunderschön", meinte sie. "Du hast einen wunderschönen, ausgewogenen und symmetrischen Körper. Wirklich wie eine griechische Statue. Aber die... sind meist nicht so gut bestückt. Wenn das nicht herausragend ist, muss deine Gemeinschaftsdusche ein Ort sein, den Frauen niemals betreten sollten... wenn sie jemals wieder ruhig einschlafen können wollen."
Huch? Erst dann fiel mir das Gespräch wieder ein. Nun ja, er war nun wirklich schon ziemlich geschwollen, da mochte das so wirken. Sie kaute noch einen Moment auf ihrer Unterlippe herum, und schien sich dann daran zu erinnern, dass sie nicht nur zum Zusehen gekommen war.
Vorbei wars mit der gerade gefundenen Ruhe. Das war kein Striptease, was sie dort vorführte und doch... ein halber Tanz, war jede ihrer Bewegungen ein Ausdruck von Sinnlichkeit und Körperbewusstsein, jede Bewegung fließend und ausgewogen, jedes Innehalten ein Teil dieses Gesamtkunstwerks, aus dem sich ihre schiere Weiblichkeit mir eröffnete.
Ließ sie zu, dass ich atemlos und wahrscheinlich offenem Mund dieses Bild der Vollkommenheit in mich aufsaugte. Dass mich diese Schönheit erschütterte, trotzdem ich sie bereits halb nackt gesehen hatte, in engen Yoga-Leggings und so weiter, bedachte sie mit einem Hauch von einem Lächeln. Ich sage wahrscheinlich offenen Mund, weil ich mich und meinen eigenen Körper in diesem Moment nicht mehr fühlte.
"Vergiss nicht zu atmen", wiederholte sie eine Yoga-Anweisung, die diesmal allerdings völlig anders gemeint war. Und ein notwendiger Ratschlag.
Gab mir dann Gelegenheit, dieses Wunderwerk der Schöpfung in Bewegung zu erleben, als sie langsam ihre einfach zu Boden fallengelassenen Kleidungsstücke aufklaubte, wie bei ihr selbstverständlich mit durchgedrückten Knien, was ihre unglaubliche Beweglichkeit dokumentierte, aber um die wusste ich ja bereits.
Die volle Schönheit ihres Körpers in Bewegung zu erleben, war etwas Neues, die Anmut, mit der sie sich und ihre Nacktheit trug. Wie es nur ein Mensch kann, der sich und seines Körpers voll bewusst ist. Aber auch ihrer Wirkung. Sie wusste genau, was sie jetzt auslöste.
Mein Körpergefühl kehrte langsam zurück, als sie ihre Kleidung auf und in dem Wäschekorb ablegte. Sie drehte sich mir zu, und lockerte mit beiden Händen ihr Haar auf. Blieb dann ganz ruhig stehen und schien zu warten, dass ich mich ebenfalls äußerte.
"Du bist eine Göttin", flutschte es über meine Lippen, ohne dass dabei auch nur ein Fünkchen Verstand eine Rolle spielte. Oh Gott, wie peinlich war der Spruch denn? Warum? Eigentlich empfand ich es so. Göttlich. Sie sah absolut göttlich aus. "Denn so etwas kann niemand erschaffen haben. So etwas kann sich nur selbst erschaffen", machte ich deshalb gnadenlos weiter.
Im selben Moment wurde ich von einem immer lauter werdenden inneren, sich dann auch veräußerlichenden Kichern übermannt, das zu schallendem Gelächter anschwoll, in das sie einstimmte.
"Nein, verflucht... runter vom Olymp. Ich bin kein Apollo und du bist keine Göttin. Kein Fabelwesen, sondern absolut menschlich und real. Du bist eine wundervolle, begehrenswerte Frau, mit einer atemberaubenden, natürlichen Schönheit und Anmut, wie ich sie noch nie erlebt habe und sicher auch kein zweites Mal erlebe, denn du bist mein Alpha und mein Omega."
In ihrem Gesicht hatte es während dieser Worte hart gearbeitet, erst eine Mischung aus Stirnrunzeln und Zucken der Mundwinkel, dann Erstaunen, schließlich die befreite Auflösung im Gelächter und nun ein sanftes und tief zufriedenes Lächeln.
"Deine Frau, schöner Mann, mit ebensolchem Schwanz", meinte sie lächelnd und kam, nein, floss auf mich zu, anders ließ sich diese Bewegung nicht beschreiben. "Für immer dein. Und nur für dich erschaffen."
Dann war sie bei mir, ergriff meine Hände und trat so nah an mich heran, dass unsere Körper sich gerade so berührten. Suchte meine Lippen zu einem zärtlichen Kuss. Zog sich wieder leicht zurück und sah mir in die Augen.
Führte nun meine Hände auf ihre Schultern. Gab mir das Signal, meinen mir noch nicht einmal bewusst gewordenen Wunsch, ihren Körper mit meinen Händen zu erkunden, jetzt erfüllen zu dürfen. Selbstverständlich war er dort gewesen.
Selbstverständlich wollte ich nichts mehr als das. Meine Hände wussten es längst, machten sich auf die Reise, zeichneten ihre Körperkonturen ehrfurchtsvoll von den Schultern an beginnend nach.
Dabei sah sieh mir so tief und so voller Liebe in die Augen, so voller Vertrauen und Hingabe, dass selbst die körperlichen Sensationen, das Gefühl ihre zarten Haut, die weichen Rundungen ihre Brustansatzes, im Vergleich verblassten.
Und dann Handeln und Sein endgültig verschmolzen, als ich bei ihren Hüften angekommen spürte, wie mich mein Gefühl nun völlig durchflutete und meine Berührungen aus passiver Neugier ein Akt und Ausdruck von Liebe wurde. Liebkosten, auf den Rücken wanderten, die Wölbung der Wirbelsäule hinauf, um dann noch zarter an beiden Seiten ihrer perfekten Symmetrie folgend bis zu ihrem Po hinabzugleiten.
In diesem Moment war sie es, die atemlos den Unterkiefer hängen ließ, schluckte und kurz die Augen schloss, als ich die Bewegung weiterführte und meine Hände nach vorn brachte, mit den Fingerspitzen über ihre Leisten streichend und von dort nach oben zogen.
Ein leichtes Zittern lief durch ihren Körper und sie öffnete ihre Augen wieder. Fand meine Hände an ihre Hüften höher gleitend und sich wirklich zu ihren Brüsten hochbewegend, von denen ihre kleinen Brustwarzen hart und steil aufragten. Erneut sog sie mit leisem Geräusch die Luft ein, als meine Fingerspitzen über diese Knospen strichen, bevor sie die Luft mit einem kurzen wohligen Laut wieder ausstieß, als ich ihre Brüste sanft umfasste.
In diesem Moment begann sie meine Zärtlichkeiten zu erwidern, spürte ich ihre Hände zunächst an meinen Hüften, dann meinen Rücken hinauf zu meinen Schultern gleitend. Darauf bedacht, mir mit ihren Armbewegungen nicht den Zugang zu ihrem Körper und damit der Fortführung meines Streichelns ihrer Körperfront zu versperren.
Doch als meine Hände wieder langsam und vorsichtig tiefer glitten, bewegten sich ihre ebenfalls zu meiner Vorderseite und hinab. Stoppten, als meine nun ihren Bauch passierten und knapp an ihrem Schamhügel vorbei tiefer hauchten, auf ihre Schenkel zu.
"Immanuel... unser Wasser wird kalt", meinte sie sehr ruhig.
Warum sie den Zauber dieses wundervollen Moments nun zerstörte, verstand ich zunächst nicht.
"Aber so solltest du nicht in die Wanne müssen", erklärte sie sogleich und dann spürte ich auch schon ihre Hand an meinem in der Tat völlig steifen Glied. Ich war so in den Empfindungen an meinen Händen aufgegangen, dass ich dies nicht einmal bemerkt hatte. Das änderte sich schlagartig, als ihre Hand nun Kontakt aufnahm. Ihre linke, wie ich bemerkte.
Ihre gefühlvolle, zärtliche, aber gleichzeitig zielstrebige Hand, die hier nichts erfühlen oder erkunden wollte, sondern wusste, was sich wie für mich anfühlte und was es auslöste. Sie schaute mich dabei aufmerksam an, holte sich die Bestätigung für mehr als erfolgreichen Manipulationen mit leichtem und irgendwie wissendem Lächeln ab.
Was sie genau tat, begriff ich nicht einmal vollständig. Man sollte meinen, als Mann, der damit oft genug selbst herumgespielt hatte, hätten mir alle Möglichkeiten, was man mit einer Hand so anstellen könnten, vertraut sein sollen.
Aber selbst hier erlebte ich völlig ungeahntes Neues neben der vertrauten, gleichmäßigen Bewegung, nun unterstützt von der zweiten Hand, die an meine Hoden griff, sie umfing, nur minimal presste, alles weiterhin vordringlich zärtlich. Ich verging fast vor Wonne, entließ wohlige Laute, bemerkte, dass sie den Druck ihrer meinen Schaft umschließenden Finger ständig variierte und dies für das fremde, aber unglaublich schöne Gefühl mit ursächlich war. Alles mit ruhigen, sanften Schwüngen, wie auch ihr Blick noch sehr zärtlich war.
Der Wechsel kam so abrupt und überraschend, wie die Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck, den ich nicht zu deuten wusste. Ihre linke Hand griff fester zu und steigerte die Geschwindigkeit der Schwünge um das doppelte und binnen Sekunden stieg die zuvor sanft kletternde Erregungskurve steil an, um dann vielleicht vierzig Sekunden später in meinem mich völlig verblüffenden Höhepunkt zu eskalieren.
Mein Sperma klatschte auf ihren Unterbauch und auf den Boden, während sie ihre Hand nun weiter ruhig und sanft bewegte, bis alles seinen Weg an die frische Luft gefunden hatte. Während sie weiter mit ihrer Linken die allerletzten Tröpfchen herausdrückte, verteilte sie meinen Erguss auf ihrem Körper mit ihrer Rechten.
"Besser? Wollte wir jetzt in die Wanne? Es wird sonst wirklich bald kalt."
Sie schien anders als ich nicht im mindesten über den raschen Verlauf überrascht, wirkte eher so, als hätte sie zu jeder Zeit die volle Kontrolle über das Geschehen gehabt. Machte mich einmal mehr völlig fassungslos. Entließ nun mein immer noch stark geschwollenes Glied aus ihrer Hand und umarmte mich.
Ich spürte die Feuchte auf ihrem Bauch, uns schon leicht klebrig zusammenschweißend, in einer fester werdenden Umarmung, bis sie sich dann löste, mir noch einen Kuss aufdrückte und der Wanne zuwandte. Sie prüfte die Temperatur und entfernte tatsächlich kurz den Stöpsel, um etwas Wasser abzulassen, während ich immer noch völlig unfähig war zu begreifen, was gerade passiert war.
"Warum schockt dich das so, das kennst du doch nun zur Genüge?", fragte sie mit hintergründigem Lächeln, als sie meinen seltsamen Zustand bemerkte, nachdem sie wieder heißes Wasser zulaufen ließ.
"In dieser Form absolut nicht, das war... anders... und überwältigend. Davon ab verstehe ich das Timing und den Übergang nicht."
"Ach so. Ich wollte wirklich nur mit dir baden und mit dir Nacktheit in der Natürlichkeit erleben, die sie ist. So wunderschön die Zärtlichkeit auch war, so natürlich deine dabei aufkommende Erregung, das war nicht das Gewollte, verstehst du? Und es war an der Zeit zu beweisen, dass ich nicht grausam bin. Ich weiß genug über den männlichen Körper, um mögliche schmerzhafte Konsequenzen zu antizipieren. Und vermeiden zu wollen. So, jetzt ist es genau richtig... lass uns."
Das konnte ich nicht nur akzeptieren, sondern auch das anschließende Bad voll genießen. Es meldete sich aber gleichfalls meine Neugier.
"Und dich hat das nicht erregt? Es wundert mich ein wenig, nach dem, was du vorher erzählt hast."
"Oh doch, und wie. Und du warst dabei in Regionen vorzustoßen, wo du dich nachher gerne und ausführlich austoben kannst, aber das war wie gesagt nicht, was ich in dem Moment wollte. Ich werde mich gleich zusätzlich nochmal nachrasieren, so dass die Bühne für dich sozusagen optimal vorbereitet ist... ich hatte mit dieser schnellen Entwicklung halt nicht gerechnet."
"Ach deshalb ist dein Haar dort so kurz."
"Das kennst du noch gar nicht?"
"Ehm... nein, nur vom Hörensagen. Das war zu der Zeit, wo ich jedwede Begegnungen mit dem anderen Geschlecht einstellte, noch nicht in Mode... oder halt, war die zweite Prostituierte rasiert... weiß ich jetzt gar nicht mehr..."
"Aber es gefällt dir hoffentlich? Es sieht gleich nicht mehr nach Stoppelfeld aus."
"Oh, sicher, so genau hatte ich da auch gar nicht hingeschaut."
"Aber das musst du doch wenigstens schon einmal in Pornos gesehen haben."
"Die schaue ich seit der Zeit ebenfalls nicht mehr. Einmal vor einigen Jahren wollte ich am Steintor nochmal in ein solches Kino gehen, als ich meine Eltern besuchte. Ohne Folgeziele nebenbei. Das war dann... eine etwas ungewöhnliche Überraschung. Obwohl draußen auch Bilder von Damen zu sehen waren, gab es drinnen nur homosexuelle Darbietungen, auf der Leinwand... und zwei Reihen vor mir live."
"Hihi, also nicht ganz deine Kragenweite."
