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Gelegenheiten und genutzte Chancen (fm:Romantisch, 24579 Wörter)

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Veröffentlicht: Nov 20 2024 Gesehen / Gelesen: 6284 / 4917 [78%] Bewertung Geschichte: 9.79 (149 Stimmen)
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Gelegenheiten und genutzte Chancen

Tim und Michael, einfach Mischa genannt. Zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Tim war zu dieser Zeit vierunddreißig, Mischa war gerade sechsunddreißig geworden. Sie waren wie Feuer und Wasser. Beide ziemlich gleich groß, braunhaarig und einfach durchschnittlich gebaut, standen sie auf ihre jeweilige eigene Art fest im Leben. Der Mischa hatte seinen Schreinermeister gemacht und arbeitete in einem Büro, als Bereichsleiter, für ein spezielles Produkt im Angebot eines breit gefächerten Industriebetriebs. Der Andere, also Tim, hatte sein Ingenieurstudium abgeschlossen und arbeitete als freier Architekt.

Die Beiden waren sich so ähnlich und dann doch wieder so verschieden, dass sie eigentlich noch keine drei Stunden miteinander aushielten, ohne Krach zu bekommen. Dabei hatten sie schon immer ähnliche Hobbys und Interessen. Wenn der eine aber den Mund auf machte um etwas zu sagen, verstand der Andere zu einhundert Prozent etwas ganz anderes. Das war nicht so, als wenn einer böse war, der andere nicht. Sie hatten einfach nur böse Probleme miteinander. Wie überhaupt, die ganze Familie zum Vergessen war. Kein Zusammenhalt, geschiedene Eltern, kaum Freundeskreis schon bei den Eltern, hatte sich in den Leben der beiden Brüder widergespiegelt. Sie hatten beide jeweils nur eine Hand voll Freunde und Bekannte.

Nichts desto trotz, wollte der Eine immer sein, wie der Andere. Sie standen im ständigen Wettstreit. Hatte Mischa in Kinderjahren noch versucht, seinen kleinen Bruder immer zu beschützen, dieser hatte schon öfter mal Ärger, so hatte er eben diesem jüngeren Bruder sogar mal die Nase gebrochen. Der Kleine bekam öfter mal eine ab, woraufhin der Große den anderen eine verpasste. Das passte dem Kleinen nicht, weil nun wäre er doch der Dumme und das Baby und so hatten sie wieder Krach. Der Kleine war schon etwas cleverer als sein Bruder, stellte öfter mal was an oder vergeigte irgendwas, wofür der Größere dann die Schläge vom Vater kassierte. Man sieht, es war echt nicht einfach.

So war es einfach konsequent, dass nach der Scheidung der Eltern auch die Brüder sich immer weiter trennten, bis alle so gut wie keinen Kontakt mehr hatten. Sie machten alle ihr Ding. Als die Brüder auf eigenen Beinen stehen konnten, flogen sie dann auch überdurchschnittlich früh aus dem heimischen Nest, in die weite Welt. Sie machten ihr Ding. Mischa machte seine Ausbildung und ging seinen Weg, wie schon geschrieben. Tim jobbte am Bau, bei einem Zimmermann und machte dazu sein Studium. Soweit wurde also aus beiden Kerlen etwas Vernünftiges. Sie lernten unabhängig voneinander jeweils ihre ersten Freundinnen kennen, machten auch hier ihre Erfahrungen, aber sogar diese kamen jeweils nie miteinander zurecht. Es war wie verhext.

So lebten sie dahin und entwickelten sich wie jeder andere auch. Beide hatten ein Haus, beide waren verheiratet. Kinder waren nur für Mischa Wirklichkeit geworden. Tim hatte noch keine in Aussicht. Sie waren zufrieden, als das erste Zusammentreffen der Beiden, nach viele Jahren wieder nötig wurde. Ihre Mutter war verstorben und so standen Beerdigung und Nachlassregelung an. Als sie sich so zwangsläufig wieder trafen, war es eine anfänglich angenehme Überraschung, trotz üblem Anlass. Sie stritten mal nicht und redeten fast normal miteinander. Sie erzählten sich, was sie so getrieben hatten und trennten sich sogar ohne Streit wieder, als alles geregelt war. Nett, soweit gut, hatten sie aber trotzdem zu viel verbrannte Erde hinterlassen, als dass sie hätten mehr Kontakt haben wollen.

Der nächste traurige Anlass kam schon zwei Jahre später. Nun hatten sie ihren Vater zu beerdigen und das war jetzt schon schwieriger. Es gab zwar ein Testament, dass aber, weil nicht mehr aktuell, so nicht wirklich gültig war. Es wurde ein Stiefbruder berücksichtigt, der aber nicht mehr lebte und eine Stiefmutter, von der der Vater sich hatte scheiden lassen und wo es eine notarielle Verzichtserklärung gab. Das war jetzt eine richtige Scheiße, weil es da auch noch einiges zu regeln gab. Zusammen mit dem Anwalt des Vaters und dem zuständigen Notar mussten sie sich nun mit der Sache auseinandersetzen und was viel schlimmer war, sie mussten sich mit sich selbst auseinandersetzen. Sie rissen sich zusammen und gaben sich mühe, aber gut war es trotzdem, dass zwei ältere Juristen vermitteln konnten und vernünftig den Kurs halten konnten.

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