Kerstin & Cedric - Zwei Leben lang - 03 - Nestflucht (Cedric) (fm:Das Erste Mal, 4432 Wörter) [3/3] alle Teile anzeigen

Gestern

Mutter rief an.

"Ist das Paket schon angekommen?"

Ich verdrehte die Augen:

"Sprich bitte nicht immer in Rätseln, Mutter. Was für ein Paket?

"Oh, und ich dachte du würdest dich darüber freuen",

klang sie leicht beleidigt.

"Das mach ich vielleicht, wenn ich endlich weiss, worum es geht",

gab ich etwas unwirsch zurück. Ich hatte gerade trainiert und eine etwas längere Tour mit dem Mountainbike durch den Spandauer Forst hinter mir, deshalb war ich noch ausser Atem, war noch durchgeschwitzt und stank wie ein Iltis. Als ich merkte, dass sie betroffen schwieg, beeilte ich mich, eine Entschuldigung zu murmeln, begleitet mit den Worten:

"Es tut mir leid, Mutter, ich war gerade noch mit dem Rad auf einer grösseren Runde. Es hilft, ich habe schon wieder 5 kg abgenommen."

Sie freute sich für mich und rückte endlich mit der Sprache raus:

"Es ist ja nächste Woche Ostern, da dachte ich mir, ich schick dir mal ein Care-Paket mit ein paar Sachen, die du vielleicht gebrauchen kannst, was zu essen und so. Aber wenn ich geahnt hätte, dass du es mit dem Abnehmen wirklich so ernst meinst, hätte ich besser die Schokolade weggelassen."

"Ist ja nicht schlimm, Mutter, die gebe ich dann der ollen Rieke, dann säuft sie vielleicht nicht mehr so viel",

lachte ich. Helga Rieke war eine Nachbarin von mir, ihre Wohnungstür lag meiner genau gegenüber. Sie war etwa im Alter meiner Mutter und lebte allein, weil ihr Mann von ihrer Sauferei genug hatte und die Flucht antrat. Was zur Folge hatte, dass sie noch mehr soff.

"Pass auf, dass sie dich nicht noch anbaggert, mein Sohn wird ja bestimmt noch ein heisser Hüpfer, wenn er weiter so abnimmt."

Ich konnte ihr breites Grinsen durchs Telefon deutlich spüren.

Ein paar Monate früher

Ich war untröstlich, ein paar Tage vor der Abschlussfahrt hatte mich ein übler Darmvirus erwischt, wegen dem ich mich nicht weiter als 10 m von der Toilette entfernen konnte, wenn Mutter nicht dauernd mit dem Wischeimer rumlaufen wollte. Und dann passierte noch das Schlimmste, was in so einer Situation geschehen konnte, ich rannte zu schnell zur Toilette, stolperte und verstauchte mir dabei einen Knöchel. Die 10 m mussten aus Sicherheitsgründen auf 5 m verkürzt werden. Also zogen wir alle um, ich ins Elternschlafzimmer, meine Mutter in mein Zimmer und mein Vater durfte auf die Couch...

Leider gab es keinen Krankenbesuch von Kerstin, ich sah sie auch so schon sehr selten im Sommer. Das war aber vielleicht auch gut so, ich weiss nicht, ob ich sie vielleicht doch noch zu einer Wiederholung der Beichte bedrängt hätte. Aber das ging natürlich nicht, ich hatte Angst vor ihrer Reaktion, dass sie dann nicht mehr mit mir reden würde ... was dann aber trotzdem jahrelang so geschah, allerdings aus ganz anderen Gründen. So gab es dann nur heisse Träume, die regelmässig mit versauter Bettwäsche endeten.

Aber es gab auch gute Nachrichten. Ich bekam die Zusage für den Studienplatz an einer kleinen Fachhochschule in Berlin. Obwohl ich auch hätte an einer Uni studieren können, zog ich eine kleine FH vor, da sie mehr praxisbezogen war. Ich musste nur noch vorher ein halbjähriges Praktikum vorweisen, bevor ich ins erste Semester einsteigen konnte. Aber der Praktikumsplatz wurde mir von der FH ebenso vermittelt wie eine möblierte Wohnung bei einer alten Dame in Mariendorf, direkt neben

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