"Nein, nicht wirklich. Ich hab vielleicht zehn Minuten dort verbracht, weil ich das gekaufte Bier austrinken wollte, aber dann den geordneten Rückzug angetreten."
"Aber solche Kinos gibt es ja heutzutage sowieso kaum mehr. Dafür gibt es das Internet."
"Was ich wie gesagt nicht habe und..."
"Oder persönliche Eindrücke", meinte sie und stand auf. Dass sie einen Rasierer neben einer der Kerzen abgelegt hatte, war mir gar nicht aufgefallen. Oder lag der vorher schon dort? Doch, den hatte ich zuvor einmal zu Gesicht bekommen, aber für das Werkzeug zur Beinrasur gehalten. Vielleicht war es das auch, aber nicht ausschließlich, wie sie mir sogleich vorführte.
Sie nutzte keinen Rasierschaum, sondern hatte lediglich etwas Duschgel auf ihrer Scham verteilt, rasierte die kleinen Stoppeln in aller Seelenruhe ab, öffnete die Schenkel weiter indem sie einen Fuß auf den Wannenrand stellte und fuhr dann neben ihren Schamlippen fort. Man konnte sehen, dass sie einige Routine hatte. Und man konnte sehen, was für ein ausgesprochen schönes Geschlechtsteil sie dort hatte, obwohl ich hier ebenfalls nur sehr wenige aus nächster Nähe wie in diesem Moment gesehen hatte.
Ihre Schamlippen waren recht schmal, besaßen aber genau die Symmetrie, die ihren ganzen Körper wohl eher nach harter Arbeit auszeichnete, hier als kostenfreie Gabe der Natur. Fasziniert sah ich ihr Werk der Vollendung zustreben, sie fuhr prüfend über ihren sehr ausgeprägten Venushügel und um die Schamlippen herum, und hartnäckige Resthaare auszumachen, rasierte an zwei, drei Stellen nach.
Dann hockte sie sich kurz ins Wasser, befreite noch den Rasierer von feststeckenden Härchen, denn es war keiner dieser Einwegrasierer und legte ihn zur Seite. Claudia stand wieder auf und kam so weit auf meine Seite der Wanne, dass ich nun aus allernächster Nähe das Ergebnis ihrer Mühen betrachten konnte.
"Nun, wie gefällt es dir jetzt?"
"Wundervoll", bestätigte ich sofort, wie gut mir das gefiel. Meinem Glied ebenso, denn das war schon während der Rasur von stiller Tauchfahrt auf Periskop-Modus gegangen und reckte sich nun in dem durch ihr Aufstehen flacher gewordene Wasser noch höher in die Luft. "Und wunderschön, wie dein ganzer Körper. Soll ich... darf ich..."
"Anfassen? Äh... besser nicht... du ahnst nicht, wie schwer es mir fällt dich jetzt davon abzuhalten, aber ich möchte das bis nach dem Essen noch durchstehen. Huch, wer kommt denn da zum Zuschauen? Da siehst du's, ich setze mich besser wieder hin. Oder wir gehen bald raus, eigentlich war das Begießen schon vor einiger Zeit dran."
So neugierig ich darauf war, wie sie und das sich nun anfühlte, ich spürte keinerlei Enttäuschung. Ich war zum ersten Mal von der Frau, die mich liebte, zum Höhepunkt gebracht worden. Hatte sie zum ersten Mal nackt gesehen, in ihrer ganzen Schönheit, ihre Brüste und ihren Rücken eingeseift und dann dieses faszinierende Schauspiel ihrer Rasur und anschließender Vorführung des Ergebnisses genießen dürfen.
Es war eigentlich schon mehr, als ich mir jemals erträumt hatte und da war gleichzeitig die Gewissheit, dass dies erst der "langsame" Auftakt zu einem wundervollen, gemeinsamen Abend mit Intimität, gutem Essen und anschließendem vollen Einstieg in die Sexualität mit ihr war. Das fühlte sie sicherlich, und das gab ihr auch die Sicherheit, mich und uns an die ebenfalls wichtigen Dinge, wie das Gelingen des Kochens zu erinnern.
Wir trockneten uns gegenseitig ab, mit zwei von ihren großen Badetüchern, die sie seit einigen Tagen zur Verfügung gestellt hatte. Sie waren ungleich flauschiger als meine, obwohl ich ebenfalls Weichspüler nutzte, keine Ahnung was sie da anders machte. Dann ließ sie mich doch kurz einmal über ihren blanken Hügel streichen, um zu zeigen wie glatt und zart das nun war.
Überrascht sah ich ihrer Behandlung nach der Rasur zu, nicht etwa mit einer speziellen Lotion oder Creme, sondern Fenistil, diesem Gel gegen Irritationen von Insektenstichen. Das, wie sie versicherte, besser als andere dafür geeignet war, Pickelchen-Bildung und Hautreizungen zu vermeiden.
Ich sah aber auch kritisch auf meine eigene Scham, die ein rechter Urwald war und holte mir ihre lachende Zustimmung ab. Das sah sie ganz genauso.
"Soll ich mich denn da auch rasieren?", fragte ich etwas verunsichert, aber zu allem bereit. Für sie hätte ich dort alles grün-orange gefärbt, oder zu Zöpfen geknüpft und Schleifchen verschönt, wenn sie das gewünscht hätte.
"Das überlasse ich ganz dir, ich persönlich mag das bei Männern nicht so, ich finde da Haare eigentlich ganz schön. Etwas stutzen könntest du es vielleicht schon, ganz wie du willst", schlug sie vor. Und als ich nickte und nach einer Schere suchte. "Aber sei bloß vorsichtig, dass das Kunstwerk in der Mitte da nicht versehentlich gekürzt wird, das würde ich gern nachher in voller Länge genießen."
"Ich werde mir Mühe geben", gab ich nervös zurück. Stutzen? Ja, aber wie? Vor allem, wie kriegte man das gleichmäßig hin?
"Ich geh schonmal in die Küche. Ich hoffe, es ist nicht schon ein Brikett geworden, das hat alles ganz schön lange gedauert."
"Willst du dir denn nicht etwas überziehen?", erkundigte ich mich verblüfft.
"Wieso, die Wohnung ist doch herrlich warm? Oh... du hast Recht. Mein Mitbewohner könnte mich versehentlich nackt sehen. Oh Schreck."
Kicherte noch einmal und war verschwunden. Ließ mich mit meiner undankbaren Aufgabe allein zurück. Zum Friseur fühlte ich mich nicht berufen. Friseur, das war die Idee, mit einem Kamm und dann gleichmäßig dran lang schnippeln, wie die das auch machten. Das funktionierte tatsächlich. Hm, oder doch noch etwas kürzer?
Am Ende war ich mit dem Ergebnis nicht völlig unzufrieden. Aus dem Urwald war ein gepflegter Vorgarten geworden. Fast schon zu gepflegt, aber wie ich jetzt ein natürlicheres Aussehen hinbekommen konnte, ging mir nicht auf. Egal, ihre Nähe hatte ich schon viel zu lange vermissen müssen. In Ordnung, sie war nackt, also blieb ich das auch. Und konnte mir gleich ein Urteil für meinen neuen Haarschnitt abholen.
Eigenartig, dass ich mich in der ganzen Zeit nach dem Tode meiner Mutter nicht ein einziges Mal nackt durch die Wohnung getraut hatte. Meinen Körper wie meine Empfindungen sogar vor mir selbst versteckt hatte, mal abgesehen von Gelegenheiten, wo es nicht anders ging. Selbst beim Masturbieren hatte ich dies immer unter der Decke getan.
Sie fand meinen Penis schön? Na ja, zumindest war er gerade gewachsen und sah sehr harmonisch und symmetrisch aus. Nun denn Kamerad, du bist schön und tapfer, erweise dich uns und unserer Aufgabe würdig und zeig so lang wie möglich Haltung, wenn das die Situation erfordert. Du bist immerhin ein Offiziersgeschlecht.
Sie war bereits aus der Küche ins Wohnzimmer gewechselt. Saß nackt auf dem Sofa und las Rombach. Vielleicht sollte ich ein Foto davon und dann noch mehrere mit Werken von Kant, Hegel, Schopenhauer und so weiter machen; und einen Pin-up Kalender für die philosophischen Fakultäten erstellen. Der würde mir wahrscheinlich aus den Händen gerissen. Und das Sein als solches aus völlig neuen Blickwinkeln betrachtet werden.
"Und, wie gefällt dir das?", machte ich sie auf meine Rodungs-Versuche aufmerksam.
"Ja, wundervoll. Diese Frisur passt zu dir, klare Strukturen, präzis und übersichtlich. Na, dann bekomme ich nachher wenigstens keine Haare in den Mund, wenn ich hallo sage... Sehr schön, die langen Einzelkämpfer an deinem Schaft hast du auch entfernt, dann wird mich nichts im Rachen kitzeln..."
"Wieso, so tief...", setzte ich an, aber dann begriff ich, was sie damit andeutete. "Oh..."
"Alles eine Frage der Technik. Wie Schwertschlucken."
Uff. Nun war mein Kamerad gerade mal ein paar Minuten zur Ruhe gekommen, nun schien er ein vorfreudiges Eigenleben zu entwickeln. Jetzt bloß ablenken.
"Wo du gerade von Technik redest, wie hast du das vorhin gemacht? Ich mein, ich schieße normalerweise nicht so schnell aus der Hüfte, und nicht mal bei unserem ersten bewusst erlebten, aber durch eine Wand getrennten Gemeinschaftsflug, habe ich das in dem Tempo hinbekommen. Und da hattest du mich mit deinem Stöhnen schon fast wahnsinnig gemacht."
"Ich habe in Indien nicht nur richtig Yoga gelernt. Es ist eine tantrische Technik, die ich in einem Ashram dort erlernt habe. Ich war einfach die ständig lahmen Arme satt."
"Oh. Tantra? Davon habe ich am Rande auch schon gehört... aber geht es dabei nicht eher um das Zurückhalten?"
"Unter anderem, aber eben nicht nur darum. Ich habe dort eine Menge gelernt. Und werde all mein Wissen bald mit dir teilen. Wir beide werden zusammen auf eine Entdeckungsreise gehen. Und ich brauche jetzt nicht einmal mehr einen Tropenhelm dafür. Wirklich schön. Wirklich... hm, vielleicht sollten wir uns doch besser anziehen, sonst wird das Essen ausfallen. Übrigens nur noch etwas mehr als eine Stunde, dann ist das Fleisch soweit."
Ihre Hand hatte sich nämlich schon auf eine Entdeckungsreise begeben. Natürlich, als taktiler Typ konnte sie sich schlecht nur mit rein visuellen Eindrücken abspeisen lassen.
"Mit einiger Überraschung habe ich auch festgestellt, dass du die linke Hand verwendet hast... ich dachte, alle Männer kriegen immer deine rechte?"
"Du bist nicht alle Männer. Du bist mein Mann, der Mann, den ich liebe. Und du kriegst von mir nur das Beste. Die Hand, die dir zeigt, wie sehr ich dich liebe."
Ich küsste sie zärtlich, und lehnte mich etwas gegen sie, wollte meine Hand hinter sie bringen und hatte plötzlich eine ihrer Brüste darin, als sie sich gleichzeitig bewegte.
"Ehm... das mit dem Anziehen ist vielleicht nicht die schlechteste Idee. Zu viele deiner Körperteile scheinen über einen gewissen Magnetismus zu verfügen."
Sie lachte fröhlich und hielt meine Hand fest, als ich sie wegziehen wollte.
"Nicht so schnell. Und übrigens, die andere fühlt sich möglicherweise einsam..."
Da hatte sie Recht, das ging gar nicht. Also schnell für ausgleichende Gerechtigkeit gesorgt. Wie wunderbar weich und gleichzeitig fest sie doch waren. Ihre Brustwarzen verhärteten sich schon wieder. Und nicht nur sie.
"Ehm..."
"Ja, nun darfst du loslassen. Und wir ziehen uns etwas an. Dann muss ich langsam auch den Rest vorbereiten, die Beilagen."
"Kann ich dir bei den weiteren Vorbereitungen helfen?", fragte ich mit innerlichem Seufzen, denn ihre grandiosen Brüste fühlten sich wirklich... nun, grandios an. Ein Rückzug, der schwer fiel, aber ich sah die taktische Notwendigkeit genau wie sie.
"Gern. Du kannst dich nicht trennen oder? Da werden gerade lebenslange Freundschaften geschlossen, nicht wahr?"
"Fürwahr."
"Das freut mich. Und sie sicher auch. Nun los, hopp auf, ihr könnt euer Techtelmechtel später noch fortsetzen."
Ich riss mich nun tatsächlich los und wir verschwanden beide in unseren Zimmern. Nach kurzer Überlegung entschied im mich für eine weiche schwarze Trainingshose, die ich bei kühleren Temperaturen zum Laufen draußen verwendete. Meine Cordhosen waren bequem, aber irgendwie war ich mir sicher, dass ich das gewisse Extra an Bequemlichkeit unbedingt bis nach dem Essen gebrauchen könnte.
Oder ob ich festlicher gekleidet sein sollte? Hm... Warum nicht kombinieren. Der Kaschmir-Pullover, den mir meine Mutter zu Weihnachten geschenkt hatte. Eines der wenigen Geschenke, wo sie mich das Gesicht verziehen sah.
Denn er war herrlich weich und passte wie angegossen. Leider war er weiß. Und das war bislang überhaupt nicht meine Farbe gewesen. Aber heute... warum denn nicht. Heute war eh alles anders.
Wir trafen uns im Flur und brachen sofort in Gelächter aus. Das war echt kaum zu überbieten. Sie hatte ebenfalls eine Trainingshose angezogen, sogar vom selben Hersteller, allerdings in Weiß. Und einen schwarzen Pullover dazu, kein Kaschmir, aber mindestens genauso fluffig. Wir konnten uns erst einkriegen, als wir uns schließlich minutenlang küssten.
"Boah, der ist ja weich, wow. Und bestimmt nicht billig gewesen. Gibt es tatsächlich eine Seite an dir, die mir bislang völlig entgangen ist?"
"Das war das letzte Weihnachtsgeschenk meiner Mutter. Ich habe ihn bis jetzt noch nie getragen, weil Weiß nicht so meine Farbe ist. Und mir dabei auch unpraktisch erschien, weil schnell dreckig werdend und so. Ich glaube, das Ding muss man zu allem Überfluss noch mit der Hand waschen, oder?"
"Nein, im Gegensatz zu anderer Wolle sollte man Kaschmir besser in der Waschmaschine waschen. Mach dir keine Gedanken, ich mach das dann schon. Deine Mutter hatte ein gutes Auge. Er steht dir total."
"Nee, jetzt gerade mal nicht. Ach so, du meinst den Pulli..."
Wir machten uns daran, den Rest des Festmahls vorzubereiten, ich schälte Kartoffeln, während Claudia die Bohnen vorbereitete und alberten ausgelassen herum. Mittlerweile roch es herrlich in der Küche. Als alles vor sich hin köchelte, der Wein zum Atmen dekantiert war, der Tisch bereits gedeckt, setzte sich Claudia auf meinen Schoß und wir küssten uns lange zärtlich.
"Ist das immer so zu Beginn einer Beziehung, dieses Gefühl, im Himmel zu sein, der alle möglichen Erwartungen dann auch noch übertrifft?", fragte ich sie in einer seltenen Kuss-Pause.
"Also für mich ist es diesmal anders. Bei mir war immer ganz viel Herzklopfen, Rumoren im Bauch und Verwirrung im Kopf. Es war, sich in ein neues Abenteuer zu stürzen, eine gehörige Portion Adrenalin dabei, Angst, Euphorie und Hoffnung, ein Meer von unglaublich starken und nicht differenzierbaren Gefühlen."
"Und diesmal ist es anders? Wie?"
"Einfach nur wundervoll. Ein Gefühl tiefen Friedens, wie ein glatter ruhiger See, Klarheit, Selbstverständlichkeit. Ein Pulsieren von Wärme, die mich im Ganzen durchströmt, vom innersten Kern auswärts, über meine Grenzen hinaus, wo sie auf deine trifft und sich mit ihr verbindet. Eine andere Art von Euphorie, ein Gefühl von Freiheit, Vollständigkeit und Vollkommenheit. Das Gefühl Neuland zu betreten, vor vielen großartigen Entdeckungen zu stehen und in dieser Welt völlig nackt und schutzlos ohne Angst ich selbst sein zu können. In die Augen eines anderen zu schauen und wirklich mich darin gespiegelt zu sehen. Nicht im Himmel zu schweben, sondern zum ersten Mal die Leichtigkeit zu erleben, mit der man sich auf der Erde bewegen kann. Aber auch ein Zeuge zu sein, einer schmerzfreien, natürlichen Geburt von etwas Wunderbaren. Eine tiefe, ungerichtete Dankbarkeit. Eine Erfüllung zu spüren, die als einzig weitere Möglichkeit und Steigerung nur das aus mir Herausgehen und die vollständige Hingabe in sich birgt. Eine Gewissheit, auch körperliche Manifestationen anders und neu erleben zu können und zu werden. Und jetzt gerade ebenfalls die Gewissheit, mich nun um die Bohnen kümmern zu müssen, die ich noch abgießen, in Bacon wickeln und anbraten muss..."
Sie küsste mich noch einmal zärtlich und ließ mich mit den Nachwirkungen ihrer Erklärung allein, um die Ankündigung umzusetzen. Manches davon konnte ich in Ansätzen bei mir nachvollziehen, einiges schien sich allerdings doch zu unterscheiden. Nun, wie ähnlich wir uns im Denken und nun größtenteils auch bereits im Fühlen waren, war mir ohnehin langsam manchmal unheimlich. Ich ging davon aus, dass eine weitere Annäherung im Verlaufe des begonnenen Prozesses erfolgen würde. Von selbst.
Ich wollte jetzt nicht von unserer Beziehung wie von einer rombachschen Struktur denken, aber es war mir völlig klar, wie wunderbar sie diese exemplifizierte. Auch das Ungleichgewicht was unseren Erfahrungsschatz anbelangte, bekümmerte mich nicht mehr. Ich verstand mittlerweile ebenfalls, dass sie das eher als Chance begriff, ja sogar mit "eine einmalige Gelegenheit" mir als Beweggrund für ihr Projekt Immanuel angegeben hatte.
"Du denkst zu viel. Jetzt ist der Genuss dran... magst du das Fleisch aufschneiden? Es ist genau richtig. Als alter Krieger wirst du doch sicher eine geeignete Messersammlung zur Verfügung haben?", wollte sie wissen.
"Das wird dich enttäuschen, ich bin alles andere als ein Waffennarr. Meine Mutter hinterließ mir allerdings ein Elektromesser, was für solche Aufgaben hervorragend geeignet ist. Sonst haben wir nur die Dinger, die wir zum Gemüseschnippeln nehmen. Dein Wunsch ist mir Befehl."
"Das beruhigt mich mehr, als mich zu enttäuschen. Ich hatte befürchtet, dass du mich irgendwann deiner zweiten Braut, "der fetten Berta" oder so ähnlich, vorstellen wolltest, die sonst mir dir das Bett geteilt hat und sich nun einsam fühlt."
"Erstens hieß sie Emma und zweitens ist sie dort, wo sie hingehört, nämlich bei meinem früheren Arbeitgeber."
"Im Ernst, sie hatte wirklich einen Namen?"
"Nein, nur eine sehr wohlklingende Seriennummer. Du hast eventuell zu viele Hollywood-Filme geguckt. Oh, das Fleisch ist so zart, das würde man zur Not mit einem Holzlöffel abbekommen. Deine Kochkünste erschüttern mich immer wieder."
"Ich war in meiner Ehe aus Gründen der Sicherheit an den Herd verbannt. Jonas war der Typ, der Wasser anbrennen lassen konnte. Und meistens auch beim Essen so geistesabwesend, dass es gereicht hätte, irgendwelche Dosen aufzumachen. Ich glaube, ich habe in den zwei Wochen von dir mehr Komplimente für mein Essen erhalten, als von ihm in den acht Jahren unserer Ehe."
Nun, sie bekam von mir in dieser Beziehung nur völlig authentisches und angemessenes Feedback. Auch zu dieser Mahlzeit, denn das war bei weitem die beste Lammkeule, die ich in meinem ganzen Leben gegessen hatte. Und war dabei eine der Spezialitäten meiner Mutter gewesen, deren Rezept ich fast genauso gut hinbekam. Aber sowas nicht. Wahnsinn.
Was dazu führte, dass ich Unmengen davon in mich reinschaufelte und die Trainingshose hatte sich schon allein aus diesem Grund als die richtige Kleiderwahl erwiesen. Der Wein hatte es ebenfalls in sich und sorgte zudem für gerötete Wangen. Die wir auf dem Sofa aneinander rieben und uns zärtlich küssten. Sie beantwortete von sich aus die Frage, die mir nun langsam wieder im Kopf rumschwebte.
"Wir sollten uns wenigstens noch eine halbe Stunde Ruhe gönnen, um ordentlich zu verdauen, bevor wir in mein Zimmer gehen, oder nicht? Hältst du es so lange noch aus?"
"Das ist gerade noch im Rahmen des Erträglichen. Warum in dein Zimmer? Mein Bett ist ungleich größer."
"Nun, ich habe die Planungshoheit für dieses Projekt und du hast keinen Räucherstäbchenständer. Vielleicht nutze ich deine Aversion dagegen nachher gewinnbringend, um deinen Orgasmus hinauszuzögern."
"Du kennst alle Tricks, nicht wahr? Hast alles genau vorausgeplant?"
"Ich lass dich in dem Glauben, weil du beim Verdacht einer guten Planung vermutlich einen Ständer bekommst. Mein Plan ist zu improvisieren. Der gelingt immer. Mist, jetzt habe ich's verraten."
"Oh... das klingt wie der allerbeste Plan. Ja, verdammt, jetzt werde ich tatsächlich hart", gab ich schmunzelnd zurück.
"Ich sage dir aber auch hierzu jetzt mal meine ehrliche Meinung, weil es wichtig ist, dass du das verstehst. Wirklich guten Sex kann man nicht planen. Man kann nur Voraussetzungen schaffen, die ihn ermöglichen. Die erste und wichtigste Voraussetzung für mich ist das Gefühl. Idealerweise Liebe, aber auch Libido, oder lass mich dir da noch weitere Konzepte vorstellen: Lust und Geilheit."
"Die differenzierst du?"
"In meiner eigenen kleinen Welt, ja. Lust ist für mich das Gefühl, wenn ich mit meinem Partner schlafen möchte, erregt und befriedigt werden, kein kleiner, aber ein überschaubarer Rahmen. Geilheit, pure, reine, anarchische, wahnsinnige Geilheit, ist die Überspitzung dieses Gefühls, sprengt alle Rahmen. Da möchte ich nicht mit dir schlafen, sondern möchte, dass du mir den Verstand rausvögelst, mich an die Klippe bringst und darüber hinaus, so oft und so hart wie das nur irgendwie geht. Mich erschütterst, mir das Irrationale eröffnest, aber auch die Perversionen, das "wie weit kann man eigentlich gehen", wenn man alle Sicherungen rausnimmt, oder sie durchknallen. Was hilft, mich zu erschüttern, mich nur auf dieses wahnsinnige und absolut chaotische Gefühl zu reduzieren."
"Oh..."
"Verstehst du, beides setzt für mich eines als wesentlich voraus: Absolutes Vertrauen und absolute Hingabe, Vertrauen in den Partner, aber auch in sich selbst, Hingabe an den Partner, aber auch sich den eigenen Impulsen auszuliefern, nicht zu zensieren, sich mitreißen zu lassen. Zu wissen, selbst von den wildesten, perversesten, erschütterndsten Ausschweifungen zum Ausgangspunkt zurückkehren zu können, und immer noch man selbst zu sein. Die Anarchie und das Chaos der Geilheit zuzulassen, bestimmend werden zu lassen und danach von selbst in die natürliche Ordnung zurückzukehren. Nicht zu werten, nicht einzuordnen, einfach nur als Erfahrung zuzulassen."
Puh. Das war erst einmal einiges an Konzepten, die verarbeitet werden wollten. Alles rational halbwegs nachvollziehbar, aber...
"Bevor du jetzt tiefer darüber nachdenkst, lass mich noch weitergehen. Durch die Geilheit habe ich dich schon an ein Konzept herangeführt, was ebenso die Erfahrung bestimmt, weil hier das wichtigste Moment ist, zuzulassen, dass man die Kontrolle verliert. Es geht also um Kontrolle. In diesem extremen Fall kommt man ohne sie aus, oder ist diese nur durch totalen Kontrollverlust erreichbar, in allen anderen Fällen bestimmt sich die Natur der Erfahrung dadurch, wer die Kontrolle übernimmt. Verstehst du? Lässt du mich ans Ruder, bestimme ich, wohin die Reise geht. Hast du ein bestimmtes Ziel, auf das du zusteuern möchtest, musst du die Bereitschaft haben, uns in Eigenverantwortung dorthin zu bringen und das auch tun."
"Ich denke, ich verstehe, was du damit sagen willst. Aber ist es nicht oft so, dass in einer Partnerschaft und auch in der Sexualität diese Rollen schon in gewisser Weise vorgegeben sind?"
"Exakt. So ist es, oft macht aber genau das die Sache irgendwann unbefriedigend. So war es für mich mit früheren Partnern, auch mit Jonas zum Teil. Ich habe ihnen oft, zu oft und zu gerne, die Kontrolle überlassen, weil ich mich dabei wohl gefühlt habe, glücklich darüber war, was sie mit mir angestellt haben, wie sie mich überrascht und befriedigt haben. Ich überließ ihnen nicht nur die Kontrolle, sondern meinen Körper, mich selbst. Da sind wir wieder bei Hingabe: Ich gab mich ihnen und dem Moment völlig hin. Das ist für eine Frau eine natürliche Regung, oder zumindest etwas, was viele von uns als die natürliche Rolle akzeptiert und internalisiert haben."
"Aber auch verkürzend, verkleinernd, ein Korsett", entwich meine Schlussfolgerung ohne vorherigen Gedankengang.
"Genau. Ich liebe und brauche es genauso, die Kontrolle übernehmen zu können, die Art der Erfahrung zu bestimmen, mich in den Mittelpunkt zu stellen, was nicht heißen muss, dass es dann dabei nur um mich und meine Lust geht, sondern um das Bestimmen des Geschehens an sich. Wenn der Impuls, die Richtung des Moments, von mir ausgeht, braucht es von der anderen Seite nicht das Zurücknehmen, sondern nur die Hingabe an die Richtungsänderung, die Offenheit für den Impuls, die Fähigkeit sich leiten zu lassen, weil die Bewegung sonst unmöglich ist."
"Ich denke, ich kann dir folgen."
"Vielleicht, vielleicht denkst du das auch nur, weil du die Praxis noch nicht kennst. Das begreife ich auch als Chance. Du wirst Sex fast völlig unvoreingenommen erleben, weil dir die prägenden Vorerfahrungen fehlen. Du hast keine zehn oder mehr Beziehungen hinter dir, wo du immer der starke Mann, der den Ablauf kontrolliert, sein wolltest oder auch sein musstest, weil es ist oft nur eine Reaktion auf die Erwartungshaltung des anderen und seiner eigenen. Muster, von außen herangetragen, die dann als bewährt erstarren und verknöchern, bis jeder Versuch sie aufzubrechen, ein Wagnis, ein Abenteuer ist. Was durchaus auch befriedigend sein kann, wenn es zum Durchbruch und zur Lösung kommt, viel öfter aber als Bedrohung und damit Angst auslösend empfunden wird."
"Verstehe, das Rollenverständnis bestimmt die Muster und je starrer sie sind, desto extremer wird das Rütteln daran empfunden, positiv wie negativ."
"Du hast es verstanden. Also hier meine Idee von Voraussetzungen, mein Plan: Zulassen. Hingeben. Offen für die Richtung der Bewegung sein. Schauen, wohin der Moment, die Bewegung uns führt. Du mich oder ich dich. Mein Wunsch zur Zärtlichkeit, dein Wunsch zur Befriedigung. Meine Geilheit, deine Selbstkontrolle. Erfühlen, was in dem Moment angesagt ist. Wer in dem Moment sich berufen fühlt, das Geschehen zu kontrollieren, oder die Kontrolle abzugeben."
"Völlige Übereinstimmung. Nur so kann es gehen. Ja."
"Dann löse dich gleich von dem letzten Konzept: Dass nur Erfahrung, Technik, Wissen und Kunstfertigkeit das Erleben positiv gestalten können. Dass du darauf warten musst, dass ich dich an die Hand nehme und dir zeige, wie ich erregt und befriedigt werden will. Ich werde dir Hilfen geben, aber das Schöne und Wunderbare ist ja das Entdecken, das selbst erleben, sich und seinen Partner. Ich weiß, welche Knöpfchen zu drücken garantiert Resultate bringt. Aber ich weiß doch längst nicht alles, lasse mich gern immer wieder überraschen. Finde immer wieder gern verblüfft heraus, dass es da noch ganz andere Knöpfchen gibt, die und wo ich sie nie vermutet hätte. Es ist eine Reise, auf die man sich irgendwann begibt, aber die nie endet. Natürlich hilft es, einen Mitreisenden zu haben, der einen auf die Sehenswürdigkeiten am Wegesrand aufmerksam machen kann, aber es sind allein deine Augen, dein Erleben und dein Empfinden, die diese gemeinsame Reise in seiner Gänze für dich eröffnen."
Ja, das machte alles Sinn. Ich konnte absolut alles nachvollziehen. Und doch war mir klar, dass mir die vollständige Bedeutung noch nicht klar sein konnte, weil das tatsächliche Erleben fehlt, unsere Reise gerade erst begonnen hatte.
"Eine Frage... was meinst du mit Perversionen?"
"Nun, es liegt sicher immer im Erfahrungsbereich und Auge des Betrachters, was man als solche versteht. Eben das, was über das als natürlich und "normal" Hinausgehende angesehen wird. Wobei du nie zögern solltest etwas zu versuchen, oder mich um etwas Ausgefallenes zu bitten. Sagen wir zum Beispiel mal... hm, wenn dich das geil machen würde, dass ich mich als Taliban verkleide, damit du mich als späte Rache richtig heftig in den Arsch ficken kannst... du brauchst es mir nur zu sagen. Ich bin für so ziemlich alles zu haben. Zensiere um Gottes Willen deine Fantasien und Impulse nicht."
Holla. Das war nun starker Tobak. Obwohl...
"Das hätte vielleicht durchaus einen therapeutischen Wert", brachte ich mit albernem Kichern heraus, in das sie einstimmte. Aber ja, ich hatte zumindest verstanden, was sie mir damit sagen wollte. Obwohl mir ad hoc nichts einfallen wollte, was mich über das "Normale" hinaus ansprach, oder reizte. Ich war mir allerdings sicher, dass sie da interessante Ideen entwickeln könnte. Taliban... diese Frau...
"So viel zur Theorie", riss mich ihre Stimme aus meinen Gedanken. "Und nun... zur Praxis."
"Oh."
"Zur Schlachtbank mein Lämmchen, dein Opfer auf dem Altar der Liebe wird die Götter ergötzen und erhitzen, Cassandra hat's gesehen. Folge Er mir in den Himmel... und die Hölle. Fürchte dich nicht. Wisse, Er kehret aus beiden zurück."
Es war nicht nur ihr letzter Ausspruch, der dafür sorgte, dass ich ihr nun total ruhig und gelassen in ihr Zimmer folgte. Sie kannte und verstand mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ich die vorangegangene rationale Analyse und Beschäftigung mit dem mir weitestgehend Unbekannten gebraucht hatte.
Ja, die nun langsam eintretende Öffnung dem Emotionalen gegenüber hatte mich bereits verändert, aber längst nicht so radikal, dass ich ohne ihre Erklärungen nicht vielleicht doch verkrampft und mit einem ganzen Satz von Erwartungshaltungen und gefühltem Druck dieser Situation gegenübergetreten wäre.
Dass sie mich tatsächlich an ihre Hand nahm, um mich in ihr Zimmer zu führen, hatte zwar auch den symbolischen Charakter, dass sie bereit war mich zu leiten, und dass ich mir ihrer Hilfe sicher sein konnte, war aber in erster Linie ein Zeichen der Verbundenheit, des gemeinsamen Eintritts in das Neue.
Sie verschwand dann zunächst im Bad, kam dann aber schnell mit den dort verwendeten Kerzen zurück und platzierte sie überall im Raum. Da sie nicht für alle Kerzenständer hatte und hier keine Kacheln für einen entsprechenden Schutz vor Brandgefahr sorgten, holte ich noch rasch einige Untertassen.
Bei meiner Rückkehr hatte sie die Sitzkissen, die sie in weit größerer Anzahl als vermutet besaß, schon zu einer größeren Fläche ausgebreitet und mit einem sehr großen Tuch, das ich gleichfalls noch nicht zu Gesichte bekommen hatte, abgedeckt. Abgesehen davon, dass es intensiv und dabei sehr angenehm und interessant roch, waren darauf kreisförmig angeordnet Motive, die an Illustrationen aus dem Kama-Sutra erinnerten, wovon ich eine sehr schöne Ausgabe zum Verkauf feilbot.
Ihre Erklärung kam, als sie meinen belustigten Gesichtsausdruck bemerkte.
"Falls du visuelle Inspirationen brauchen solltest...", meinte sie mit hintergründigem Lächeln, während wir beide gleichzeitig Kerzen im ganzen Raum anzündeten.
"Ich glaube, du wirst mir schon Inspiration genug sein", erwiderte ich. "Was ist das für ein herrlicher Duft?", erfragte ich, als ich nun gezielt daran schnupperte.
"Eine Mischung aus Massage-Öl und meinem Sekret", gab sie lächelnd zurück. "Du hast eine feine Nase, das ist mir schon öfter aufgefallen. Freut mich, dass er dich so anspricht."
Sie schaltete die Heizung auf die höchste Stufe und begann sich auszuziehen, was mich nur leicht verwunderte. Ich ahnte, dass sie schon einen langsamen Beginn wünschte, aber andererseits nicht zu langsam, denn ich glaubte ihr ohne weiteres, dass es ihr wirklich schwergefallen war, sich so lange zurückzuhalten.
Mal abgesehen davon fühlte auch ich mich wie ein kleines Kind an Weihnachten, das zudem gar nicht böse darum war, dass das Geschenk sofort ausgepackt wurde. Meine Wahrnehmung war erneut eigenartig verschärft und vertieft, das äußerte sich nicht nur olfaktorisch. Fast wie nach dem Yoga, wenn auch etwas anders, verfremdet.
Ich meinte sogar so etwas wie einen ihren Körper umgebenden strahlenden Halo wahrzunehmen, hielt das allerdings für eine Sinnestäuschung in diesem Moment. Wir fanden uns nach einer kurzen, küssenden Umarmung nackt auf der von ihr erstellten Spielwiese ein. Setzten uns zunächst uns gegenüber und begannen einen wunderschönen Austausch von Zärtlichkeiten.
Ohne Ziel und Plan erfreute ich mich an der Weiche und Zartheit ihrer nackten Haut, erforschte ihren ganzen Oberkörper, wobei ich zugegebenermaßen besonders lange an ihren grandiosen Brüsten verweilte.
Dabei sehr schnell feststellte, dass sie das nicht nur als angenehm, sondern durchaus erregend empfand. Was auch auf ihre Berührungen zutraf, die sie bereits bis zu meinen Leisten ausdehnte und wo sie sogleich besonders empfindliche Stellen bei mir ausmachte und sehr gezielt stimulierte.
Wir küssten uns wieder, noch vergleichsweise ruhig und zärtlich, aber schon im Gleichklang mit dem allgemeinen Gefühl einer sich langsam steigernden Erregung. Ich küsste danach ihr Gesicht, während meine Hände weiterhin ihre Brüste liebkosten und hatte dann die Eingebung, meine Küsse dorthin auszuweiten. Wie gut ihr das gefiel, war sogleich an ihrem von einem wohligen Laut begleiteten tiefen Ausatmen abzulesen, was mich ermutigte, etwas intensiver mit Mund und Zunge ihre Brustwarzen zu erkunden und verwöhnen. Es schien ihr sogar so gut zu gefallen, dass ihre vorher ständig in Bewegung befindlichen Hände zur Ruhe kamen und sich dann hinter meinem Rücken schlossen.
Ihr leichtes Ziehen an meinem Oberkörper interpretierte ich richtig, dass sie nämlich jetzt eine liegende Position einnehmen wollte, um sich in maximaler Bequemlichkeit meiner Erforschung ihres Körpers auszusetzen und hinzugeben. All dies geschah so natürlich und selbstverständlich, ohne verbale oder rationale Eingriffe, ein Geschehen in einem wunderbaren Fluss, dass sich selbst zu generieren schien.
Ich reagierte auf ihre Signale, aber sie überließ mir den Ablauf weitestgehend in diesem Moment. Ich legte mich seitlich neben sie, küsste sie noch einmal lange und zärtlich, bevor ich etwas tiefer rutschte und ihre Brüste weiter verwöhnte. Nun bereits mit ersten Vorerfahrungen in Form der Wahrnehmungen, was ihr dort besonders gut zu gefallen schien.
Für mich insgesamt aber völlig neu, denn das hatte ich mit Prostituierten genauso wenig wie Küssen zuvor probiert, obwohl einige davon das im Gegensatz zu Küssen vermutlich zugelassen hätten. Ihre Hingabe an den Moment und meiner Initiative dokumentierte sie auch mit ihrer Körperhaltung, sie lag völlig entspannt, die Arme angewinkelt neben beziehungsweise hinter ihrem Kopf, ohne dass sich ihre Hände berührten.
Ihre wohligen Laute nahmen an Frequenz und Intensität zu, als ich zusätzlich zu dem Saugen und Lecken an ihren erneut völlig verhärteten Brustwarzen meine Hände auf die Reise schickte, ihren Unterbauch und auch ihren herrlich glatten und zarten Schamhügel streichelte, dann auswärts zu ihren Leisten und Hüften strich. Ohne rationale Steuerung, ohne Wollen oder tatsächliche Erfahrung, spulte sich ein Programm ab, eine natürliche Folge, eine Sequenz. Die sich schon aufgrund ihrer Erzählungen, dem vorher Geschehenen und meinem geringen theoretischen und praktischen Wissen als logisch hätte begründen lassen können, aber eben damit nichts zu tun hatte.
Ich änderte meine Position und kniete mich zwischen ihre Beine, setzte von dort zunächst mein Verwöhnen ihrer Brüste abwechselnd bei der linken und rechten fort, um dann langsam küssend und fallweise leckend tiefer zu gleiten. Ihre stille, aber durchaus sichtbare Begeisterung über diesen Verlauf ermutigte mich zusätzlich.
Ein Zittern lief durch ihren Körper, als ich mein Gesicht an ihrem weichen Schamhügel rieb, mich dann liegend noch etwas tiefer schob, eine bequeme Position fand und mit meiner Zunge erstmals das Zentrum ihrer Weiblichkeit erfühlte. Von ihr kamen keinerlei verbalen Rückmeldungen, was mich etwas überraschte, wohl aber waren ihre Lautrückmeldung sehr bald von leichtem Stöhnen durchsetzt.
Dass und wie sehr sie erregt war, war auch daran abzulesen, dass ihr vorher angesprochenes Sekret, dessen Duft mich in reinster Form an der Quelle noch mehr faszinierte, reichlich vorhanden schien. Auch ihr vielleicht erbsengroßer Kitzler wirkte recht geschwollen und so leicht als Ziel und Mittelpunkt meiner Bemühungen auszumachen.
Nicht nur ihr Genuss und ihre Freude steigerte sich, ich fand wie in einer Rückkopplung nicht nur immer mehr Gefallen, an dem was ich tat, sondern es erregte mich gleichzeitig immer mehr, so dass ich meine nun liegende Haltung verändern musste, weil der Druck auf mein erigiertes Glied etwas unangenehm wurde.
Es war ein unglaubliches Gefühl, zum ersten Mal tatsächlich bewusst und zweifelsfrei Lust auszulösen, steuern zu können, was und wie sie das fühlte, mal kräftiger, mal schneller mit meiner Zunge ihre Erfahrung und ihr Erleben zu bestimmen. Dann ebenfalls als logische Folge nach geraumer Zeit, auf den, der Stärke ihres Stöhnens nach zu urteilen, nicht mehr allzu fernen Höhepunkt zuzusteuern.
Ein ebenso beglückendes Gefühl, einem geliebten Menschen so etwas Schönes geben zu können, denn dass sie langsam in Verzückung geriet, war nicht nur ihren Lauten zu entnehmen. Ihre Armhaltung änderte sich, ihre Arme lagen nun neben ihrem Körper und krallten sich in das Tuch und die noch darunter liegenden Decken, die sie auf den Sitzkissen als weitere Schicht aufgelegt hatte.
Ihr Stöhnen nahm an Lautstärke und Intensität zu, so wie ich es bereits aus unserer Masturbationsnacht kannte, ich fühlte und sah, wie sich ihre Muskeln immer öfter anspannten und verkrampften und ihre kurze Lautpause durch das Anhalten des Atems dann mit einem letzten erlösten Stöhnen wie meine Bemühungen erfolgreich beendet wurde.
Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einer Frau einen Höhepunkt verschafft. Erst mit dieser Erkenntnis setzte das rationale Denken wieder ein, auch die Unsicherheit, wie ich nun weiter vorgehen sollte. Weitermachen? Dass dies manche Frauen durchaus mochten und wünschten, hatte ich bei Nancy Friday mittlerweile gelesen, aber wie war das bei ihr?
Ihre Hände, die sich an meinem Kopf einfanden, gaben mir die Antwort. Zwar gelang es ihr aufgrund der Kürze nicht daran zu ziehen, aber es war schon erkennbar, dass sie mich nicht weitermachen lassen wollte, sondern zu ihr hinauf wünschte. Auf ihr? Es schien wie die logische Folge und es war auch unser beider Wunsch, uns nun entspannt zu fühlen und zu küssen.
Dieser erlöste und entzückte Ausdruck in ihrem Gesicht war zudem etwas, was mich über alle Maßen glücklich und zufrieden machte. Die Liebe, die ich fühlte und von ihr zurückbekam, die nun erstmals auch bei ihr eine Steigerung in dieser Form ermöglicht hatte. Es wunderte mich nur leicht, dass sie nicht sprach, es brauchte eigentlich keine Worte, um unsere Empfindungen auszudrücken, nur unsere Blicke und Körper.
Als wir uns gerade von einem langen Kuss lösten, sah sie mir tief und lange in die Augen, deutete dann ein leichtes Nicken an. Eine Antwort auf eine nicht gestellte, aber durchaus vorhandene Frage, nach dem weiteren natürlichen Ablauf. Die Vereinigung. Die physische Verschmelzung, die der rationalen und emotionalen nun als Konsequenz folgen musste und sollte. Ich brauchte meine Haltung nur minimal zu verändern, dann stieß mein völlig verhärtetes Glied schon an ihre feuchte Vagina, glitt wie von selbst die letzten Zentimeter an ihr hinab zu ihrer Öffnung.
Mein Innenhalten hatte nichts mit Angst, oder dem Wunsch noch eine letzte Bestätigung erhalten zu wollen, zu tun. Es waren ihre Augen, und ihre Liebe darin, die mich für einen Moment völlig fesselten, die Zeit für einen Moment stillstehen ließen, ein so überwältigendes Gefühl generierten, dass ich den Tränen nahe war. Um dann langsam und vorsichtig in sie einzudringen.
Wusste im selben Moment, dass auch dies ein völlig anderes und neues Erleben war und nicht mit den mechanischen und unbefriedigenden Erfahrungen, die ich zuvor gemacht hatte, vergleichbar war. Verlor ich in diesem Moment wirklich meine Jungfräulichkeit und gewann durch ihre Liebe meine Unschuld zurück.
Weil es wirklich und im wahrsten Sinne des Wortes ein Liebesakt war, der tiefste und natürlichste körperliche Ausdruck dieses Gefühls. Die Bewegungen, langsam und beinahe andächtig von dieser und nicht irgendeiner Reaktion auf meine sicherlich ebenfalls vorhandene starke Erregung war. Also kein bewusster Versuch, hier nur schönes und seligmachendes Erleben weitestmöglich auszudehnen. Nein, es geschah alles wie von selbst.
Ein staunendes Gleiten in einem ruhigen Meer unglaublich starker und stärker werdender Empfindungen. Eine Fassungslosigkeit, dass so es so etwas Schönes überhaupt geben konnte, etwas, was ich mehr als Zeuge denn Akteur wahrnahm. Dabei wiederum auch nicht als einzelne Person, denn die Gemeinsamkeit des Erlebens schweißte uns bereits und immer mehr zusammen.
Wir wurden Zeuge dieses unglaublichen Geschehens, das wir generierten und uns trotzdem wie ein von außen empfangenes Geschenk erschien, das wir in tiefster Dankbarkeit und Glückseligkeit entgegennahmen. Das sich wie unsere Erregung als Empfinden immer weiter steigerte, einem Ziel zusteuerte, von unseren Körpern und deren Reaktionen mehr geleitet, denn gesteuert.
Und doch unausweichlich auf diesen Punkt der völligen Auflösung zueilte, einer zunächst unmerklichen, dann deutlicher werdenden Beschleunigung folgend. Erst in der allerletzten Sequenz, als bei mir eigentlich schon die natürliche Zuspitzung unausweichlich erschien, griff ich bewusst ein, da ich spürte, dass sie ihrem Höhepunkt ebenfalls nahe, aber noch nicht ganz so weit war.
Unterbrach kurz, lenkte mich mit einigen sinnfreien Gedanken ab, um dann fortzusetzen und tatsächlich am Ende einen fast gleichzeitigen Höhepunkt mit ihr zu erleben. Mich zum ersten Mal wirklich in den Körper eines anderen Menschen ergoss, mich verströmte, nicht nur meinen Samen, sondern meine ganze Liebe und letztlich mein ganzes Selbst in sie ergoss.
Ein Moment, der sich in seiner Gänze unauslöschlich in meinem Gedächtnis einbrennen würde, wie ihr Gesichtsausdruck dabei, der Ausdruck reinster und höchster emotionaler wie auch körperlicher Ekstase, aber auch dieses Staunens, Unglaubens, dass das gerade und zuvor Erlebte überhaupt möglich und erfahrbar war.
Wusste im selben Moment, dass sie das in dieser Form ebenfalls noch nicht erlebt hatte. Nicht nur ich, sondern wir beide zu neuen Ufern aufgebrochen und angekommen waren. Ein Gefühl wiederum, keine rationale Erwägung. Denn die Gedanken setzten erst nach und nach, wie in von einer viskosen Schicht gebremst, wieder ein.
Erholten wir uns erst nach und nach von dieser Erschütterung in der Tiefe unseres Seins, kehrten nur zögerlich in die vertraute Realität zurück. Fanden lange weder das Bedürfnis noch die Kraft, uns verbal auszutauschen. Stiegen gemeinsam, still und voller Ehrfurcht von diesem Gipfel der Empfindung hinab ins Tal der vertrauteren Realität. Küssten und drückten uns unablässig zu diesem Zwecke, riefen uns lautlos das "ich liebe dich" zu, doch klar und deutlich vernehmbar.
Wie lange wir so aufeinandergelegen hatten, kann ich nicht einschätzen, überhaupt hatte Zeit jedwede Bedeutung verloren. Mein Glied war auf jeden Fall den größten Teil dieses Abschnitts in ihr verblieben, auch als es bereits erschlafft war, da wir uns so gut wie nicht bewegten.
Irgendwann kam dann allerdings der Gedanke in mir hoch, dass ihr mein durch meine Muskelmasse nicht unbeträchtliche Gewicht auf Dauer vielleicht doch unangenehm werden könnte und ich bewegte mich langsam von ihr herunter. Streichelte zärtlich ihr immer noch strahlendes und verzückt wirkendes Gesicht, nachdem ich mich auf einen Arm seitlich neben ihr aufstützte.
"Das war wundervoll", wagte ich einen ersten und dem Ereignis in keiner Weise gerecht werdenden Kommentar.
"Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts", kam prompt ihre Replik. "Aber selbst von einem Autor wie dir erwarte ich nicht, dass er das Erlebte in angemessene Worte kleiden könnte. Dafür ist unser Sprachschatz zu klein. Wow."
"Wow passt doch", gab ich zurück. "Und übrigens: Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch. Und selbst das klingt zu schwach. Das gibt es nicht. Wahnsinn."
"Also habe ich mich für einen Anfänger ordentlich geschlagen?", fragte ich schmunzelnd.
"Als ob du dir das als Eigenleistung zuschreiben könntest. Aber du hast alles richtig gemacht, nämlich das einfach zugelassen. Na ja, bis auf das Ende, da hast du schon eingegriffen, nicht wahr? Dafür verdienst du sogar einen Orden. Für das Lecken davor gebührt dir allerdings allerhöchstes Lob, da bist du ein echtes Naturtalent."
"Also komme ich tatsächlich nicht nur aus rationalen und emotionalen Gründen als zukünftiger Partner in Frage?"
Sie krauste die Stirn und tat so, als ob sie darüber nachdenken müsste.
"Nun... zu dem Eignungstest gehört selbstverständlich auch ein Belastungstest...", setzte sie mit mühsam unterdrücktem Grinsen an. "Wenn du diesen überstehst... oder zumindest überlebst... stehen die Chancen nicht schlecht. Da ich wie gesagt nicht grausam bin, gönne ich dir noch eine kleine Pause. Wie wäre es mit Wein?"
"Es wäre ganz vorzüglich."
"Dann sei ein Kavalier und hole ihn. Ich fürchte, meine Knie sind immer noch zu weich."
Das tat ich dann und wir setzten uns hernach zum Trinken auf.
"Jetzt ist leider nicht nur Öl und dein Sekret auf dem Tuch", machte ich sie auf mein aus ihrer Scheide ausgetretenes Sperma aufmerksam, dass ebenfalls bereits sein Weg dorthin gefunden hatte. "Warum eigentlich vorher nur das? Hast du das Tuch mit Jonas nicht genutzt?"
"Nein, das war bislang meinen tantrischen Soloflügen vorbehalten. Mein mobiler Tempel der Lust. Oder, um es positiver zu formulieren: Nur Menschen, die ich vollständig und grenzenlos liebe, finden dort Einlass."
"Hm... das ist eine Erklärung, die mich glücklich macht... man könnte das Teil auch einfach in die Waschmaschine stecken, oder geht das wegen dem Stoff nicht?", kommentierte ich ihren Versuch, den Spermafleck mit einem angefeuchteten Taschentusch zu reinigen.
"Doch, vom Stoff her ja, aber nicht von seiner Bedeutung her. Das hat mit der tantrischen Ausbildung zu tun, von der es stammt. Man wäscht sie nicht, sondern erhält die Erfahrungen gemeinsam mit den Düften, so wurde das zumindest uns weiblichen Teilnehmern angetragen."
"Verstehe, interessantes Konzept."
"Na, du kannst mir jetzt ja präventiv bei dem Rest helfen", kam eine kryptische Aufforderung, deren Sinn sich mir zunächst nicht erschließen wollte.
"Öhm... was genau meinst du?"
"Du könntest mich sauberlecken."
Oh. Hm. Wie wohl jeder Mann hatte ich mal einen Geschmackstest meines Spermas gemacht, war davon allerdings nicht wirklich angetan gewesen. Warum nicht. Immerhin hatte ich die Sauerei angerichtet, also konnte ich auch das Reinigen übernehmen. Zudem ein verheißungsvoller Arbeitsplatz, da sprach also mehr dafür, als dagegen.
"Selbstredend. Mach's dir bequem", forderte ich sie auf. Claudia stellte ihr neben ihr befindliches Weinglas etwas weiter weg auf den Boden und legte sich auf den Rücken. Sie grinste verschmitzt und öffnete mit einer blitzartigen Bewegung ihre Beine, was in diesem Moment wirklich lustig wirkte und wohl auch so gedacht war.
So schlimm schmeckte es diesmal gar nicht. Sehr erträglich sogar, und die Beimischung ihres Sekrets tat da sicherlich auch einiges zur Geschmacksverbesserung bei. Ihr Aroma hatte ich schon nach dieser kurzen Zeit liebgewonnen. Wie auch das Gefühl ihres Geschlechts an meiner Zunge. Mit anderen Worten, ich sah weder einen Grund noch hatte ich ein Bedürfnis, mit dem Lecken aufzuhören.
"Oh... man merkt, wie wichtig dir Hygiene ist. Du reinigst wirklich... gründlich...", gab sie nach einigen wohligen Lauten bekannt.
"Ich habe gerade ein neues Faible entdeckt. Und weiß ja bereits aus meinem bescheidenen Erfahrungsschatz, dass man Ruhepausen so wunderbar gestalten kann. Möchtest du, dass ich aufhöre?"
"Nein, ich bin... mit deiner... Gestaltung der Pausen... uff... wirklich... mmh... sehr... sehr... oh.... zufrieden...", kommentierte sie mühsam die Wiederaufnahme meiner Tätigkeit, ohne ihre Antwort abzuwarten.
Ja, das war ihr anzusehen. Ihre Hände krallten sich vor Zufriedenheit schon wieder öfter in die Decke. Auch mit meinen Improvisationsversuchen schien sie keinerlei Probleme zu haben, denn ich variierte häufiger Geschwindigkeit und Art des Zungenschlags, um zu sehen, was ihr davon am besten gefiel, ich sonst vielleicht auch eine Rückmeldung bekam, wie ich es anders oder besser machen könnte.
Sie blieb alles andere als stumm, nur Worte im herkömmlichen Sinn waren nicht auszumachen, im Wesentlichen aber durchaus verständlich, was sie ausdrücken wollte. Kritik schien nicht enthalten, also machte ich einfach so weiter, saugte an ihrem kleinen Wonneknopf, und züngelte daran, probierte Kreiseln, leichte Veränderungen meiner Kopfposition, alles was ein wenig für Abwechslung sorgen mochte.
Ich dachte auch kurz daran, meine Finger zusätzlich einzusetzen, aber da wollte ich vorher fragen, denn die eine Prostituierte, bei der ich das einmal probieren wollte, hatte entrüstet abgelehnt.
Im Buch von Nancy Friday gab es eine Fantasie, wo eine Frau die andere kurz vor den Höhepunkt brachte und sie dann nicht kommen ließ, immer und immer wieder. Ich fragte mich gerade, ob ich dies ebenfalls versuchen sollte und ob Claudia das mögen würde, als diese Frage durch ihren lautstarken Höhepunkt als rein akademisch verworfen werden konnte.
"Okay", meinte sie mit einiger Atemlosigkeit. "Ersten Ausdauertest bestanden."
"Wieso? Hat das jetzt lange gedauert?", fragte ich ehrlich verblüfft. Hatte es?
"Eine halbe Stunde mindestens. Eine irrsinnig schöne, wahnsinnig geile halbe Stunde. Dir mangelt es nicht an Geduld. Dass es dir nicht an Zungenfertigkeit fehlt, ist mir vorher schon einige Male aufgefallen."
"Und ich hatte gerade überlegt, ob ich das verlängern sollte. Erinnerst du dich an die eine Geschichte im Nancy Friday..."
"Oh... ich glaube ich weiß, welche du meinst. Nein, probiere das bei mir besser nicht, wenn bei mir der Erregungsbogen einmal unterbrochen ist, kannst du praktisch wieder von vorne anfangen. Das könnte für beide frustrierend werden."
"Für mich glaube ich eher nicht. Ich kann eigentlich davon nicht genug kriegen. Es fühlt sich wirklich großartig an. Auch dich so schön zum Stöhnen zu bringen und zu wissen, dass das diesmal absolut authentische Rückmeldungen sind, macht mich glücklich und zufrieden. Dir Lust zu bereiten, und Genuss... es erregt mich dabei übrigens auch total."
"Das ist sehr offensichtlich. Oh Gott, vielleicht habe ich doch den Mund ganz schon vollgenommen... oder sollte ich ihn vielleicht noch etwas voller nehmen?", kam die Frage, die sich dann sogleich selbst beantwortete.
Eine Antwort, die mich nachhaltig begeisterte, denn was sie mit ihrem Mund da anstellte, war von der ersten Sekunde an eine Offenbarung. Ein Bereich, wo ambitionierte Amateure offenbar die Profis um Längen übertreffen können. Bei ihr kam sicherlich und sichtlich zudem Begeisterung, Hingabe und ein unbedingtes Wollen hinzu, mir die Erfahrung so schön und so lang wie möglich zu bescheren.
Wobei mir schon durch den Kopf schoss, dass ich da genau wie ihr erster Freund gestrickt war, und einiger Sicherheit sagen konnte, dass es bei mir jetzt ohnehin sehr lange dauern konnte. Und war Minuten später geneigt, dieses Urteil zu revidieren, denn wenn sie das gewollt hätte, hätte sie mich dann schon zum Platzen bringen können.
Das schien keineswegs ihre Intention. Sie präsentierte mir eine Vielzahl von Techniken, auch das angesprochene Schwertschlucken, mit einer unglaublichen Ruhe und Gelassenheit, dabei erneut das Gefühl vermittelnd, dass sie jederzeit Herrin der Lage war. Und ergötzte sich ähnlich wie ich, immer wieder an meinen für mich völlig ungewohnten non-verbalen Zustimmungen, wie gleichfalls meinem sicher völlig weggetretenen Gesichtsausdruck.
Ich lernte ja auch von ihr. Das Verkrallen in der Decke schien in der Tat oft die einzige Möglichkeit, ein aufkommendes Schreien zu unterdrücken, so extrem und wahnsinnig schön waren die körperlichen Sensationen, die sie bei mir auslöste. Gleichzeitig verschaffte es das Gefühl, noch Erdkontakt zu haben, denn oft genug hatte ich das Gefühl in den Himmel abzudriften.
Von einem Zustand absoluter Verzückung in den Nächsten, meist in einer sublim wellenförmigen, gleichmäßigen Bewegung. Aber dann auch öfter durch das Durchbrechen der Gleichförmigkeit, ein schnelles und mitreißendes steiles Ansteigen der Erregungskurve, um dann wieder kurz auf einem Plateau zu verharren und in die Regelmäßigkeit und Ruhe zurückgeführt zu werden.
Es war in jedem Fall irrsinnig schön, manchmal so schön, dass ich mich fragte, wie lange ich das noch ertragen konnte. Ob es wirklich Grenzen gab, wie lange man so etwas ertragen kann. Aber dann, wieder ziemlich überraschend für mich, entschied sie sich, eine dieser Beschleunigungsphase zum endgültigen Durchstarten zu nutzen und mich zur Entladung und Erlösung zu bringen.
Das ging wiederum so schnell, dass ich keine Gelegenheit hatte, sie auf den kommenden warmen Segen in ihrem Mund aufmerksam zu machen. Was wohl auch nicht nötig war. Sie wusste genau was sie tat, und was die Folge sein würde. Schluckte alles herunter und schaute mich mit einem zufriedenen Lächeln an, als sie mir auch die letzten Tröpfchen ausgesaugt hatte.
Ich bedeutete ihr zu mir zu kommen, damit ich sie küssen konnte. Was sie nur zu gerne tat. Auch hier störte mich weder der Geruch noch der Geschmack meines Spermas, die beide wahrnehmbar waren. Ich stellte erstaunt fest, dass diese Art von Blow-Job mich richtig erschöpfen konnte, denn ich fühlte mich gleichsam körperlich wie auch emotional etwas schlapp, konnte mir aber in dem Moment nicht wirklich erklären wieso.
"Du siehst auch nicht unzufrieden aus", meinte sie lächelnd, als sie sich an mich geschmiegt hatte und zärtlich mein Gesicht streichelte.
"Das war einer mystischen Erfahrung, wie ich sie mir vorstelle, sehr nahe. Manchmal fast unerträglich schön... ich verstehe allerdings nicht, warum ich mich so erschöpft fühle", fügte ich noch hinzu, denn das war mir weiterhin rätselhaft.
"Du hast fast die ganze Zeit deine Muskeln angespannt und wieder entspannt. Ist dir das nicht aufgefallen? Ich glaube, es gibt Trainingsarten, die auf diesem Prinzip aufbauen. Siehste, so brauchst du nicht mal mehr ins Studio gehen. Ich halte dich schon fit."
"So viel Freude hat mir das Auspowern dort allerdings nie bereitet. Ich fürchte, jetzt werde ich tatsächlich eine etwas längere Pause benötigen. Steht dir der Sinn nach Pausenunterhaltung?"
"Lass man stecken, wir wollen es nicht gleich übertreiben. Außerdem ist das bei Frauen nicht anders, wir gewöhnen uns gleichfalls schrecklich schnell daran, verwöhnt zu werden."
"Ich sehe da ebenfalls keine Gefahren. Und bin genauso bereit, sehenden Auges in mein Verderben zu rennen."
"Du meinst das völlig ernst, nicht wahr? Oh mein Gott. Aber nein, jetzt möchte ich wirklich für eine Weile nur mit dir kuscheln, bei dir sein. Das erst einmal einsacken lassen, wie unglaublich schön das mir dir bisher war und ist."
"Also bist du mit dem bisherigen Verlauf weiterhin zufrieden?"
"Zufrieden? Ich könnte schreien vor Glück. Dabei lernen sich unsere Körper erst kennen. Und ich weiß genau, was du mit fast unerträglich schön meist. Das kann eigentlich nur im Irrenhaus enden, wenn sich das noch steigert."
"Oder im Krankenhaus."
"Oder da."
"Möchtest du noch einen Schluck Wein?"
"Nein, auch das erstmal nicht. Ich möchte deinen Geschmack in meinem Mund noch länger auskosten."
Das überraschte mich nun doch etwas.
"Wirklich, du magst diesen Geschmack? Hm... gut zu wissen. Es macht dir auch tatsächlich Spaß, mich oral zu befriedigen, nicht wahr? Es sah jedenfalls so aus."
"Oh ja, ich mache das ganz gern, wenn ich Lust darauf habe, was nicht immer so ist. Besonders nicht, wenn es eingefordert wird. Das muss dich jetzt nicht schrecken, auch das wird bei dir wahrscheinlich ganz anders sein. Dein Schwanz fühlt sich nebenbei großartig an... groß und großartig, das war eine ganz schöne Herausforderung."
"Das heißt, meine Vorgänger..."
"Hatten alle nicht dein Format, weder geistig noch körperlich. Emotional schon gar nicht."
Das war ebenfalls ihr voller Ernst und nicht so dahingesagt. Kein Kompliment, eine simple Feststellung. Sie schien nachzudenken.
"Und da ist noch etwas anderes, was du allen voraushast. Ich zeig's dir. Steh mal bitte auf und dreh dich zur Wand."
Verwundert folgte ich ihrer Aufforderung und drehte mich zur Wand. Sie war irgendwo hinter mir, sehen konnte ich sie nun nicht mehr.
"Jetzt lass dich fallen. Ich fang dich auf."
Oh? Ich machte mir allerdings keinerlei Gedanken oder Sorgen und kam ihrer Aufforderung unverzüglich nach. Das Gefühl des Fallens wurde schnell durch ihren sicheren Griff gebremst und sie ließ mich den Rest des Weges ganz langsam zu Boden sinken.
"Das ist auch ein tolles Gefühl", bemerkte ich, auf der Erde, beziehungsweise ihren Kissen angekommen.
"Weil du dieses Vertrauen in mich hast. Dieses unerschütterliche, großartige, rückhaltlose Vertrauen. So sehr hat mir noch nie ein Mensch vertraut, du hast keine Sekunde gezögert, nicht mal mit der Wimper gezuckt. Weißt du, wie selten das ist?"
"Das finden wir heraus. Jetzt du."
Wir wiederholten das Spiel und sie ließ sich selbstverständlich auch sofort fallen. Ich hatte intuitiv begriffen, wie und an welchem Punkt ich sie am besten auffangen sollte und geleitete sie ebenfalls langsam und sicher zur Erde.
"Nun, nach den vorliegenden statistischen Daten scheint das gar nicht so selten zu sein", gab ich zu bedenken.
Sie lachte und zog mich zu sich herab.
"Bei Unikaten und Unikums scheint es da statistische Ausreißer zu geben", gab sie zu. Und küsste mich zärtlich. "Ich fühle mich total sicher und geborgen bei dir. Ja, und ich vertraue dir ebenfalls absolut, ohne jede Einschränkung. Auch das erlebe ich zum allerersten Mal. Es ist unglaublich. Und wundervoll. Ich fühle mich komplett, statt Cassandra Komplex, Cassandra komplett. Du machst mich komplett. Weil du mich nicht nur im Ganzen siehst, verstehst, fühlst, mir vertraust, sondern auch noch wunderbar ergänzt."
"Das hat Sebastian so schön über seine Frau gesagt, sie wäre ein Teil von ihm gewesen, mit Sicherheit der Bessere. Das kann ich nicht nur verstehen, sondern so empfinde ich für dich auch. Also beruht dein Gefühl auf Gegenseitigkeit, erhabene Cassandra. Du füllst all die Leere in mir bis zum Überlaufen auf."
"Oh... und wie du vorhin meine besondere "Leere" mit deinem Kunstwerk da aufgefüllt hast... ich habe immer nur den Kopf geschüttelt, wenn meine Freundinnen mit den idiotischsten Kerlen zusammenblieben, nur weil die etwas größere Schwänze hatten. Und mir gedacht, was nützt das, wenn sie damit nicht umgehen können und auch sonst dumm wie Donnerstag sind... aber bei dir... habe ich schon gedacht, größer dürfte er eigentlich nicht sein... und verstehe nun ihre Faszination."
"Es freut mich, dass dir auch dieses meiner Attribute gut passt."
"Ja, da hat Cassandra die Gewissheit, dass dieses Attribut mir noch sehr, sehr viel Freude machen wird."
"Auch hier stehe ich dir gerne und in vollen Umfang zur Verfügung."
"Genau, der Umfang macht den Unterschied."
"Mit deinen Komplimenten dazu kann ich irgendwie ehrlich gesagt nicht so gut umgehen. Dafür kann ich schließlich nichts."
"Nein, das war ein Geschenk der Götter. Gelobt seid ihr Götter. Gelobt! Gelobt!"
Wir kicherten und kalberten noch weiter herum. Auch das war großartig, wir konnten wunderbar kindisch und albern miteinander sein. Ich fand heraus, dass sie ausgesprochen kitzlig an ihren Hüften war. Sie stellte dasselbe an meinen Füßen fest. Es folgten wilde Jagden durch ihr Zimmer und dann die ganze Wohnung.
Wir hatten unser Dessert nach dem opulenten Mahl nicht mehr hinunterbekommen und machten daher einen Abstecher in die Küche. Die erste Flasche Wein hatten wir gleichfalls vernichtet, aber nach kurzer Überlegung verzichteten wir darauf, noch eine weitere zu öffnen. Wir waren ohnehin schon trunken genug von der Nähe des anderen und unserer Liebe.
Es kam zu einem Weincreme-Gefecht in der Küche, bei der wir unsere Löffel wie altertümliche Katapulte nutzten. Unser Treffer leckten wir jedoch mit Gusto von dem Körper des anderen ab. Dieser doppelte Genuss erinnerte uns jedoch daran, dass der Abend ja noch lange nicht ausgeklungen war. Und die Pause vielleicht ihr natürliches Ende erreicht hatte.
Zurück in ihrem Zimmer endete ein Ringkampf im griechisch-römischen Stil für diesen eher ungewöhnlich in langen, leidenschaftlichen Küssen. Die Leidenschaft wuchs, und sehr zu meiner Freude nicht nur die. Leise Zweifel, dass dies so ohne weiteres noch einmal klappen könnte, gab es nämlich schon in meinem Hinterkopf.
Der hatte aber in der Folge wieder Sendepause. Ich im Sinne von aktiver Rolle zunächst auch. Sie kam auf mir zu liegen. Und zeigte mir dann, was es hieß, diese Frau "on top" zu haben. Beim Einführen noch in liegender Position, richtete sie sich hernach auf und begann sich langsam und genüsslich zu bewegen. Schon nach wenigen Minuten wurde klar, dass dies ein völlig andere Erfahrung, als unser "erstes Mal" sein würde.
Sie setzte ihre Erregung, ihre Leidenschaft mit Technik und Geschick um, völlig kontrolliert und auf maximalen Genuss ausgerichtet. Es fühlte sich großartig an. Auch hier blieb sie nicht lange im gleichen Rhythmus, sondern durchbrach diesen oft mit neuen Details, dem Rotieren ihres Beckens, einmal sogar mit Anhalten, wobei sie dann einfach ihre Scheidenmuskeln spielen ließ.
Ebenfalls ein irres Gefühl. Alles noch sehr gemütlich und gemächlich, aufregend sicherlich, aber in keiner Weise auf das Folgende hinweisend. Sie drehte sich einmal kurz und mir damit ihren Rücken zu. In dieser Position gefiel es ihr, und mir durchaus auch, die Bewegungen etwas ausgeprägter und Schlangenlinien ähnlich auszuführen.
Dann kippte sie ihr Becken, mal nach vorn, mal nach hinten, was den Winkel so veränderte, dass es sich manchmal glorios und manchmal doch leicht suspekt für mich anfühlte. Hart an der Schmerzgrenze, aber eben noch nicht da. Sie kehrte in ihre vorherige Position zurück, in der sie mich ansehen konnte, schwang ganz leicht und sanft ein, stützte sich mit ihren Händen neben meinem Körper ab und legte dann richtig los.
Wie sie diese Spannung generierte, die sie wie eine Feder aufzog und unglaublich schnelle und heftige Bewegungen ermöglichte, wollte sich mir nicht erschließen und ich war zudem immer weniger in der Lage überhaupt noch Gedanken sinnvoll miteinander verknüpfen zu können. Sie wurde nämlich immer schneller und wilder, unermüdlich und ohne die mindeste Pause ritt sie mich zuschanden.
Wenigstens verzichtete sie in diesen Momenten auf das Beckenkippen nach hinten, so dass es nicht unbedingt schmerzhaft wurde, aber schon in seiner Heftigkeit irgendwie brutal auf mich wirkte. Dass und wie sehr sie auch das mochte, und wie gut es sich für sie anfühlen musste, zeigte mir neben ihrem durchgängig wegegetretenen Gesichtsausdruck auch ihr Höhepunkt, den ich diesmal nicht erwartet hatte, ehrlich gesagt, weil ich diesen Momenten mehr mit mir selbst beschäftigt war.
Sie hielt nur einen kurzen Moment inne, und schoss dann sofort wieder los, ließ ihren Unterleib fast noch heftiger auf mich klatschen. Eigenartigerweise konnte ich mein Glied bei dieser wilden Fahrt nun kaum noch spüren, fühlte schon eine gewisse Erregung, aber war mir nicht mal sicher, ob ich noch vollständig hart war.
Ich zögerte noch einen Moment, dann richtete ich meinen Oberkörper auf und sie bremste ab, um mich zu umarmen. Ließ dann ohne jeden Widerstand zu, dass ich nun die Kontrolle übernahm, ihren Oberkörper nach unten drückte und nun meinerseits auf ihr zu liegen kam. Erleichtert stellte ich in der vertrauteren Position fest, dass sich an meiner Härte nichts geändert hatte.
Mit der Geschwindigkeit hatte ich allerdings nicht wirklich ein Problem gehabt und setzte gerne fort, was sie angefangen hatte, hämmerte mit ähnlicher Wucht auf sie ein, vielleicht etwas zurückhaltender und nicht ganz so tief, wie sie das getan hatte. Sie schlang ihre Beine und Arme um mich und genoss alles in vollen Zügen, die entbrannte Leidenschaft in verzerrten Gesichtszügen widerspiegelnd.
Ohne dass sich die Geschwindigkeit großartig änderte, wurde das ganze nach und nach immer hitziger, heißer und quälender. Bohrten sich ihre Fingernägel in meinen Rücken, versuchte ich immer tiefer in sie einzudringen, alles weiterhin ohne echte willentliche Steuerung, doch noch die eine oder andere Sicherung im Kasten lassend, aber schon etliche deaktiviert.
Langsam fühlte ich gleichfalls bei mir, dass sich das Erleben steigerte, dass der nun zunächst als Stechen auf der Haut wahrgenommene und dann tatsächlich fließende Schweiß nicht die einzige Körperflüssigkeit bleiben würde, die ich von mir absonderte. Claudia stöhnte und wimmerte, statt zu kratzen fuhren ihre Hände nun unablässig über meinen Rücken, bis hinauf zu meinem Kopf, der Mund weit geöffnet, das Gesicht gerötet und verschwitzt.
Ich fühlte, dass sich der Punkt ohne Wiederkehr näherte, aber ihren Zustand konnte ich in keiner Weise mehr einschätzen und erlebte verblüfft, dass sie mit einer Mischung aus Klagelaut und erlöstem Schrei noch einmal kam, bevor mir dies vielleicht eine Minute später ebenfalls gelang.
Diesmal blieb ich nicht auf ihr liegen, sondern rollte von ihr ab und legte mich schwer um Atem ringend neben sie, war ein paar Minuten nur mit mir selbst beschäftigt und schloss sie erst dann in meinen Arm und zog sie dicht zu mir heran. Wir strahlten uns an, beide immer noch etwas außer Atem.
"Das war anders", kommentierte ich diesmal sofort.
"Das war geil", gab sie sofort zurück. "Das war völlig geil."
Zur Bekräftigung stieß sie einen leichten Schrei aus, dann brachen wir beide in Gelächter aus.
"Damit hätte ich nun überhaupt nicht gerechnet", gab ich mein Empfinden über den ungewöhnlichen Verlauf bekannt.
"Du wirst lachen, ich auch nicht. Erst habe ich es nur total genossen, mich auf deinem Zauberstab da aufzuspießen, zu fühlen, wie du mich total ausfüllst, wie jede Bewegung mich immer höher in den Orbit schoss und dann..."
"Gingen ein paar Sicherungen bei dir durch."
"Genau. Und wie. Ich hab dir doch wohl hoffentlich nicht weh getan? Du hast manchmal ganz schön das Gesicht verzogen."
"Nein, alles im Rahmen, aber das fühlte sich nach einiger Zeit ganz eigenartig an, ich konnte mich selbst... beziehungsweise meinen... Schwanz kaum noch spüren. Deshalb hab ich dann übernommen, ich hatte Angst, dass er schlaffer geworden war und deshalb..."
"Das lag daran, dass ich total nass und ganz schön geweitet war, es war nicht mehr so viel Friktion drin. Und du hast absolut richtig reagiert. In der Stellung eben ging wieder richtig die Post ab, durch den veränderten Winkel hatten wir beide wieder mehr davon. Boah. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Und deinen großen, fetten Schwanz. Wow. Huh!"
"Ich liebe dich auch. Und mit dir so wild..."
"Ficken zu können? Eh, du brauchst dich auch sprachlich nicht so zu zensieren, weißt du? Es ist nicht nur ordinär, es trifft manchmal einfach genauer das Geschehen, oder findest du nicht?"
Mal abgesehen davon, dass ich ihr in diesem Moment vermutlich bei allem zugestimmt hätte, hatte sie hier auch völlig Recht.
"Ja, das war einfach ein wahnsinnig geiler Fick."
"Genau. Zweimal, ich bin zweimal gekommen... ich krieg mich überhaupt nicht mehr ein. Ist das alles irre."
Ich küsste sie und presste sie fester an mich. Sie sah mich lange an, nachdem wir uns wieder gelöst hatten und strich mit der Hand über meinen Oberkörper.
"Ich habe dir gesagt, dass das einen Mann für mich nicht unbedingt attraktiv macht, wenn er so gut gebaut ist, erinnerst du dich?"
"So lang ist das noch nicht her, na klar."
Sie kicherte leise.
"Ja, damals war das auch so. Und jetzt... fahre ich voll drauf ab. Fühle mich nicht mal oberflächlich, oder dumm dabei. Ich liebe deinen Körper, das Spiel deiner Muskeln, diese kontrollierte Kraft, dieses wunderschöne Bild reiner Männlichkeit, die du verkörperst. Auch das löst dieses Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in mir aus. Das mag bescheuert klingen, aber das Wissen, dass du mich wahrscheinlich durch die Gegend tragen könntest, wenn ich mal nicht mehr laufen kann oder will, macht mich glücklich... Jonas ist fast zusammengebrochen, als er mich über die Schwelle tragen wollte..."
"Oje, der Arme. Na, aber dafür hatte er ja andere Qualitäten. Zum Nobelpreis wird es bei mir sicher nicht reichen."
"Aber zum größten Preis von allen: Mich."
"Auch das liebe ich an dir. Dass es dir an Selbstbewusstsein nicht mangelt. Und an präzisen und völlig korrekten Einschätzungen. Eine höhere Auszeichnung, als mir dir zusammen sein zu dürfen, kann es gar nicht geben. Zumindest für mich. Nichts anderes zählt. Ich liebe dich." ___
Diese Nacht und meine ersten echten sexuellen Erfahrungen endete nicht lange nach diesem Erlebnis. Sie war nur der Auftakt, und dieser nur ein Auftakt von vielen, ein Durchbruch, ein Aufbruch in ein wundervolles, schönes und immer vertrauter werdendes Land. In eine Zeit der Glückseligkeit, die mich in ihrer Stärke und Intensität oft genug an meinem Verstand zweifeln ließ.
Es endete allerdings nicht im Irrenhaus, sondern, wie meine Claudia-Cassandra vorhergesehen hatte, im Krankenhaus. Am 17.12.2009 wurde unser Sohn Heinrich geboren. Aber das war nur eines von vielen Ereignissen, die mein Leben sanft, aber radikal veränderten.
Viele der Veränderungen waren in diesen ersten Wochen bereits angestoßen worden, liefen von selbst weiter, entwickelten sich ohne, oder mit minimalem Eingreifen von uns. Am folgenden Montag erzählte ich strahlend wie die Sonne Sebastian von dem Erlebten, natürlich da noch nicht in allen Details, nur auf das Wesentlichste beschränkt.
Auch das war ein Anfang, nicht nur einer wunderbaren Freundschaft mit ihm. Er wurde tatsächlich der Pate unseres Sohnes, den wir nach christlicher Tradition taufen ließen, damit er sich selbst irgendwann mit seinem Verhältnis und seiner Einstellungen zur Religion auseinandersetzen und dann eigene, unvoreingenommene Entscheidungen für sich selbst treffen konnte.
Bei einem unserer hochinteressanten Gespräche mit Sebastian in den folgenden Wochen, waren wir so in unser Gespräch vertieft, dass ich die Kundin, die mit drei Büchern in der Hand vor unserer Kasse wartete, völlig übersah. Ich versuchte sofort, mich dafür zu entschuldigen.
"Oh, stehen Sie schon lange dort? Das tut mir schrecklich leid. Die drei sollen es sein?"
Sie nickte und reichte sie mir, damit ich die Preise feststellen konnte.
"Ich habe nicht einmal bemerkt, wie lange ich hier gestanden habe. Ich war völlig von Ihrer Diskussion fasziniert. Ich hoffe mein Lauschen war nicht unhöflich?"
"Keineswegs, wir besprechen hier keine Geheimnisse, sondern versuchen uns unserem eigenen und dem Wesen der Welt in unseren Diskussionen und mit dem Austausch von Erfahrungen anzunähern."
"Wie ich sagte: Hochinteressant. Eine Diskussion, die Sie durchaus in größeren Rahmen führen könnten und sollten."
"Wir haben noch einen weiteren Stuhl, Kaffee und Kuchen, wenn Sie sich zu uns gesellen möchten?"
"Nichts lieber als das, aber ich fürchte, meine Studenten werden auf meiner Vorlesung bestehen, die in... oje... zehn Minuten beginnt. Ich werde mich sputen müssen. Aber ich habe den Eindruck, das ist nicht Ihr erstes Gespräch dieser Art, und wird hoffentlich auch nicht das letzte sein?"
"Nein, wir treffen uns regelmäßig, den Donnerstagnachmittag hatten wir für unser nächstes Treffen ins Auge gefasst. Würde das Ihnen besser passen? Oder, darf ich einfach du sagen? Das ist Sebastian und ich bin Immanuel."
"Du darfst. Angenehm, Carla. Gern. Und das passt, meine letzte Vorlesung am Nachmittag läuft bis drei Uhr, die folgende beginnt dann erst um neunzehn Uhr. Darf ich vielleicht noch eine Kollegin und liebe Freundin mitbringen? Selbstverständlich auch gerne Kuchen?"
"Nur zu gern. Welcher Fakultät gehörst du an?"
"Ich bin Soziologin und gebe unter anderem Vorlesungen in Gender Studies. Eure Diskussion reizt mich aber nicht nur aus diesem Grund, da habt ihr binnen weniger Minuten viele Themenkreise angerissen, die mir wirklich am Herzen liegen. In einer unerhörten und faszinierenden Verknüpfung."
Carla und ihre nebenbei ziemlich exzentrische Freundin Antonia, bei der ich manchmal in Bezug auf Sebastian die Hoffnung hatte, dass sich da etwas anbahnen könnte, kamen tatsächlich, nicht nur an diesem Donnerstag.
Ihre neuen und uns zum Teil völlig unbekannten Perspektiven und erstaunliches Hintergrund-Wissen, bereicherte und verschönte unsere Gespräche. Die von Anfang an von unheimlich tiefem Respekt vor den anderen und ihren einzigartigen Positionen und Haltungen bestimmt waren.
Unser Kreis wuchs und weitete sich aus, verlegte sich bald auf Abende, wo die Teilnahme für die vielen Berufstätigen, aber auch teilnehmenden Studenten, einfacher wurde. Nun erwies es sich als Vorteil, dass die Bestätigung für den Sperrmüll einige Zeit auf sich warten ließ, denn sonst wären die Stühle, die meine Eltern für große Feiern aufbewahrt hatten, längst dort gelandet, konnten so aber einem neuen Zweck zugeführt werden.
Es stieß dabei noch etwas anderes an, bei mir und meinem Laden. Es wurde mir wichtig, dort die vielen Bücher, die ich entweder durch Claudia oder andere unseres Kreises, von dem sie selbstverständlich ein Teil, wenn nicht oft gar dessen Mittelpunkt wurde, zum Lesen und Verstehen vorgeschlagen wurden, anzubieten.
Das begann so, dass ich verstärkt darauf achtete, diese Titel im Sortiment zu haben, wobei ich schnell feststellte, dass wahre Schätze eben nicht so häufig im Umlauf sind, weil sich die Besitzer davon nicht trennen wollen. Also stellte ich mithilfe eines Teils des Kapitals, was Claudia nach der Auszahlung ihres Anteils an der Eigentumswohnung zur Verfügung stellte, zusätzlich auf den gleichzeitigen Verkauf von druckfrischen Büchern um.
Was das Geschäft ankurbelte, denn es sprach sich herum, dass man diese Bücher am leichtesten und besten bei mir finden konnte. Die Kehre in finanzieller Hinsicht brachte dann allerdings meine überfällige Öffnung gegenüber den Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Mit anderen Worten, ich ließ den Eintritt des Internets in mein Leben zu.
Und öffnete mich der Möglichkeiten insofern, als ich eine Webseite zu betreiben begann, wo man die neuen und gebrauchten Bücher online erwerben konnte. Davon wurden wir nicht reich, aber finanzielle Engpässe waren und sind auch nicht mehr zu befürchten. Und noch etwas eröffnete diese Runde für uns.
Claudia und ich begannen unsere nun gemeinsamen und weiterentwickelten Konzepte und Ideen auf Anregung unseres Kreises niederzuschreiben. Im Herbst 2015 erschien unser erstes gemeinsames Buch, was sich nicht nur in meinem Laden sehr gut verkaufte. Aber auch meinen Roman habe ich nun endgültig fertiggestellt und veröffentlicht.
Es gab also viele Veränderungen, die mein und unser Leben überformten und neugestalteten. Nicht mehr so schnell und dramatisch, als überraschender und vollständiger Durchbruch, wie durch Claudias Eintritt in mein Leben, mit dem vorläufigen Höhepunkt meiner ersten echten Begegnung mit der Sexualität. Durchaus radikal war selbstverständlich die Veränderung, die die Geburt unseres Sohnes mit sich brachte.
Alles andere wurde eine langsame, stete Entwicklung, die weiter geht, kleine und große Veränderungen in mir und unserer Beziehung auslöst, sie und mich erweitert, aber auch festigt. Weitere Horizonte eröffnet, zudem einen Rückfall in vorherige Muster nicht unmöglich, aber immer unwahrscheinlicher macht.
Am schwersten war und ist für mich die Integration meiner als negativ empfundenen Gefühle, Schmerz, Angst, Trauer, Wut, Neid, sogar Hass. Nicht nur deren Entdeckung und das Freisetzen durch Rolfing-Sitzungen, die Claudia und ich von 2016 - 2018 durchführten, sondern weiterhin der Umgang mit solcherart Gefühlen in der Gegenwart.
Eine Bewusstmachung feit keinesfalls davor, erneut ähnlich zu empfinden und sie wiederum als problematisch zu empfinden. Obwohl sie das wirklich nicht sind. Einfach ein Teil von uns, der genauso verstanden und angenommen werden muss. So schwer das manchmal auch fällt.
Wohin uns unser und mein Weg führt, kann ich nicht sagen. Es ist auch nicht wichtig, wichtig ist nur die Bewegung. Auch das hat Christa Wolf einmal in ihrem "Nachdenken über Christa T" wunderschön formuliert: "Die Bewegung mehr lieben, als das Ziel."
In Bewegung geraten ist vieles, auf der persönlichen, wie auch der gesellschaftlichen Ebene. In unserem kleinen bescheidenen Rahmen für uns beeindruckender und nachhaltiger, aber auch dort nur langsam, schrittweise und nicht ohne Mühen. Was zählt, ist die Richtung, der Wille zur Veränderung und die größtmögliche Aufmerksamkeit. Richtiges zu unterstützen, Falsches abzulehnen, oder aufzugeben.
Claudia hatte ebenfalls weiter damit zu kämpfen, mit ihrer Schwester Birgit einen halbwegs normalen Umgang wieder hinzubekommen. Es fiel ihr leichter, als sich Birgit und Jonas, wie von ihr erwartet und vorausgesagt, kurze Zeit später trennten. Birgit besuchte uns fortan häufiger, und eine Normalisierung schien eigentlich schon erreicht.
Dann allerdings wiederholte Birgit ein Muster, welches sie nach Claudias Aussagen bereits seit ihrer frühen Kindheit gezeigt hatte. Nämlich, wirklich gern und mit Begeisterung, eigentlich am liebsten, mit den Spielsachen ihrer Schwester zu spielen. Das war in dem Fall ich, und sie versuchte mich tatsächlich zu verführen.
Daran war ich nicht völlig unschuldig. Meine großartige Kommunikation mit Claudia, aber gleichfalls der Frauen in unserem Gesprächskreis, hatten nämlich dazu geführt, dass ich mit Frauen nun anders und lockerer umging. Ich fühlte mich in ihrer Nähe wohl und interessierte mich für sie. Weiterhin allerdings nur akademisch und menschlich.
Ich zeigte mein Interesse, auch in privateste und intimste An- und Einsichten, ihre Gefühle, schreckte nicht davor zurück sie in den Arm zu nehmen, oder Trost zu spenden, wenn sie traurig waren. Ging unbefangen und offen mit ihnen um, wobei diese sehr wohl verstanden, wie mein Verhalten, mein Interesse und meine Anteilnahme zu verstehen war.
Birgit, muss ich vorausschicken, war eine außergewöhnliche Frau, die sich vom Typ und im Handeln von den anderen, die ich nun näher kennengelernt hatte, abhob. Und mich vielleicht daher sogar noch mehr interessierte. Sie stand aufgrund ihrer zahlreichen Besuche und ebensolcher Gespräche gleichfalls öfter als phänomenologisches Studienobjekt zur Verfügung.
Wie Claudia in der Tat eine faszinierende Frau mit augenscheinlicher Schönheit und sich dieser und ihrer weiblichen Ausstrahlung völlig bewusst. Wie Claudia, so dachte ich, dem Spielen und lustiger Wortgefechte sehr zugetan, worauf ich mich durchaus gerne einließ. Dass dies in Wahrheit nach ihrem Verständnis Flirten war, und sie meine Reaktionen als Bereitschaft hierzu interpretierte, kam mir nicht einmal in den Sinn.
Es war ja für mich völlig anders, denn körperliche oder emotionale Reaktionen meinerseits blieben aus. Obwohl sie sicherlich eine aufregende Frau war und ist, gab es meinerseits keinerlei sexuelles Interesse und keine Reaktionen auf dieser Ebene. Ich fand es einfach nur witzig und dachte, wir lägen damit auf einer Wellenlänge.
So erlebte ich einen ganz ordentlichen Schock, als ich im Verlaufe eines lockeren, lustigen und bis dahin sehr schönen Nachmittages nur mit ihr alleine, während sich Claudia und Heinrich an diesem Sonntag auf einem Kindergeburtstag befanden, Birgit nach meiner Rückkehr von der Toilette nackt auf unserem Sofa vorfand.
Und mich nach meinem Setzen sofort ihrem Frontalangriff ausgesetzt sah, bei dem sie sich in ihrem Eva-Kostüm auf meinen Schoß setzte und versuchte mich zu küssen. Meine Schockstarre und fehlenden Reaktionen schienen sie eher noch anzustacheln und es verging einige Zeit, bis ich mich soweit gefangen hatte, dass ich sie verbal und mit Gesten von ihrem Irrtum in Kenntnis setzen konnte.
Als Reaktion darauf brach sie in Tränen aus. Also bekam sie von mir wieder sofort, ungeachtet ihrer Nacktheit, eine körperliche und emotionale Reaktion. Und schon hatte ich sie wieder an meinen Lippen und ihre Hand bahnte sich ihren Weg in meine Hose. Diesmal wehrte ich sie bestimmt und eindeutig ab. Auch verbal. Woraufhin sie erneut weinte, aber dann meiner Aufforderung, sich anzuziehen, nachkam.
Sie tat mir leid, denn mir war völlig klar, dass es ihr nicht nur um den Kick, etwas Verbotenes zu tun ging, ein vielleicht nur kurzes oder einmaliges sexuelles Abenteuer mit dem Mann zu suchen, den sie nicht nur kennen und schätzen gelernt hatte, sondern der gerade auch aufgrund der Vorgeschichte ein absolutes Tabu für sie hätten sein sollen.
Nein, da kam eindeutig viel mehr ins Spiel, eine Einsamkeit, unter der sie litt, eine Haltlosigkeit, die ihr ganzes Leben bestimmt hatte. Und bei ihr, wie vormals bei mir, eine Verkapselung in ein Selbstbild und eine Rolle, die sie spielte, die ihr allerdings in ihrem Falle oft oberflächliches oder sexuelles Interesse, aber keineswegs das wirklich Gewünschte einbrachte.
So sehr mich das menschlich berührte, stieß mich ihre Bereitschaft, erneut dafür ihre Beziehung mit Claudia und alle anderen Beziehungen ebenso, aufs Spiel zu setzen, ab. Hörte mein Verständnis und Mitgefühl an diesem Punkt auf. Sie war nicht einmal verliebt in mich, es war kein Überschwang eines starken und unkontrollierbaren Gefühls. Meine Erklärungen wollte sie nicht mehr hören und rannte förmlich aus unserer Wohnung.
Ich stand vor einem Dilemma. Ich wusste, wie sehr es Claudia wehtun und das Verhältnis zu Birgit belasten würde, wenn ich ihr von diesem Versuch berichtete, erzählte ihr daher bei ihrer Rückkehr davon zunächst nichts.
Ich diskutierte es stundenlang mit Sebastian, denn selten hatte ich mich in einer persönlichen Angelegenheit so hilflos gefühlt. Wie so oft enthielt er sich eines echten Ratschlags und eröffnete mir mit seinem Feedback stattdessen einfach die Situation im Ganzen, wofür ich ihm immer wieder dankbar war.
Am Ende entschied ich mich dafür, es zu ihr zu erzählen. Wobei ich auch meine gefühlte Mitschuld an dem Entstehen dieser Situation nicht ausließ. Wozu Sebastian mir nicht direkt hatte raten wollen, aber was er persönlich ebenfalls getan hätte, wie er mir im Nachhinein versicherte.
Es tat ihr weh und es schaffte wirklich für einen Moment eine größere Distanz zu Birgit, aber es brachte uns näher. Denn sie meinte zurecht, wichtiger als der vorübergehende Schmerz sei das intakte Vertrauen, auch in sie selbst und ihre Fähigkeit Schmerzen dieser Art zu ertragen und damit umzugehen.
Dass ich nicht versucht hatte, durch falsches Schweigen diesen notwendigen Schmerz von ihr fernzuhalten. So ganz unschuldig sei sie daran ebenfalls nicht, gab sie augenzwinkernd zu, immerhin hatte sie ihrer Schwester so einiges von meinen körperlichen Attributen und Fähigkeiten erzählt.
Und wie sie dann in der Folge damit umging, war mehr als beeindruckend. Sie verzieh Birgit nicht nur vorbehaltlos, sondern kümmerte sich so intensiv wie nie zuvor um sie, hatte wie ich genau erkannt, dass auch diese Aktion ein verkappter Hilfeschrei gewesen war.
Zeigte erneut ihre ganze menschliche Größe und ihre umfassende Liebe. Ich weiß immer noch nicht, womit ich eine Frau wie diese verdiene. Und wem ich dafür danken muss, sie in mein Leben gebracht zu haben. War es eine Fügung des Schicksals, dass ich Claudia getroffen habe? Gab es sowas?
Vielleicht auch nur das Phänomen, dass man manchmal zur richtigen Zeit genau den Menschen und Ideen begegnet, die unser Leben und unser Denken verändern können, weil sie den Wunsch dazu auslösen. Auch der Liebe, die uns tragen und in die richtige Richtung lenken kann.
Auf uns zu, aus uns heraus. Und in eine bessere Zukunft.
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